Das Kraftfeld der Auseinandersetzung um den europäischen Immigrantenislam verläuft zwischen zwei Sätzen, nämlich zwischen der Artigkeit des ph-neutralen Bundespräsidenten, der Islam gehöre zu Deutschland, einer Aussage, der man mindestens noch das freche Adverb „zwangsläufig“ einordnen wollte, und dem couragiert markigen Einstand von Innenminister Hans-Peter Friedrich: „Daß der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen läßt.“ Hier sollte man sogar das sonst stilistisch ärgerliche „auch“ glatt so stehenlassen.
Sehr interessant, in welch nachdenklicher Weise der Münchener Historiker Andreas Wirsching zunächst das Dilemma Europas beschreibt: „Der Kern des Problems liegt darin, daß sich die europäische Kultur in ihrem Selbstverständnis einerseits auf Freiheit, Demokratie und Individualismus gründet; verbürgte Minderheitenrechte gehören ebenso dazu wie religiöse Toleranz. So betrachtet kann niemand bestreiten, daß neben Christen und Juden auch Muslime ihren legitimen Platz in Europa einnehmen. Andererseits aber kann eine selbstbewußte europäische Kultur den offenen Angriff auf ihre Grundlagen und Werte, wie ihn manche islamistische und fundamentalistische Gruppen vortragen, nicht zulassen.“
Die Illusion des Euro-Islams
Da eine juristische Klärung wohl nötig, bislang aber offenbar nicht möglich ist, beschreibt Wirsching vier vordringliche Schritte. Drei davon sind schnell protokolliert, einer jedoch ist so brisant wie entscheidend. Der Historiker meint zum einen, daß Gewalttaten und Verletzungen der Meinungsfreiheit durch Muslime vergleichsweise selten wären und bietet dazu schwer vorstellbare Zahlen an. Geschenkt. Zum anderen, daß Gesetzesübertretungen von Muslimen „ihres kulturellen Überbaues“ zu entkleiden und einfach konsequent polizeilich und juristisch zu ahnden seien, ohne „falsche Nachsicht im Namen der Toleranz“. Absolut richtig.
Letztlich die fragwürdige Annahme, „das Vertrauen in die befreiende und verändernde Kraft der Menschenrechte, der Demokratie und des freiheitlichen Individualismus“ könne eine solche Anziehungskraft auf außereuropäische Immigranten ausüben, daß ein moderner Euro-Islam dem Islamismus als Ergebnis eines „kulturellen Anverwandlungsprozesses“ schließlich absagen würde.
Der Staat gehört dem Bürger
Wenngleich man Letzteres für eine alte westdeutsche Illusion halten darf und zudem anmerken möchte, daß Wirsching, darin ganz Geisteswissenschaftler, alle sozialen und ökonomischen Hintergründe unberücksichtigt läßt, so erscheint doch gerade der Ausgangspunkt, den er seiner Argumentation voranstellt, am wesentlichsten. Er fordert, es müsse endlich ernst gemacht werden mit einem konsequenten Laizismus, der erst den Rahmen für echte Toleranz hergäbe: Religion als Privatsache.
Ja, der Staat gehört dem Bürger und weder unter den Halbmond noch unter den Davidstern noch unter das Kreuz. Marx’ 1844 abgefaßter Aufsatz „Über die Judenfrage“ ist da aufschlußreiche Lektüre. Keine Angst: Der 26jährige Autor war da selbst noch nicht marxistisch. Der pragmatische Atheismus und lebenszugewandte Agnostizismus des vor 500 Jahren geborene David Hume dürfte für Gottsucher die viel größere Zumutung sein.
Laizismus als Lösung
Welche Klarheit zöge ein, wenn man konstatieren könnte: Dort wo Offenbarungsereignisse das Maß aller Dinge sind und die Politik bestimmen, befindet sich der Mensch auf einem unwägbaren Gebiet jenseits dessen, was Vernunft ihm ermöglichte. Wo der Koran im Sinne eines Kalifats kulturelle, ja staatliche Wirklichkeit werden soll, da braucht es den Widerstand der Humanisten, weil der Islam dort seinen anachronistischen Alptraum umzusetzen droht. Er praktiziert dergleichen rege und allerorten.
Aber Laizismus bedeutet ebenso, daß wir klären, welche Bedeutung für uns die christliche Tradition besitzt. Das Wort vom Menschen als Maß aller Dinge ist ein Problem, das des „Gottesstaates“ ein noch schwierigeres. Konservatismus und rechtes Denken können durchaus an Kant und Aufklärung anschließen und hätten darin für die Auseinandersetzung mit dem Islamismus einen stärkenden Hintergrund. Man hätte damit keinen Glaubenskrieg zu führen. Wichtig noch: Laizismus ist nicht antichristlich.