Aus der Gegenwart heraus erscheint die untergegangene DDR als politisches Material. Mit ihr geschieht, was auf andere Weise mit dem Dritten Reich, der Weimarer Republik oder dem alten Kaiserreich passiert: Sie wird als politisches Material so oder so verbaut und muß den Stoff hergeben für die Propaganda der selbsternannten Demokraten und Besserdeutschen oder für die Mythen derer, denen Biographie und Heimat abhanden kam. Vom Winde verweht.
Deutsch, demokratisch, Republik? Die offiziöse politische Bildung blendet bei der Beurteilung der DDR vor allem den geschichtlichen Kontext des Kalten Krieges aus. Für das eigene Selbstverständnis der Bundesrepublik ist es politisch einfacher, wenn die untergegangene DDR als etwas singulär Pathologisches dasteht, als etwas, das nicht sein durfte und was es besser nie gegeben hätte, als „Unrechtsstaat“ eben, als kontaminiertes Terrain, in dem böse Menschen und Kräfte – abstrakt die „SED-Herrschaft“ – schalteten und walteten, bedauernswerte „Brüder und Schwestern“ hinter der Mauer einsperrten, indoktrinierten und mit der Stasi kujonierten. Das alles stimmt, aber verzichtet auf genaue Historizität und reduziert auf politisches Boulevard-Niveau.
Der Umgang mit dem Dritten Reich erfolgt ähnlich ahistorisch, indem mit Ergriffenheit und Schaudern gelehrt wird, eine verbrecherische Clique, die fanatisiert von irgendwo, beinahe exterrestrisch, herkam, habe plötzlich die Macht an sich gerissen und es mit abgefeimten Tricks verstanden, ein ganzes Volk wider dessen humanistisches Wesen zu manipulieren, weil alle guten Jünger fatalerweise schliefen.
Gefährliche Psychopathen
Dabei soll es gerade nicht darum gehen, in welchen geschichtlichen Zusammenhängen und vor welchen politischen Hintergründen das geschah, sondern es soll didaktisch gezeigt werden, daß es isoliert von allen Umständen die Kontingenz des Guten und Bösen gibt und eben nicht die dynamische Geschichte, aus der heraus das Dritte Reich und die DDR als Varianten menschlicher Gesellschaften ebenso historisch entstanden wie ihrerseits die USA oder der Staat Israel.
Die DDR gilt – mindestens in ihren Herrschaftsverhältnissen – als das Böse und Abnorme, und damit wird pauschal die Feindschaft der Lager weitergesponnen, die zu ihrer Existenz geführt hatte. Weil dieses Verfahren metaphysisch anmutet, bedarf es folgerichtig der Betroffenheitsinszenierungen und Rituale, in ähnlicher Weise, wie das im Umgang mit dem Dritten Reich geschieht.
Es wird gern der Anschein erweckt, überzeugte Kommunisten wie überzeugte Nationalsozialisten wären leider zuweilen vorkommende monströse Varianten einer isolierten creatio ex nihilo. Oder gefährliche Psychopathen, die aus einer geschlossenen Anstalt der Geschichte entwichen waren und von beherzten Alliierten glücklicherweise wieder eingefangen und unschädlich gemacht werden konnten.
Redlicher wäre es, die geschichtlichen Wirkungsmechanismen und komplexen Kausalitäten zu ergründen und frei zu diskutieren, die im 20. Jahrhundert zur Ideologisierung der Politik und zur Herausbildung totalitärer Staaten führten, so wie andere Umstände im 17. Jahrhundert einerseits den Absolutismus, andererseits Aufklärung und Liberalismus bedingten. So ließe sich Urteilskraft für kritische Positionierungen entwickeln.
Zusammenhänge sind vielschichtiger
Weil das der Politik aber zu aufwendig ist oder sie simplifizierend bequemer darauf verharren kann, in jeder Weise das bessere Deutschland zu verkörpern, bleibt es bei Ritualisierungen und Beschwörungsformeln. Im Geschichtsunterricht gibt es ihn überall, den politisch korrekten Erklär-Bären, der apodiktisch erläutert, warum die Menschen im Dritten Reich und in der DDR entweder besonders böse oder besonders manipuliert waren. Und daß das heute nicht mehr passieren kann, wenn man ein paar Ratschläge befolgt.
Bekenntnisse sind besser geeignet für Gelöbnisse als das differenzierte Erkennen des 20. Jahrhunderts, zu dessen Verständnis die Gründung der Bolschewiki 1903 ebenso gehört wie der Erste Weltkrieg und der Versailler Vertrag, der Faschismus und der Stalinismus. Wo sollen die Lotungen von Ursachengefügen aber enden? Das ist es eben! Die Zusammenhänge sind vielschichtiger, als der naive politische Propagandist der Demokratie es erwarten mag.
Ein großes Bild davon zu zeichnen, bedarf des hohen intellektuellen Aufwandes und der Fähigkeit, nicht wegzusehen, wenn die Geschichte tragisch wird und ein breites Spektrum alles Menschlichen offenbart. Nolte und Shakespeare wären auf unterschiedliche Weise ergiebige Mentoren.