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Bundeswehr: Liegestütze als Kündigungsgrund

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Bundeswehr
 

Liegestütze als Kündigungsgrund

Die hohe Abbrecherquote bei den freiwilligen Wehrdienstleistenden stellt die Bundeswehr vor ernste Probleme. Sie steht vor demselben Dilemma wie die ganze Gesellschaft, die Erziehung scheut und damit ihre Zukunft aufs Spiel setzt.
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Verteidigungsminister Thomas de Maizière begrüßt freiwillige Rekruten: Schnell wieder weg Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr

Ein Bild mit Symbolcharakter: Der Verteidigungsminister begrüßt Anfang Juli die ersten Freiwilligen mit Handschlag, im Hintergrund der neue Slogan der Bundeswehr: „Wir. Dienen. Deutschland.“ Daß ausgerechnet der erste, dem Thomas de Maizière die Hand gab, auch als erster gekündigt hat, paßt nicht in das gewünschte Bild. Der Vorgang beleuchtet aber die Problematik, vor der die Bundeswehr steht.

Für den „ersten“, Jan-Piet Janschinski, stand schon nach wenigen Tagen fest, daß die Bundeswehr ihm zu wenig „geistige Herausforderung“ bietet und auch das lange Stehen vor einem Gebäude hat ihm offenbar so mißfallen, daß er von seinem spontanen Kündigungsrecht Gebrauch machte. Seine Leidensgenossen, die ebenfalls zahlreich gekündigt haben, kapitulierten vor ähnlichen Eingewöhnungsproblemen. Einigen war das Wecken zu früh, und vielen war der Umgangston zu rauh. Das Fazit eines Freiwilligen: „Die sollten einem im Ton etwas entgegenkommen.“

Befehle als Diskussionsangebot

Unter den jetzigen Bedingungen besteht kein Zweifel, daß „die“ das tun werden. Die Bundeswehr wird den Freiwilligen in Zukunft alles erklären: Warum sie eine Kopfbedeckung tragen müssen, wozu Liegestütze gut sind und was es mit den einheitlichen Umgangsformen auf sich hat. Befehle müssen dann allerdings weniger verbindlich formuliert werden, so daß es für den Abiturienten die Möglichkeit gibt, sie als Diskussionsangebot anzunehmen, ohne sein Recht auf Selbstbestimmung zu verlieren.

Die Bundeswehr steht vor demselben Dilemma wie die ganze Gesellschaft, die Erziehung scheut und damit ihre Zukunft aufs Spiel setzt. Nicht umsonst erinnern die Äußerungen der „Freiwilligen“ an quengelnde Kinder, denen manchmal ein „weil das so ist“ mehr hilft als eine langatmige Erklärung. Tradition lebt aus der Unhinterfragbarkeit. Um die ist es im gegenwärtigen Deutschland schlecht bestellt, warum sollte das bei der Bundeswehr anders sein? Wer statt „Wir dienen Deutschland!“, das ein stolzes Bekenntnis zum Dienst aus Freiheit wäre, „Wir. Dienen. Deutschland.“ schreibt, hat sich bereits verraten: Was so cool und internetmäßig daherkommen soll, ist nichts anderes als die in Worte gefaßte Unsicherheit der Politik, wie sie ihren verwöhnten Nachwuchs anfassen soll.

Wer das Soldatsein zu einem Beruf wie jeden anderen erklärt, muß sich nicht wundern, daß sich die jungen Leute mit falschen Vorstellungen verpflichten. Die Verantwortungslosigkeit liegt darin, daß den potentiellen Freiwilligen verschwiegen wird, daß die Verpflichtung zu Tod und Verwundung führen kann. Anstatt diesen Dienst als einen Ehrendienst herauszustellen, der sein Leben für das der anderen in die Waagschale wirft, wird versucht, die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiv zu machen. Was fehlt, ist eine positive Idee von dem, wofür sich diese Freiwilligen verpflichten sollen. Zweifellos genügen für viele eine anständige Bezahlung und heimatnahe Verwendung. Doch wenn die Bundeswehr darauf baut, müßte sie sich konsequenterweise vom „Staatsbürger in Uniform“ verabschieden und mit dem Söldner vorliebnehmen, der dann auch nicht nach Sinn und Ziel von Auslandseinsätzen fragt.

Eine Freiwilligenarmee wird von der Unterschicht geprägt

Daß die Gewinnung von Freiwilligen die entscheidende Herausforderung nach Abschaffung der Wehrpflicht sein würde, ahnte man früh. Daß es mit Geld allein nicht getan ist, wird spätestens jetzt deutlich. Vielleicht sind die Vorschläge, auf Schulabbrecher und in Deutschland lebende Ausländer zurückzugreifen, gar nicht so abwegig. In den Vereinigten Staaten bedient man sich Straftätern, die durch die Verpflichtung Straferlaß und Rentenansprüche erhalten.

Welche Konsequenzen die Abschaffung der Wehrpflicht haben würde, konnte man wissen, weil es in zahlreichen Ländern Erfahrungen mit einer Freiwilligenarmee gibt. Die Tendenzen sind überall dieselben: Es fällt schwer, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen, die Armee wird von der Unterschicht geprägt und wird zum Spielball gesellschaftlicher Interessen, die denen der eigenen Nation zuwiderlaufen. Was folgt, ist das Desinteresse des Volkes an der eigenen Verteidigung, weil es diese Aufgabe delegiert hat und in der Masse nicht mehr selbst daran beteiligt ist.

Die Wehrpflicht war immer mehr als nur eine Möglichkeit der Nachwuchsgewinnung. Der Wehrdienst war ein Beweis, daß man bereit war, für sein Gemeinwesen einzustehen. Man sollte danach eingesehen haben, daß man nicht allein auf der Welt ist und für das Ganze eine konkrete Mitverantwortung trägt. Manifest wurde diese Verantwortung im Wehrdienst, weil dies eine Zeit war, in der man gezwungen wurde, einmal nicht nur an sich und sein Fortkommen zu denken, um schließlich diesen Dienst als Form der Freiheit zu begreifen, die für Geld und gute Worte nicht zu haben ist.

JF 34/11

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