Die Liberalen ringen um ihren Kurs in der Nach-Westerwelle-Ära. Viele Kommentatoren und der linke Parteiflügel um Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Christian Lindner würden die Partei jetzt gerne wieder weiter nach links führen. Aber für welchen Kurs hat Westerwelle überhaupt gestanden?
Der scheidende Parteichef war nie ein überzeugter Rechtsliberaler. Er hat es aber vorübergehend verstanden, sich für die Wähler interessant zu machen, die einen solchen Kurs wünschen. Westerwelle hat immer wieder mal zielgerichtet nationale oder konservative Positionen eingenommen. So hat er sich hinter verschlossenen Türen für die Opfer der Bodenreform in der DDR eingesetzt.
Erfolgsversprechenden Ansatz zunichte gemacht
Und er sagte Sätzen wie: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ oder „Sprechen Sie bitte deutsch“ zu einem Auslandskorrespondenten, der ihn auf einer Pressekonferenz englisch befragen wollte. Damit hat er bewußt oder unbewußt an national-orientierte Wähler appelliert. Zuletzt ist er mit seinem Abstimmungsverhalten in der Libyen-Frage auf Distanz zum Kriegskurs der Nato gegangen – und hat damit auch um den Preis der Isolation im Bündnis deutsche Interessen vertreten.
Diesen erfolgversprechenden Ansatz hat Westerwelle allerdings neben anderen Fehltritten mit seinem Widerstand gegen Erika Steinbach Anfang 2010 zunichte gemacht. Die CDU-Politikerin wollte in den Rat der Stiftung für das Vertriebenenzentrum, aber Westerwelle hat dies hintertrieben. Seine Haltung hat ihm bei konservativen Wählern den Spottnamen „polnischer Außenminister“ eingebracht. Erst recht vergrault hat er natürlich die Wähler, die auf echte Steuersenkungen gehofft haben.
Westerwelles Abgang könnte den rechtsliberalen Flügel stärken
Was aber bleibt, wenn Westerwelle geht? Überraschenderweise ist sein Abgang gar nicht so schlecht für den rechtsliberalen Flügel. Nun, da der große Zampano abtritt, kriegen diejenigen eine Chance, die es tatsächlich ernst meinen mit der Versöhnung von Nation und Liberalität. Es gibt etliche Vertreter in der zweiten und dritten Reihe der Partei, die dem rechten Parteiflügel zuzurechnen sind.
Der natürliche Anführer von ihnen wäre Dirk Niebel, bislang ein treuer Gefolgsmann Westerwelles. Der Entwicklungshilfeminister hat das richtige inhaltliche Profil. Der frühere Fallschirmjäger setzt ganz bewußt mit seiner zur Schau getragenen Soldatenmütze Akzente. Und er legt erklärtermaßen großen Wert darauf, Entwicklungshilfe an die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen zu koppeln. Das hat ihm viel Kritik von links eingebracht.
Wahlkampf mit einem „Sarrazin“-Papier
Mit der Übernahme des Ministeriums jedoch hat sich Niebel ein Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt. Im Wahlkampf 2009 wollte er das Ministerium abschaffen – ebenso wie die ineffiziente Arbeitsagentur. Nach der Wahl war von diesen liberalen Maximalforderungen keine Rede mehr.
Was, wenn Westerwelle nun als Parteichef ausscheidet? Niebel gilt es im Auge zu behalten. Er ist 48 Jahre alt und hat seine Karriere noch lange nicht hinter sich.
In Berlin gibt es gleich mehrere politische Talente, die über Einfluß im dortigen Landesverband verfügen. Die Partei geht mit einem Programm zur Ausländerpolitik in die Abgeordnetenhauswahl im Herbst, das von Parteifunktionären unter der Hand als „Sarrazin-Papier“ angepriesen wird.
Die Partei fordert unter anderem, Sozialhilfeempfängern den Familiennachzug zu erschweren und Burkaträgerinnen die Hilfe gleich ganz zu streichen.
Als der Tagesspiegel vor kurzem eine Enthüllungsgeschichte darüber brachte, daß Thilo Sarrazin Spitzenkandidat der Partei werden solle, haben viele aufmerksame Berliner das tatsächlich geglaubt, so realistisch erschien es ihnen. In Wirklichkeit war es ein Aprilscherz.
Transferunion mit Griechenland wird zum Prüfstein
Einziger Wermutstropfen: Die Partei nutzt ihre Medienpräsenz nicht, dieses Programm zu vermarkten, auch weil ihr der Mut zur großen Tat fehlt. Überhaupt haben die Vertreter des rechten Parteiflügels durch die Bank weg Probleme mit Attributen wie rechtsliberal oder gar nationalliberal. Sie nennen sich eher „wirtschaftsliberal“ oder „libertär“.
Frank Schäffler zum Beispiel. Der Bundestagsabgeordnete aus Ostwestfalen ist seit langem der inoffizielle Spiritus rector des rechten Parteiflügels. Er ist libertär, tritt also für so wenig Staat wie möglich ein. Seine Gruppe „Liberaler Aufbruch“ fordert in einem Antrag ein Ende der Transferunion mit Griechenland.
