Fast ist es eine Staatsaffäre. Bischof Franco Perazzolo, der Beauftragte des Vatikans für Film- und Fernsehangelegenheiten, hat in einem öffentlichen Appell eindringlich vor dem Besuch der neuen Stephenie-Meyer-Verfilmung „New Moon. Bis(s) zur Mittagsstunde“ gewarnt. Der Streifen sei ein Anschlag auf das jugendliche Gemüt, stürze es in Hysterie und schlimme Ratlosigkeit. Eindeutige Monster kämen da in Gestalt schöner, liebevoller junger Männer einher, Gut und Böse gerieten hoffnungslos durcheinander, und das alles werde auch noch als „Jugendfilm“ deklariert, als Verfilmung der Bücher einer „Kinderbuchautorin“.
Inzwischen bricht das so harsch angeklagte Opus, das diesen Donnerstag auch hierzulande anläuft, in den USA bereits sämtliche Rekorde. Achtzig Millionen Dollar wurden allein am ersten Aufführungsabend eingespielt, es kam tatsächlich zu hysterischen Prügeleien jugendlicher Fans vor zahllosen Premierenkinos. Für Pankraz ist das ein großes Rätsel. Der erste Film der von Hollywood arrangierten Stephenie-Meyer-Vampir-Serie. „Twilight. Bis(s) zum Morgengrauen“, war ein solcher Mist, daß man es kaum fassen konnte. Mit dem neuen wird es, wie die vielen vorab gezeigten „Trailer“ vermuten lassen, nicht anders sein. Was geht da vor?
Sicherlich, Kinder lieben nicht nur Teddybären, sie gehen auch mit Tyrannosaurus Rex und anderen Monstern ins Bett, wenn die nur ordentlich kuschelig sind. Aber was wollen sie mit Vampiren? Das sind doch Leichen, Zombies, Untote, die nächtlicherweile aus ihrem Grab steigen, um speziell junge Mädchen zu überfallen und ihnen Blut abzusaugen!
In ihrem Herkunftsgebiet, den rumänischen Karpaten, einem der finstersten Winkel Europas, verbreiteten sie einst vielen Dorferzählungen zufolge nichts als Angst und Schrecken und mußten, wenn man ihrer habhaft wurde, grausam gespießt und verbrannt werden, damit man sie endlich los war. Sie waren das Übel an sich und überhaupt.
Bei Bram Stoker und anderen Horrorautoren kamen die Vampire denn auch stets äußerst schlecht weg. Doch dann erschien eines Tages eine junge Mormonen-Betschwester und leidenschaftliche Kämpferin für die voreheliche Keuschheit der Teens und Twens, Stephenie Meyer aus dem US-Staat Connecticut, und schrieb das Buch „Twilight. Bis(s) zum Morgengrauen“. Das war im Jahre 2005, und seitdem ist die Welt nicht mehr die, die sie einmal war.
Die Vampire spazieren nun auch tagsüber ungeniert umher, heißen Edward Cullen, sind durch die Bank schöne Jünglinge und sehnen sich so unendlich nach Liebe und Zuneigung, daß alle Mädchen auf diesem Planeten wie Bella Swan, die Heldin in Meyers Buch, vor Ergriffenheit zerfließen. Mit nüchternen Worten: Meyers „Bis(s) zum Morgengrauen“ und alle weiteren Bis(s)-Schwarten und Bis(s)-Filme wurden ein ungeheurer internationaler Geschäftserfolg, die Jugend aller Länder verschlingt sie, ungeachtet des Umstands, daß ihr Stil äußerst banal ist und immer nur wieder dasselbe erzählt wird.
Gewisse Geschichten kann man eben einfach nicht oft genug erzählt bekommen, in welcher Form auch immer, und dazu gehört offenbar auch die Geschichte von der tragischen Liebe zwischen einer braven Highschool-Absolventin und einem niedlichen, gut erzogenen kleinen Vampir, der sich geniert, Blut abzapfen zu müssen. „Sie konnten zueinander nicht kommen“ – das ist ein uralter Topos, der die Märchen und Mythen der Völker durchzieht und heute noch Jung und Alt zu Tränen zu rühren vermag.
Freilich, meistens sind die Liebenden, die nicht zusammenkommen können, einander in Schönheit und Rang ebenbürtig, es sind beides Prinzen bzw. Prinzessinnen und „wie füreinander bestimmt“. Daneben gibt es noch den Märchentopos „Die Schöne und das Biest“, wo nur die eine Seite (das Biest) unendlich liebt, die andere (die Schöne) hingegen lediglich von Mitleid und Erbarmen angeleitet wird und manchmal zusätzlich noch von der Hoffnung, daß in dem Biest ein leider verzauberter Prinz verborgen sei, den man zum strahlenden Happy End wachküssen könne.
Keiner dieser gängigen Topoi wird in den Bis(s)-Büchern und Bis(s)-Filmen der Stephenie Meyer bedient. Es waltet vielmehr ein degoutantes, schwer überschaubares Durcheinander. Der Vampir, von Genealogie und Veranlagung her ein Biest ohnegleichen, kommt hier als schöner Jüngling daher, mit dem man ins Bett gehen kann, mit dem liebend zusammenzuleben aber zu allerbösesten Häusern führen würde. Bella Swan, die sich trotzdem in Edward Cullen verliebt, muß einsehen, daß sie bei fortdauernder Blutabnahme, bei ewigen Bissen in der Morgen-, Mittag- und Abendstunde schnell selber zum Vampir werden würde. Davor aber hat sie Angst.
Ob Stephenie Meyer ihre Bücher, wie ihr permissiv gesinnte Kritiker zornig unterstellen, wirklich als Menetekel und Warnung vor außerehelichem Geschlechtsverkehr angelegt hat? Der schöne, an sich sogar tugendhafte Vampir als tödliche Versuchung? Andere Kritiker behaupten genau das Gegenteil. Meyer lade den Außerehelichen bewußt mit hanebüchenen, grenzwertigen Sensationen (Blutsaugen, Zombietum) auf und mache ihn dadurch für jugendliche Sex-Eleven zusätzlich interessant.
Doch wie dem auch sei, die literarische und die filmologische Qualität der bisher erschienenen Bis(s)tümer ist auf jeden Fall miserabel, anders kann man es nicht sagen. Leider mindert das nicht ihre gesellschaftliche Wirksamkeit, verstärkt sie möglicherweise eher noch.
Soeben hat das Magazin Time Stephenie Meyer zu den hundert einflußreichsten Menschen des Erdballs erklärt. Sie habe mittlerweile Joanne K. Rowling glatt in den Schatten gerückt. Nicht mehr der charmante Zauberlehrling Harry Potter stehe im Zentrum jugendlicher Wertschätzung, sondern der Vampir Edward Cullen, ein Zombie und Blutsauger. Man kann schon verstehen, daß der Vatikan darüber unruhig geworden ist.