Beim Anblick der animierten Landkarte Europas vor unserem geistigen Auge wurden wir der großen Städte als pulsierende Zentren mit enormer Anziehungskraft gewahr. Sie pochen für sich und ohne gleichgeschalteten Rhythmus. So, wie wir auf einer Abbiegespur vor einer roten Ampel für einen kurzen Augenblick meinen, einen synchronisierten Takt bei den Blinkern der Fahrzeuge vor uns zu erkennen, erweist sich das Gleichmaß auch in unseren pulsierenden Zentren nach einem kurzen Moment als Illusion: Natürliche und ortsspezifische Rhythmen machen den Unterschied aus.
Während die Jahreszeiten etwa gleich auf ganz Europa wirken, bringen die Tageszeiten und -längen den ersten Unterschied. Die Hitze strukturiert den Tag im Süden, während im Norden Geschäftigkeit auch zur Mittagszeit möglich ist. Halbwegs natürliche Rhythmen, wie den der Religion, scheinen wiederum Gleichmaß zu bringen.
Des Sonntags verlangsamt sich der Puls in ganz Europa, zu den großen Feiertagen scheint das Leben sich in verschiedener Hinsicht zuzuspitzen. Wenn wir sie haben, dann scheint ein gewisser Grad an Ruhe einzukehren. Allerdings ist dieser halbwegs natürliche Rhythmus zum Verhandlungsobjekt zwischen Industrie, Gewerbe und Gewerkschaften geworden. Damit gerät das Religiöse zum Künstlichen, weil es zum wohlfeilen Argument in den Streitigkeiten verkommen ist, jedenfalls nicht mehr als eigentlicher Grund gelten kann.
Die Ökonomie will den Puls der Zentren dirigieren
Innerhalb der Zentren wirken weitere unnatürliche, vermutlich unzählige Rhythmen auf verschiedenen Ebenen. Den Anfang haben die Turmuhren gemacht, dann kamen mit der Elektrizität das Licht und die Kühlung. In Universitätsstädten sind es Semesterbeginn und -ende, die Kneipen füllen oder leeren können; an Standorten der großen Produktion würde ein Wechsel der Arbeitszeiten auch den Blutdruck der Mobilität verändern; die Sperrstunde legt fest, ab wann getrunken wird. Wollten wir diese Liste detaillierter fortsetzen, so fänden wir erst spät ein Ende.
Allerdings schickt die Ökonomie sich an, den Puls der Zentren zu dirigieren. Die Taktstöcke liegen schon bereit, die Mikroelektronik, das Internet, der Mobilfunk und die noch lange nicht ausgereizte Geschwindigkeit des interregionalen Verkehrs. Diese Rhythmusgeber lassen die Strecke an Bedeutung verlieren. Im gleichen Ausmaß, wie die Strecke verliert, verringert sich die aufgewandte Zeit. Je mehr wir davon haben, desto weniger scheint sie wert zu sein. Je weniger sie wert ist, desto eher sind die Zentren bereit, sie dem Takt eines anderen zu opfern, und die wirbelnden Partikel wippen mit.
Das ergibt enorme Kraft. So können die großen Erfinder ihren Geist verbinden, die großen Kaufleute ihren Trieb vereinen und die großen Denker sich in einem Ausmaß austauschen, welches denen der vergangenen Jahrhunderte wohl Tränen in die Augen getrieben hätte. Darunter sind die jeweils kleinen und wiederum darunter toben die Partikel. Der ängstliche Griff meines Nachbarn um meine Hand lockert sich, die Möglichkeiten und der Frieden des Takts scheinen ihn zu beruhigen. Aber los läßt er mich nicht.