Damit bedient er auch die Sehnsucht nationalorientierter Wähler, die den Euro von Anfang an als Instrument zur Ausplünderung Deutschlands gesehen haben. Die Abstimmung über diesen Antrag ist die wichtigste inhaltliche Weichenstellung auf dem Rostocker Parteitag. Wenn dieser Antrag durchkäme, wäre dies eine kleine Revolution in der FDP.
Euro-Rebellen könnten für Merkel zur Gefahr werden
Noch wichtiger als die Abstimmung des FDP-Parteitages ist aber das Votum des Bundestages. Schäffler ist der Wortführer der liberalen Euro-Kritiker. Unter den 30 Unterstützern des Antrages an den Parteitag finden sich 14 Bundestagsabgeordnete. Zusammen mit fünf Abweichlern aus der Unionsfraktion sind die Euro-Rebellen eine für Angela Merkel existenzbedrohende Größe. Sie hat eine Mehrheit von 20 Stimmen im Parlament. Weitere Abgeordnete der Regierungsfraktionen dürften insgeheim Schäfflers Meinung teilen, auch wenn sie dies nicht kundtun. Noch nicht.
Das rechtsliberale Magazin eigentümlich frei hat die Partei auch deshalb aufgefordert, Schäffler zum Parteichef zu wählen – ein unrealistisches Anliegen. Trotzdem könnte der 42jährige eine wichtige Rolle in der Nach-Westerwelle-Ära spielen.
Das würde auch den gut 2.700 sächsischen Liberalen passen. Der Landesverband gilt seit jeher als konservativ. Kurz vor dem Parteitag hat sich der Landesvorsitzende Holger Zastrow klar positioniert: „Wenn jetzt jemand versucht, die FDP grün anzupinseln, dann wird das auf jeden Fall ohne die sächsischen Liberalen geschehen“, sagte er verärgert über die Kehrtwende von Generalsekretär Christian Lindner in der Atompolitik.
Unter der Führung des 42jährigen Zastrow blüht die Partei, die zeitweise nicht im Landtag vertreten war, wieder auf: Gerade erst hat ein FDP-Kandidat die Bürgermeisterwahl in Rosenbach im Vogtland (4.400 Einwohner) gewonnen. Mit über 62 Prozent der Stimmen. Das beweist, daß die FDP nicht zwangsläufig an der Fünf-Prozent-Hürde herumkrebsen muß. Auch nicht in diesen für sie schweren Zeiten. Zastrows Abschneiden auf dem Parteitag – sollte er als Stellvertreter Röslers kandidieren – kommt größte Bedeutung zu. An seinem Ergebnis wird sich ablesen lassen, wie stark der rechte Flügel der Partei ist.
Rechtsliberale sind bereits vor anderthalb Jahrzehnten gescheitert
Die Rechtsliberalen stehen heute also besser da als vor anderthalb Jahrzehnten, als schon einmal einige FDP-Politiker das Wort „nationalliberal“ in den Mund zu nehmen wagten: Damals versammelten der frühere Generalbundesanwalt Alexander von Stahl und der hessische Landtagsabgeordnete Heiner Kappel Gleichgesinnte in der Liberalen Gesellschaft.
Übrigens mit der gleichen Agenda wie der rechte FDP-Flügel heute: Auch damals ging es um den Euro, der am Ende die Deutschen Kopf und Kragen kosten würde, warnten die FDP-Rechten. „Wir hatten 1996 einen Laßt-die-Finger-vom-Euro-Antrag auf dem Parteitag gestellt – da stand alles drin, was jetzt Wirklichkeit geworden ist“, erinnert sich Alexander von Stahl im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT.
Von Stahl unterlag jedoch zweimal bei dem Versuch, FDP-Chef in Berlin zu werden, und Kappel scheiterte gar bei einer Kampfkandidatur als Bundesvorsitzender. Die Nationalliberalen in den neunziger Jahren haben vielleicht einfach nach zu hohen Sternen gegriffen und sind dabei abgestürzt.
Westerwelle nutzte günstiges Meinungsklima aus
Inzwischen ist das Meinungsklima für sie aber noch attraktiver geworden. Die Parteilinke ist seitdem weiter an den Rand gedrängt worden. Unter Westerwelle hat die Partei zudem gelernt, daß zweistellige Wahlergebnisse wieder drin sind, wenn die FDP den richtigen Ton trifft. Das gilt auch in der Nach-Westerwelle-Ära. Das Wählerpotential für eine rechtsliberale Partei ist zweifellos vorhanden.
Die momentane Schwächephase der Liberalen ist nur dem Ausbleiben der großen Wahlversprechen geschuldet, nicht aber einer gesellschaftlichen Trendwende: Eine Langzeituntersuchung hat 2009 ergeben, daß die Deutschen wieder mehr Wert auf Leistung und gute (eigenständige) Kindererziehung legen. Außerdem hat sich das Verhältnis zur Nation in den vergangenen zwanzig Jahren normalisiert: Sechzig Prozent der Deutschen empfinden Stolz für ihr Land.
Westerwelle hat diesen Trend gesehen und als einziger prominenter deutscher Politiker für sich zu nutzen versucht. Im mittleren Parteiapparat finden sich gleich mehrere gelehrige Schüler. Sie stehen bereit für einen neuen Versuch.
JF 20/11