Der Bundesminister der Verteidigung Thomas de Maizière hat in einem Interview mit dem Tagesspiegel einige kluge Dinge gesagt, unter anderem über die militärische Bürokratie. Auf die Frage des Journalisten, ob der Minister den Soldaten denn „gleich ein neues Denken“ verordnen wolle, antwortet er jedenfalls nicht mit Nein. Der Minister: „In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Absicherungsmentalität angestaut.“ Wie wahr! Dann spricht er von Freude an der Übernahme von Verantwortung, Führen müsse belohnt werden, und die altbekannte Regel, daß das Melden eines Problems den Soldaten von der Behebung desselben befreie, solle fortan nicht mehr gelten. Der Minister: „In der Bundeswehr darf nicht Bürokratie herrschen, sondern der Grundsatz der Eigenverantwortung.“
„Weniger Bürokratie“ in der Bundeswehr wird dann wahrscheinlich per Erlaß verordnet. Von ganz oben geht die Verordnung dann durch alle Führungsebenen hinab bis hin zu den Kompanien. Dabei ist dafür Sorge zu tragen, daß jeder Soldat den „Weniger Bürokratie“-Erlaß zur Kenntnis nimmt und diese Kenntnisnahme per Unterschrift bestätigt. In jeder Einheit wird ein Bürokratie-Verantwortlicher bestimmt, der „Weniger Bürokratie“-Lehrgänge an einem „Zentrum für die Verringerung der Bürokratie in der Bundeswehr (ZeVeBüBw)“ besucht.
Als Multiplikator wird er dann Unterrichte halten, die mannstundentechnisch pro Quartal festgelegt sind. Nach jedem Unterricht füllen die Soldaten dann auf Befehl Evaluationsbögen aus, die im ZeVeBüBw von Regierungsangestellten ausgewertet werden. 2015 schickt der Minister daraufhin eine Pressemitteilung raus, und die Tageszeitungen melden: „20 Prozent weniger Bürokratie in der Bundeswehr“. In den dienstlichen Beurteilungen wird ein neuer Passus eingeführt: „Oberfeldwebel Dosenkohl hat die Grundsätze des unbürokratischen Führens verinnerlicht und wendet sie im Rahmen seiner Fähigkeiten an.“
Freiheit kann mißbraucht werden
Gut. Genug gespottet. Prinzipiell hat der Minister natürlich Recht. Und geschickt ist er auch, denn seine Worte werden in der Truppe gut ankommen. Der Wille zum Führen und die Freude an der Übernahme von Verantwortung sind ja da. Er sagt das mit einem wohlwollenden Blick auf die militärisch Geführten. Nur, die Kehrseite der Medaille zeigt er nicht: Die Übernahme von Verantwortung und das Belohnen von Führungswillen bedeuten für die militärischen Führer auch das Risiko, daß in ihrem Beritt Schindluder getrieben wird, gegen den sie sich nicht absichern können.
Das Gewähren von Freiheiten beinhaltet die Möglichkeit des Mißbrauchs – und damit den ganzen Rattenschwanz von Skandälchen, Meldungen (die frei machen), Übertreibungen und Angstschweiß auf der Stirn der Generalitäten, sobald der Presseoffizier die Medienanfragen meldet. Natürlich wird der Mißbrauch das eher geringere Übel sein. Fehler werden gemacht, Irrtümer finden statt, Dinge werden ein Nachspiel haben und wer dann nun wirklich schuld ist, wird vielleicht niemand so recht beurteilen können.
Das muß erstmal ausgehalten werden. Wie ernst es dem Minister und der militärischen Führung mit dem „neuen Denken“ ist, wird sich zeigen, wenn das erste Mal ein erheblicher Mißbrauch der neuen Freiheiten zeigt. Wenn das Ministerium dann darauf verzichtet, ein neues Formular zur Kontrolle einzuführen, und den militärischen Führer schützt, dann könnte man getrost den Hut vor dem Minister ziehen. Ein angeblicher „Maulkorb“ des Lenkungsausschusses zur Bundeswehrreform, der den Inspekteuren der Streitkräfte „eine direkte Kommunikation in den politisch-parlamentarischen Raum“ versagen soll, zeigt nicht in die richtige Richtung.