MÜNCHEN. Das Münchner Schwurgericht hat am Dienstag den ehemaligen Wehrmachtsoffizier Josef S. zu lebenslanger Haft verurteilt. Ihm wird der Mord an zehn Zivilisten und ein versuchter Mord zur Last gelegt. Vom Vorwurf des Mordes an weiteren vier weiteren Personen wurde der ehemalige Gebirgsjäger freigesprochen. Eine „besondere Schwere der Schuld“ wurde nicht festgestellt.
Damit folgten die Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Dem Neunzigjährigen wird vorgeworfen, als Leutnant und Kompaniechef in der Gebirgsjägertruppe im Juni 1944 nach dem Tod zweier deutscher Soldaten eine Vergeltungsaktion gegen italienische Partisanen in der Toskana befohlen zu haben. Dabei sollen 14 Personen getötet worden sein.
Die Urteilsbegründung gab einen erschütternden Einblick in die Realität des Partisanenkrieges. Josef S. war Führer einer Kompanie der 1. Gebirgs-Pionier-Division. Er war beautragt, eine Brücke über einen Bachlauf nahe Falzano di Cortona instandzusetzen, um den Rückzug der Wehrmacht aus der Region zu gewährleisten. Der Feind stand nur etwa zwanzig Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt und war auf dem Vormarsch. Es herrschte allerhöchster Zeitdruck.
Zwei erschossene Wehrmachtssoldaten
S. sandte drei Soldaten seiner Kompanie aus, um ein Fuhrwerk zu requirieren, das er für die Instandsetzung der Brücke benötigte. Als sie nicht zurückkehrten, begab er sich auf die Suche und fand zwei seiner Kameraden erschossen und den Dritten schwer verwundet auf.
Die Region war bis dahin kein Partisanengebiet gewesen. Nach Ansicht des Gerichtes war der Angeklagte von diesem Vorfall persönlich sehr betroffen und fühlte sich für den Tod seiner Kameraden mitverantwortlich. Er organisierte die Beerdigung und beantragte bei der Division die Genehmigung einer Sühneaktion und die Unterstützung durch Feldgendarmerie. Die Sühneaktion wurde genehmigt, als Unterstützung aber lediglich ein kleines Flak-Geschütz zur Verfügung gestellt, das zur effektiven Partisanenbekämpfung nicht geeignet war.
Josef S. ordnete laut Gericht an, die nähere Umgebung abzusuchen und männliche Personen zu verhaften. Elf Personen zwischen 15 und 69 Jahren wurden aufgegriffen. Vier weitere Personen wurden erschossen. Die Gefangenen wurden in ein Gebäude in Falzano di Cortona eingesperrt und das Gebäude gesprengt. Nach der Sprengung wurde mit Handfeuerwaffen in die Trümmer geschossen, bis die letzten Klagen noch Lebender verstummten. Nur ein damals 15jähriger überlebte schwer verletzt. >>
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Josef S. hatte die Vorwürfe während der fast ein Jahr dauernden Beweisaufnahme stets bestritten. Die Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert. Er habe von dem Geschehen keinerlei Kenntnis gehabt und sei ausschließlich mit der dringenden Instandsetzung einer Brücke beschäftigt gewesen, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen habe.
Das erachtete die Strafkammer als nicht glaubwürdig, unter anderem, weil der Ort des Massakers weniger als einen Kilometer von der Brücke entfernt liege. Josef S. war der einzige dienstführende Offizier vor Ort.
Der Vorsitzende Richter verneinte das Mordmerkmal der Grausamkeit. Es sei nicht erwiesen, daß der Angeklagte den Opfern besondere Qualen habe zufügen wollen. Bejaht wurde dagegen das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“, weil die Tötung ausschließlich zur Rache angeordnet worden sei.
Verteidiger kündigen Revision an
Insbesondere begründete das Gericht den schweren Schuldspruch damit, daß der Mord an den deutschen Soldaten nicht untersucht und nach den Mördern nicht gefahndet worden war, sondern statt dessen Personen hingerichtet wurden, die mit dem Mord an den Soldaten nichts zu tun gehabt hatten. Da die Wehrmacht bereits im Abzug begriffen war, sei diese Hinrichtung unbeteiligter Personen auch nicht durch Abschreckung zur Gewährleistung der eigenen Sicherheit zu rechtfertigen gewesen. Die Verteidiger von Josef S. kündigten an, Revision einzulegen.
In seinem Schlußwort vor Gericht hatte S. gesagt: „Ich habe elf Jahre meines Lebens für das so genannte Vaterland geopfert. Was jetzt nach 65 Jahren mit mir gemacht wurde, das wünsche ich keinem.“
Das Verfahren erregte als mutmaßlich einer der letzten „Kriegsverbrecher-Prozesse“ in Deutschland großes mediales Aufsehen.