Unter erheblicher Kritik hat sich die russische Duma für die Übernahme der alten Sowjethymne als Nationalhymne Rußlands ausgesprochen. Präsident Wladimir Putins Gesetzentwurf sieht vor, einen neuen Text für die alte Hymne entwerfen zu lassen. Der ehemalige Präsident Jelzin, sowjetische Dissidenten und russische Intellektuelle äußerten daraufhin Bestürzung, und eine Stalinismus-Diskussion setzte ein. Rund 50 Prozent der Russen stimmen der Hymneneinführung zu. Werden jetzt alte Schreckgespenster wieder wach? War der Zusammenbruch der Sowjetunion das "Versailles" Rußlands, das es jetzt für den größeren Teil der Russen psychologisch wieder zu reparieren gilt? Schwingt sich Putin an, als neuer russischer Zar revisionistische Tendenzen zu betreiben? Doch halt, unterwerfen wir Deutschen uns nicht den antrainierten Reflexen, in denen schon das Singen der dritten Strophe unserer eigenen Hymne als verdächtig gilt?
Rußland sucht einen eigenen Weg. Spätestens die wirtschaftliche Krise 1998 führte bei vielen Russen zu der Einsicht, daß das Westsystem nicht blind zu kopieren sei. Mit kritischem Blick wird der massive Einbruch der "Neuen Aktienmärkte" im Westen beobachtet. Die Entwicklung auf dem Balkan wird vielfach als tiefe Demütigung empfunden. Hat der Westen eine Berechtigung (s)eine Leitkultur nach Rußland zu exportieren, die die Selbstaufgabe der Identität mit naiver Konsumsucht kombiniert? Es gibt Herausforderungen in Deutschland und Rußland, die sich ähneln. Sich gegenseitig zu helfen, ein gesundes Selbstbild zu finden und eine eigene Identität zu entwickeln, ist überfällig.