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Europa? Welches?

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Europa? Welches?

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Oberkommissar José Manuel Durão Barroso beklagte in seiner Berliner Rede Mittwoch letzter Woche, es drohe die Spaltung der Union in einen integrierten Kern und einen abgekoppelten Rand. Das ist längst beziehungsweise war immer Realität. Nicolas Sarkozy erklärte in Straßburg vor Studenten, es könne keine gemeinsamen Regeln für 27 EU-Staaten geben, vielmehr zwei europäische Gangarten. Also genau das Europa der zwei Geschwindigkeiten, das es laut bisheriger Dauerpropaganda zu verhindern galt.

Was die Euro-Krise betrifft, so ist nur in Erfüllung gegangen, was der gesunde Menschenverstand vor Einführung des unseligen Euro prophezeite, daß es nämlich nicht möglich ist, eine Heterogenität verschiedenster Haushalts-, Steuer-, Sozial- und Rentenpolitiken zu integrieren. Das Scheitern dessen, was allein Kapitalmärkte und Wachstumsideologen wünschten, war abzusehen. Phänomenal, was sich damals alles versammelte, um diese simple Folgerichtigkeit des Verhängnisses wegzureden. Für die Voraussicht des Dilemmas bedurfte es nicht des Experiments, das schon jetzt genug Opfer forderte – zunächst kulturell, jetzt sozial, alsbald auch wirtschaftlich.

Europa der Großgewinner und Superbürokraten ist ein Konstrukt

Die Heterogenität Europas war gut; sie war aus einer komplizierten Gewachsenheit heraus intakt, sie lebte und hing nicht an den Apparaten der EZB- und IWF-Intensivmedizin. Das „Europa“ der Großgewinner und Superbürokraten ist ein Konstrukt, dessen Zusammenbruch zu Lasten der Völker die Konstrukteure übersahen, weil die Gewinne – für sie! – allzu verlockend waren.

John Major hat Recht, wenn er in der Financial Times schreibt, es werde die Nicht-Euro-Länder motivieren, enger zusammenzuhalten, wenn die Euro-Zone eine Fiskalunion bilde; und sein Nachfolger Cameron zieht daraus die logische Konsequenz, wenn er England an die Spitze dieses Zusammenschlusses wünscht. Genau so hat Politik immer funktioniert, insbesondere britische: „balance of power and splendid isolation“.

Wenn Thomas Kirchner in der SZ bedauert, man hätte sich doch die Überwindung politischer Regeln gewünscht, die seit dem Westfälischen Frieden von 1648 galten, dann liegt darin eben das Kennzeichen der gefährlichen Illusion, Unterschiede ließen sich um jeden Preis und zum Nutze der Profitrate überwinden. Kirchner folgt natürlich der Schutzbehauptung, das Europa der Nationalstaaten habe geradewegs „in verheerende Kriege und die Hölle von Auschwitz geführt“, aber dieses Todschlagargument zeigt nur, was für Derbheiten her müssen, um den existentiellen Zweifel an der EU und ihrem Vehikel, dem Euro, zu verunglimpfen.

Europa fehlt der ideelle Kern

Die EU hat ein Hauptproblem: Sie wird trotz aller Einrederei von keiner Idee, sondern nur von Wirtschafts- und Haushaltsrechnerei getragen. Die eindrucksvollen Streifendiagramme, denen zufolge die Verschuldungen der Staaten den für sich milliardenschweren Rettungsschirm bei weitem übersteigen, kennen wir mittlerweile alle. Es sei an Nietzsches Aphorismus erinnert: Wer um sein Was weiß, erträgt jedes Wie. Aber genau dieses Was fehlt. Den Menschen wäre allerlei zuzumuten, aber es kann zu ihrer Motivation nicht mehr aufgeboten werden als Verhältnisgleichungen von Produktion und Konsumtion.

Was denn wäre ein bewahrenswertes Gut, für das sich Einsatz, Blut und Tränen lohnten? Die Demokratie? Ganz bestimmt! Aber man sehe sich dazu die Wahlbeteiligungen an und erinnere, wonach die überall abnehmende Wählerzahl überhaupt noch gefragt wird. Nach dem Entscheidenden, der EU-Verfassung beziehungsweise dem Lissaboner Vertragswerk und der Gemeinschaftswährung, jedenfalls nicht. Und für die Politik, die sich früher als „res publica“ verstand, sind Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch längst viel wichtigere Institutionen als der Bürgerwille oder etwa die niedergeschmähten Nationalkulturen.

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