Wer kennt sie nicht, die Freaks, die Computer-Junkies oder Couchpotatoes, die sich in ihrem Keller-Biotop isolieren und oftmals nichts von Alltag und Mitmenschen wissen wollen? Nicht selten bescheinigt man ihnen einen Realitätsschwund, das Leben in einer eigenen kleinen Welt. Es fehle ihnen der Kontakt nach außen, die entsprechende Sozialisation.
Ist die isolierte Insellage der Japaner nun auch der Grund für das spezielle Aufkommen jener (pop-)kulturellen Phänomene, die das über 127 Millionen zählende Volk für Außenstehende genauso skurril wie quirlig oder einfach nur sympathisch erscheinen lassen?
Individuen mit Hang zum Exotischen ist es zu verdanken, daß die vielseitigen japanischen Lebenskulturen auch in immer mehr europäische Haushalte einziehen: von der japanischen Wohnkultur (zum Beispiel die obligatorischen Schiebetüren Fusuma) bis zum Frönen japanischer Gartenkunst, der filigranen Papierfaltkunst (Origami) oder der Bewunderung fernöstlicher Kampfkunst und Kriegerkultur (Samurai).
Selbstverständlich stecken derlei Trends noch in den Kinderschuhen, vergleicht man sie quantitativ mit der – nicht nur bei Jugendlichen enorm erfolgreichen – Manga und Anime-Kultur, die Jahr für Jahr vorzügliche Wachstumszahlen vorweisen kann. Gesonderte Messebereiche auf den großen Buchmessen sind da nur eine logische Konsequenz: Schließlich sorgen verkleidete Cosplayer und schrillen J-Pop dudelnde Fans für eine drastische Senkung des allgemeinen Altersdurchschnitts, aber auch für klingende Kassen.
In einem Zeitraum von nur fünf Jahren wuchs der Manga-Bruttoumsatz deutschlandweit explosionsartig von etwa vier Millionen Euro 2000 auf über 70 Millionen Euro 2005. Der Manga-Sektor, der sich in Deutschland – im Vergleich zu den europäischen Nachbarn recht spät – erst 1996 mit „Dragon Ball“ (Carlsen-Verlag) endgültig etablieren konnte, ist der am stärksten wachsende Bereich im deutschen Buchmarkt.
Obwohl Japan nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg einer modernen Industrienation eingeschlagen hat, blieb trotz des Einzugs der Moderne eine gewisse, sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Lebenskulturen ziehende Erkennbarkeit des japanischen Gemüts erhalten. Was ist es nun, dieses „typisch Japanische“, das gerade den Nerv der Zeit trifft?
Eltern erinnern sich mit Schrecken an die kurzzeitig in Mode geratenen Tamagotchis: eine Art Mini-Lebensgefährte für die Jackentasche, den man durch fürsorgliches Knöpfchendrücken füttert, unterhält und pflegt.
Oder die beispiellos erfolgreiche Videospiel- und TV-Serie Pokémon! Sinn der Sache war es, mehr oder weniger tierähnliche Geschöpfe aus ihrem natürlichen Lebensraum zu „schnappen“, sie zu sammeln, zu trainieren, nur um sie dann gegen die ebenso lebensraumberaubten und dressierten Monster des Gegners kämpfen zu lassen. Seltsam, doch unzweifelhaft ein riesiger Erfolg.
Sind das nur die Vorstufen für noch weitaus skurrilere japanische Trend-Ausprägungen wie Erotikvideospiele (Eroge) oder den so klischeehaft wie real existenten Schulmädchen-Fetischismus? Einen Schritt in diese Richtung macht der „Japan Trendshop“ (www.japan-trendshop.com). Dort kann man beispielsweise für 49 Euro einen „Pistolenschuß Alarm-Wecker“ erwerben. Während manch ein deutscher Michel erst mit der morgendlichen Tasse Kaffee in die Gänge kommt, wird vom versierten Trendsetter erwartet, den Alarm via Schuß mit der Gun O’Clock (Bandai) auf die dazugehörige Zielscheibe auszuschalten – pardon, auszuschießen.
Der Clou bei der Sache: „Dies ist eine gute Methode, um Ihre Sinne wach zu bekommen. Ein Knopf an einem üblichen Wecker könnte das nie erreichen.“ Wen solche Argumente überzeugen, der wird sich auch von der vitalisierenden Wirkung des „Handgranaten Alarm-Weckers“ (33 Euro) oder der „Helicopter Alarm Clock“ überzeugen lassen.
Und sollte es noch immer Zweifler geben, immer noch die altbackenen Nörgler und ewigen Skeptiker, die das japanische Allerlei als vergänglichen Trend und als kitschigen Schnickschnack abtun: Spätestens die Brauchbarkeit der „Schrei-Vase“ (59 Euro), die eigene Laute absorbiert und an der Endöffnung als leises Tönen wieder aussendet, sollte in so manchen Situationen unbestritten sein – laut „Japan Trendshop“ übrigens auch ein idealer Geschenktip „für die lauten Menschen in Ihrem Leben“.
Die Betreiber des Japan-Mode-Labels Yakitori (www.yakitori-fashion.de) benennen mit ihrer Vorgabe, freche Farben und provokante Motive zu verwenden, letztlich den Hauptbestandteil westlicher Japanophilie.
Längst festgezurrt hat sich eine wachsende Jugend-Subkultur, die frech, aber harmlos sämtliche Konventionen bricht, und mit dem Zelebrieren ihrer Fantasiewelten in der Realität einen Zusammenprall provozieren will, in dem letztlich ein Ruf nach Aufmerksamkeit und Sinngebung laut wird.
Fotos: Pistolenschuß-Wecker: Vitalisierend; Schrei-Vase: Entspanntes leises Flüstern