Eins muß man den Grünen lassen: Sie sind äußerst wandlungsfähig. Opponierte der einst bunte Haufen in seinen Anfangsjahren vehement gegen das Parteiensystem und zeichnete sich durch zwar diskussionswürdige, aber immerhin ganz konkrete Forderungen aus (Atomaussieg, Austritt aus der Nato), hat die nach diversen Regierungsbeteiligungen längst etablierte Partei nun den Reiz möglichst blumiger Wahlversprechen für sich entdeckt.
Nicht weniger als eine Million neue Arbeitsplätze traut sich die ehemalige Anti-Parteien-Partei dem Wahlvolk zu versprechen, sollte sie die Möglichkeit bekommen, nach der Bundestagswahl ihren „Green New Deal“ umzusetzen, den die Bundesdelegiertenkonferenz am Wochenende in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat. Da liegt der Gedanke an die sprichwörtlich gewordenen „blühenden Landschaften“ nahe. Ermöglicht werden sollen die neuen Arbeitsplätze durch eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft unter dem Motto „Klimaschutz, Gerechtigkeit, Freiheit“.
Der Parteitag hat dabei vor allem eins ganz deutlich gezeigt. Die Grünen wirken immer noch sonderbar unbeholfen, wenn sie das ihnen vertraute Terrain des Umweltschutzes und des Gesellschaftsumbaus verlassen müssen. Das hatte die Grünen schon im vergangenen Bundestagswahlkampf arg ins Schwitzen gebracht. Doch die anhaltende Wirtschafts- und finanzkrise läßt ihnen auch in diesem Jahr keine andere Wahl.
Und so war in Berlin viel von harter Wirtschaftspolitik und wenig von rosaroten Zukunftsträumen zu hören. Vielleicht liegt hier der Grund dafür, daß die Delegiertenkonferenz seltsam uninspiriert wirkte: Nicht einmal das Parteitagslogo war den Grünen so richtig gelungen. Unter der Überschrift „Grün dreht das!“ prangte hinter dem Präsidium im Berliner Velodrom das Bild eines Getriebe aus stählernen Zahnrädern, in deren Mitte ein Rädchen in Gestalt einer Sonnenblume sein Werk verrichtete. Doch der Anblick des Sonnenblumzahnrads mit seinen auffallend unregelmäßig gearbeiteten Zahnrädern weckte bei so manchem Betrachter die Befürchtung, es werde bei der nächsten Umdrehung unweigerlich alles zum Halten bringen. Stillstand statt grüner Fortschritt?
Derweil lümmelten sich die Mitglieder der Grünen Jugend, jener Nachwuchsorganisation, die nur gelegentlich durch Skandale wie das öffentliche Urinieren auf eine Deutschlandflagge auffällt, in der Lobby der Veranstaltungshalle gelangweilt auf einem Ledersofa. Etwas Abwechslung bescherte ihnen lediglich der Auftritt der SPD-Kandidatin für die Wahl des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, deren Kandidatur auch von den Grünen unterstützt wird und die sich sichtlich wohlfühlte.
Programmatisch kann der Parteitag und das dort beschlossene ökonomisch bestimmte Wahlprogramm getrost als Linksruck (Mindestlohn, Vermögensabgabe, Erbschaftssteuer) gewertet werden. Es sei denn, die Partei wollte ganz bewußt ihren Vorrat an Verhandlungsmasse für künftige Koalitionsgespräche auffüllen. Hier haben sich die Grünen alle Optionen offengelassen, nur eine Jamaika-Koalition mit FDP und Union solle es mit ihnen nicht geben.
Bei all den Diskussionen über Wirtschaftspolitik und Koalitionen war es für viele Delegierten Labsal für die grüne Seele, als am Sonnabend ihre Parteifreundin „Andrea“ ans Mikrofon trat und sie aufforderte, sich mit den Gegnern des Anti-Islamisierungskongresses in Köln zu solidarisieren. Die Delegierten taten wie ihnen geheißen und erhoben sich, um klatschend gegen die Veranstaltung „europäischer Rassisten“ zu demonstrieren. Auch bei der Verpflegung waren die Grünen wieder ganz bei sich. So hat die zuständige Firma „bewegte speisen“ extra Zettel ausgehängt, auf denen darauf hingewiesen wurde, daß das Unternehmen die von ihm verursachten Treibhausgase durch die Förderung eines Waldschutzprojektes im Samboko-Ituri-Regenwald in der Demokratischen Republik Kongo wiedergutmacht. Zumindest in Afrika wird der Parteitag also vermutlich für blühende Landschaften sorgen.