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Aschenzeit für Ausgebrannte

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In jeder Generation löst es erneut Panik aus. Zwar haben die Älteren solche Erfahrung selbst durchstanden – aber leider erfolgreich verdrängt. Sogar ehemalige Punk- und No-future-Vertreter, die vor über 20 Jahren – bei Joint und Bier – Nirwana und Apokalypse beschworen –, selbst die sind ratlos über ihren Nachwuchs (sofern sie welchen haben). Wenn der plötzlich zwischen 12 und 18 Jahren den Antrieb verliert, in Müdigkeit versinkt und bloß noch „abhängen“ möchte. „Also, wir waren damals ganz anders“, erklärte mir jüngst eine Altersgenossin. Damals, das heißt zwischen 1980 und 1985. Und ihre Feststellung war hundertprozentig frei von Ironie und Selbstzweifeln…

Aber dieses Mißverständnis hat Tradition. Immer schon hat die Melancholie oder gar Depression (nach)pubertärer Jugendlicher die „Erwachsenen“ in Wut und Ratlosigkeit versetzt. Und jedesmal sind deren – als Therapie getarnte – Abwehrmaßnahmen garantiert wirkungslos. Die plus Verdrängung der eigenen Hängerphase gehen Hand in Hand. Warum aber wird dieser Lebensabschnitt als derart bedrohlich empfunden? Man weiß doch, daß er nur von kurzer Dauer ist. Antwort: Weil es die Erwachsenen kränkt und ängstigt, wenn der Nachwuchs sich in ihrer Weltkonstruktion nicht zuhause fühlt.

Im Mittelalter beispielsweise galten Melancholie und Langeweile als sündhaft. Aus dem damaligen Weltbild heraus verständlich: Beide Stimmungen lassen die Schöpfung dunkel und leer erscheinen, sind also ungeschminkter Protest gegen deren Schöpfer – gegen Gott. Strategie der Abwehrschlacht: Angst- und schlechtes Gewissen-Machen durch Brandmarkung als „sündhaft“.

Seele als Produkt von Nährstoffen

Gehen wir ins China der frühen Tsing-Zeit, als der Erfolgsroman „Der Traum der roten Kammer“ (1737) entstand. Ein früher Jugendroman, der ausschließlich 12- bis 19jährige Protagonisten aufführt und in dieser Altersgruppe auch seine Leserschaft fand. Der anonyme Autor schildert in einem Kapitel die psychosomatischen Leiden der jungen Blaujuwel. Das Teenager-Mädchen ist interessenlos, apathisch und kränkelt.

Die Ärzte sind ratlos, nur ein Verwandter, Pao Tschai, errät die psychische Ursache ihrer Symptome und wirft ihr vor: „Dieses mühsame Sichhinschleppen ist doch kein Leben.“ Sofort spielt er den makrobiotischen Missionar: „Die Ernährung macht das Leben! Es liegt an deiner falschen Ernährung, darum versagen deine Lebensgeister.“

Hier wird die (traurige) Seele maßgeblich zum Produkt von Nährstoffen – wie bei der antiken Säftetheorie und den „ganzheitlichen“ Biokost-Anhängern unserer Tage. Welch simple Erklärung für das Leiden all jener, die im Dienst der „Fee des schreckhaften Erwachens“ stehen, „die im Reich großer Leere herrscht“ – wie der chinesische Dichter dieses Elend benannte.

Soviel zur asiatischen Abwehrschlacht. Aber gab es denn keine Epoche, keine Kultur, die es mal richtig gemacht hat? Die über adäquate Umgangformen für das seelische Siechtum der Jugend verfügte? Doch! Und das waren – Rudolf Keyser zufolge – die Wikinger! Dort gab es nämlich bei Heranwachsenden die sogenannte „Aschenzeit“, ein Auffang-Ritus für den dunklen Lebensabschnitt.

Gefühle von Erloschen- und Ausgebranntsein

In den großen Gemeinschaftshäusern fanden sich zwischen den Sitzbänken und der Feuerstelle lange Aschenhaufen. Darauf sah man „junge Männer ständig um das Feuer kauern, sich in der Asche wälzen und Asche essen; ihnen lag weder daran, sich mit irgend etwas Nützlichem zu beschäftigen, noch sich sauberzuhalten.“

Manchmal verbrachten Heranwachsende zwei Jahre lang ein Dasein als „Schlackenesser“, wie man sie damals nannte. Danach kehrten sie ins alltägliche Leben zurück. Was für eine perfekte Integration, was für ein adäquater Ausdruck ihrer Gefühle von Erloschen- und Ausgebranntsein! Solche Aschenzeiten waren auch in zahlreichen afrikanischen und südamerikanischen Kulturen integriert.

Und heute? Wird wieder eine Abwehrschlacht geführt. Man suggeriert entleerten Teenagern, bloß nicht den „Anschluß“ zu verlieren. Drängt sie, mit 20 schon einen mehrseitigen Lebenslauf vorzulegen, zahllose Praktika zu absolvieren und die glitzernden Müllberge der Konsumgesellschaft zu erklimmen. Bei den Unverbesserlichen ersetzt man die Makrobiotik durch Psychopharmaka. Oder gönnt ihnen sogar eine Auszeit in der Psychiatrie. Vielleicht ist die ja der moderne Aschenplatz? Wo aber nur Schwerstbetroffene das Recht auf Schlackenessen haben.

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