Die Linke und all die sich selbst legitimierenden Demokratiewächter sind sich einig: Wir hier sind Populisten. Und Populismus ist im gegenwärtigen Sprachgebrauch beinahe immer deckungsgleich mit „Rechtspopulismus“.
Unterstellt wird, wir instrumentalisierten, pauschalisierten und versimpelten Probleme, um uns „dem Volk“ anzudienen und das Publikum auf perfide Weise demagogisch zu verführen. Manipulativ! Also aus niederen Beweggründen.
Dieser Vorwurf soll nicht nur die Autoren treffen, sondern ebenso eine Leserschaft verunglimpfen, die sich an dieser Zeitung und den ihr verbundenen Blättern orientiert. Als noch immerfort phraseologisch von „den Stammtischen“ die Rede war und man dabei wohl degenerierte Kleinbürger mit auffallenden Gesundheitsrisiken vor Augen haben sollte, geschah das oft mit einem Attribut: „dumpf“.
Wiedererstandener Stahlhelm
Dumpfer Rechtspopulismus. Dieser Nachgeschmack von Bier und Zigarre, die Vorstellung von legasthenischer Wortfindungsschwäche, kompensiert durch rüde Lautstärke innerhalb einer Krähwinkelmentalität provinzieller Enge und Unbildung, aufgeblasene Kraftmeier, die ihre Neurosen und die verklemmte Sehnsucht nach Autorität und Führung vor sich selbst vernebelten. Pumphosenfaschisten. Wiedererstandener Stahlhelm. Intellektuell war nach festem Selbstverständnis die Linke mit ihren Pahl-Rugenstein-Bändchen. Trat die Rechte intellektuell in Erscheinung, war sie nur eines: Gefährlich! Brandstifter, die Biedermann Benzinkanister unters Dach schleppen.
Nun sind die Leserschaft der JUNGEN FREIHEIT und der Sezession nachweislich überdurchschnittlich gebildet, überdurchschnittlich politisch interessiert, überdurchschnittlich gesellschaftlich engagiert. Um so schlimmer, wird es heißen. Infiltration, Unterminierung! Zeit für noch wirksamere Kampagnen politischer Bildung, damit nicht noch mehr den „Rattenfängern“ nachlaufen. Gefahr in Verzug: Die Leserschaft der JF steigt, vergleichsweise sogar stärker als bei anderen Wochenzeitungen.
Versuchen wir’s mit Vernunft: Indem Kant in seinem bekannten Aufsatz in der „Berlinischen Monatsschrift“ von 1784 die Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ definiert und diese Unmündigkeit als das „Unvermögen“ darstellt, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“, haben wir ihn an unserer Seite.
„Mündig ist, wer für sich selbst spricht“
Dies um so mehr, wenn er anmahnt, daß Unmündigkeit dann vorliegt, „wenn die Ursache derselben nicht im Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. Der Anwurf, wir folgten nicht den Leitlinieninstanzen und ihren sich selbst rechtfertigenden „Grundvereinbarungen“, ist im Sinne des gerade Zitierten einwandfrei antiaufklärerisch und unkantianisch.
Als die intellektuelle Linke vor Jahrzehnten selbst noch streitbar war, nahm sie für sich den kantianischen Faden auf: „Mündig ist, wer für sich selbst spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet (…). Das erweist sich aber in der Kraft zum Widerstand gegen vorgegebene Meinungen und, in eins damit, auch gegen nun mal vorhandene Institutionen, gegen alles bloß Gesetzte, das mit seinem Dasein sich rechtfertigt.
Solcher Widerstand als Vermögen der Unterscheidung des Erkannten und des bloß konventionell oder unter Autoritätszwang Hingenommenen, ist eins mit Kritik, deren Begriff ja vom griechischen ‘krino’, Entscheiden, herrührt.“ – So drückt es Adorno aus. Widerstand! Der den Mut aufbringt, das selbst Erkannte und das aufmerksam kritisch Durchdachte gegen die bloße und leidenschaftslose Nachrederei zu stellen.
Wir bedürfen der gesunden Skepsis gegenüber unserer Rede
Freilich kann man sich immer irren, sich verrennen und im Urteil gar selbstgefällig werden. Gottfried Benn: „1. Erkenne die Lage. 2. Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.“ Wir bedürfen der gesunden Skepsis gegenüber unserer Rede ebenso wie des offenen Diskurses mit dem dafür notwendigen Recht, „von der Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“
Zwar ist die Pressefreiheit gesichert, aber die offene Diskussion wird weitestgehend verweigert, gerade weil dieser Ort hier sich das Recht nimmt, gedanklich widerständig in dem Sinne zu sein, Fragen zu stellen und alternative Angeboten zu unterbreiten. „Alternativ“ war ja früher nur die Linke. So ändern sich die Zeiten. Von der Linken, man möchte es fairerweise beinahe bedauern, wird bis auf weiteres kein entscheidender gesellschaftlicher Impuls mehr ausgehen können.
Aber wer ist es nun eigentlich, fragt man, der uns hier als die bösen Populisten, tumben Stammtischler, gewieften Demagogen, ewig Gestrigen, politisch Unzumutbaren etc. etc. geschmäht wissen möchte? Darauf antwortet es seit bald zwei Jahrzehnten wie von selbst: Die Mitte. – Aha. Also jene Etablierten, die andererseits perplex bedauern, daß die Wahlbeteiligung abnimmt, daß die angepaßte Jugend zwischen Shopping und neuen Medien apolitischer ist denn je, daß sich allzu viele allzu wenig mit der Demokratie identifizieren.
Mitreden darf nur wer sich zur „Mitte“ bekennt
Also tut offene Rede not. – Nur ein Problem: Ja, man kann wohl wählen, aber man kann bestimmte Festgefahrenheiten, etwa solche in der Europa- oder Bildungspolitik, eben nicht mehr abwählen, weil es darin „einen übergreifenden Konsens“ gibt. Wo? In der Mitte! Aha. Ja, man darf mitreden, man darf aufs Podium, aber nur wenn man sich „zur Mitte“ bekennt. Darin aber korrespondieren Autoritätsgehabe und Autoritätsgefolgschaft. Meinetwegen demokratische. Aus beidem wollte Kant ebenso heraus wie Adorno.
Die „Mitte“, das waren in der Sprache des Nationalkonvents der ersten, der revolutionären französischen Republik jene, die als „Plaine“ (Ebene) oder als „Marais“ (Sumpf) bezeichnet wurden, die bürgerliche Mehrheit. Sicher, ein unstimmiger Vergleich, zumal eine „bürgerliche Mehrheit“ heute eher nur zu behaupten wäre, als daß es sie tatsächlich aktiv gäbe. Aber die Bezeichnungen – doch von gewisser metaphorischer Kraft! Populistisch gesprochen? Nein, kritisch.