Wer ist Sila Sahin? Sie 25 Jahre alt, Schauspielerin in der RTL-Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und die erste Deutsche türkischer Herkunft auf dem Cover des Playboys. Sie verbindet mit ihren Nacktbildern eine Botschaft: „Mädels“, sagt sie im Playboy-Interview, „wir müssen nicht unbedingt nach diesen Regeln leben, die uns vorgegeben werden.“ Ob sie denn aus eigener Erfahrung spreche, wird sie dann gefragt. „Ich mußte auch darum kämpfen, nicht so leben zu müssen, wie es andere von mir verlangt haben.“ Darauf hätte sie keine Lust mehr.
Über das Verhältnis zu ihren Eltern nach dem Erscheinen der Bilder gibt sie reichlich Auskunft: Ihre Mutter spreche zurzeit nicht mit ihr und ihr Vater sei sauer auf sie. Die Boulevard-Presse von Bild bis Gala freut sich. Denn diese Geschichte gibt doch mindestens so viel Dramatik her, wie die Seifenoper, in der Sahin von Montag bis Freitag über die Bildschirme flimmert.
Einerseits: Da ist die junge, erfolgreiche, türkisch-stämmige Schauspielerin mit deutschem Freund, die sich in aller Deutlichkeit von der sozialen Unterdrückung ihrer türkischen „Einwanderer-Community“ lossagt. Das hat einen herrlichen moralischen Beiklang, denn sie hat einen mutigen Schritt getan und kann so für all’ die „Kopftuchmädchen“ als leuchtendes Beispiel der Emanzipation gelten.
Abschied aus der sozialromantischen Geborgenheit der Großfamilie
Nur ihre verbohrten alten Eltern, mit gebrochenem Deutsch und schwerem türkischen Akzent, verstehen nicht, daß sie jetzt im Westen angekommen sind. Und dort haben sie ihre überkommenen islamisch-türkischen Werte gefälligst nicht von ihrer Tochter einzufordern. Denn die ist jetzt assimiliert.
Andererseits: Da ist die ehrgeizige Tochter türkischer Gastarbeiter, die sich mit allen Mitteln im Show-Business nach oben rackert. Der Preis für ihren Erfolg ist der Abschied aus der sozialromantischen Geborgenheit ihrer Großfamilie – und sie ist nur zu gern bereit, diesen Preis zu zahlen.
Auch das hat einen herrlichen moralischen Beiklang, denn sie kann den anderen Türkinnen als Warnung gelten, wie tief sie doch sinken würden, wenn sie sich so sehr „eindeutschen“, wie Sila Sahin das getan hat. Und zurück bleiben ihre armen blamierten Eltern, gastfreundlich und friedlich, die nicht verstehen, daß ihre Tochter sie durch Nacktbilder und Geschichten derart bloßstellt. Denn die ist jetzt assimiliert.
Anpassung an die westliche Moderne
Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, vielleicht auch ganz woanders. Wenn man die persönlichen Verhältnisse Sila Sahins nicht kennt, dann ist es vermessen, sich darüber ein Urteil zu bilden.
Was für ein Fazit also bleibt, sind die Geschichten des Boulevard-Zirkus: Gesamtgesellschaftlich ist die Assimilation ein begrüßenswertes Phänomen, verspricht sie doch sozialen Frieden. Individuell kann Assimilation zu Verwerfungen führen, die selbst aus einer christlich-deutschen Sicht schlecht wären, Respektlosigkeit gegenüber den Eltern zum Beispiel.
„Darf sich eine Türkin so zeigen?“, fragt die Bild in ihrer Ausgabe vom 15. April. Natürlich darf sie das. Muß ihre Familie das toll finden? Natürlich muß sie das nicht. Das ist ein freies Land. Bei der berechtigten und notwendigen Forderung nach Assimilation müssen wir anerkennen, daß diese mit Schmerzen verbunden ist.