Er sei „kein Jud’, wie Juden Juden sind“, ließ Rainer Werner Fassbinder einst den Protagonisten seines Stückes „Der Müll, die Stadt und der Tod“ sprechen. Und seiner „Andersartigkeit“ sei er sich bewußt. Und so begab es sich, daß er als reicher Geschäftsmann durch die kalten Gemäuer der Frankfurter Innenstadt streunte, sich Prostituierte suchte, nur um mit ihnen zu kommunizieren.
Kommunikation sowie die reflexive Blende auf sein eigenes Leben, sein Umfeld, seine soziale Lage sind es auch, welche sich wie ein roter Faden durch das Werk Fassbinders ziehen. Und so war es kaum verwunderlich, daß er als Intendant des damals in linken Kreisen einflußreichen Theaters am Turm auch und gerade über das bewegendste Ereignis jener Zeit zu schreiben verstand – den Frankfurter Häuserkampf.
Bedeutende Köpfe entsprangen diesen Jahren der Main-Metropole: Joschka Fischer etwa oder auch Daniel Cohn-Bendit. Fassbinder jedoch thematisiert nur eine Persönlichkeit, den namenlosen reichen Juden, einen Spekulanten und Bauherren, den Freund des Bürgermeisters, der ihn aufgrund seiner Herkunft schützt, jenen emotional rückständigen Geschäftsmann, in so empathischer Exaktheit charakterisiert, daß sich der damals in Frankfurt ebenfalls mit Häusern spekulierende Ignatz Bubis sofort zu erkennen meinte.
Die Uraufführung 1985 mußte abgebrochen werden. Mit der Besetzung der Bühne durch Freunde und Anhänger Bubis’ erlebte Frankfurt einen der größten Kulturkämpfe der jüngeren deutschen Geschichte. Bubis selbst glaubte sich postum in Siegespose über den drei Jahre zuvor verstorbenen Fassbinder wähnen zu dürfen. Seitdem gab es in Deutschland lediglich einen recht schnell von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin abgewürgten Vorstoß im Jahre 1998.
Am 1. Oktober dieses Jahres jedoch wagt das Theater Mülheim an der Ruhr unter der Regie von Roberto Ciulli (75) erneut den Brettereklat. Und wo Ignatz Bubis damals „subventionierten Antisemitismus“ zu erspähen meinte, fabuliert nun die Jüdische Allgemeine, „antisemitische Klischees“ – dazu noch „in allerschlimmster Stürmer-Manier“ – verdienten nicht „die Freiheit der Kunst“.
Der Antisemitismusvorwurf greift freilich ins Leere. Schließlich ließ bereits Fassbinder in weiser Voraussicht seinen reichen Juden konstatieren: „Wenn man ein Wort ganz oft sagt, verliert es den Sinn, den es ohnehin nur zufällig hat.“ Roberto Ciulli jedenfalls kann sich entspannt zurücklehnen. Den Skandal hat er auf seiner Seite, und mit etwas Geduld wird er sich der Leistung erfreuen dürfen, einen zwanzig Jahre dämmernden Kulturkampf siegreich beendet zu haben. Vorhang auf!