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Vaterlandslos

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„Vaterlandslose Gesellen“ zu sein, das mußten sich die deutschen Sozialdemokraten zu Kaisers Zeiten von den politischen Gegnern immer wieder einmal vorwerfen lassen. Sie hörten das natürlich nicht gerne, obwohl es eigentlich nur eine polemische Zuspitzung der offiziell internationalistischen Ausrichtung sozialdemokratischer Ideologie war und als solches schlicht zutreffend.

Aber man verstand in der Sozialdemokratie vor 1914 schon noch, daß der öffentliche Verzicht auf die nationale Selbstbehauptung den politischen Selbstmord bedeuten würde. Ihre größte Niederlage traf die Partei denn auch in den Reichstagswahlen von 1907, als das Patriotismusthema von der bürgerlichen Konkurrenz erfolgreich mobilisiert werden konnte.

Hinter den Kulissen stand es zu dieser Zeit mit dem sozialdemokratischen Patriotismus in der Tat nicht gerade zum besten. Der langjährige Parteichef August Bebel etwa begann nach diesen Wahlen ein Unternehmen besonderer Art: Er nutzte seine Stellung als Parlamentarier, um die britische Regierung mit Hilfe von Geheiminformationen zu einer antideutschen Politik aufzustacheln.

Motiv Preußenhaß

Dafür ließ er Premierminister Asquith, Außenminister Grey und auch Winston Churchill – damals Erster Lord der Admiralität – unter anderem Details der deutschen Marinerüstung zukommen. Es war seine eigene Idee, niemand hatte ihn dazu aufgefordert. Als Motiv dafür gab er seinen englischen Kontaktleuten einen allgemeinen Preußenhaß an. Preußen sei ein schreckliches Land, das nicht zu reformieren sei.

So ließ er denn die Herren in London wissen, sie sollten Deutschland in Grund und Boden rüsten, immer neue Schiffe bauen. Der deutsche Staatsschatz war, so setzte der gut informierte Sozialdemokrat dazu, für einen Rüstungswettlauf viel zu klein. Das mußte man den Briten wirklich nicht zweimal sagen. Bebels nette Berichte wurden in London jahrelang gern gelesen und sehr vermißt, nachdem er im August 1913 verstorben war.

Im Jahr 1911 hatte er noch die – falsche – Information geliefert, es sei ein deutscher Überraschungsangriff auf die britische Flotte geplant. Dies mußte in London besonders wirken, da der britische Flottenchef längst seinerseits einen britischen Überfall auf die deutsche Flotte vorgeschlagen hatte. Das lag sicher außerhalb von Bebels Wissen, eigentlich hätte es für ihn aber eine wünschenswerte Aktion sein müssen, die er mit seinen Informationen schließlich eifrig förderte.

Solidarität von „Demokraten“

Bebel glaubte, in London an die Solidarität von „Demokraten“ zu appellieren. Faktisch bediente er Imperialisten wie Grey und Churchill, die längst kriegsentschlossen waren. Nun konnten sie Bebels Hintergrundberichten auch noch entnehmen, daß es in Deutschland genug politische Einfalt gab, um selbst bei einem englischen Angriffskrieg die Kriegsschuld in eigenen deutschen Landen zu suchen.

Einen innenpolitischen Sinn ergab dieser Landesverrat nur, wenn ein Krieg und eine Niederlage Preußen-Deutschland in sozialdemokratischer Manier reform- oder revolutionsreif machen würden. So kam es dann ja schließlich auch, nachdem die kaiserliche Außenpolitik aus allen Wolken gefallen war, als ihr die Briten im August 1914 den Krieg erklärt hatten. Die sozialdemokratischen Schwierigkeiten, das Stichwort „Vaterlandslos“ loszuwerden, wurden dadurch nicht geringer.

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