Die Krisenlawine aus den USA begräbt jetzt auch in Osteuropa die ersten Opfer. Die Ukraine schlingert in den Staatskonkurs. Lettland, Weißrußland, Georgien und Ungarn rettete der Währungsfonds (IWF). Rumänien verhandelt noch, Bulgarien, Litauen und Kroatien sind weitere Kandidaten. In Rußland ist der Aluminium-Oligarch Oleg Deripaska laut dem Moskauer Magazin Finans mit 5 statt 40 Milliarden Dollar nicht mehr der reichste Russe – für diesen Titel reichten nun die 14,1 Milliarden Dollar des Michail Prochorow, Chef von Polyus Gold.
Seit August fällt der Euro, die Ostwährungen stürzen sogar dramatisch ab: die ukrainische Griwina um 50 Prozent, der polnische Złoty um 40 Prozent, der Rubel um 22 Prozent, der ungarische Forint um 20 Prozent, die Tschechenkrone und der rumänische Leu um je 15 Prozent. Das erschwert es den dortigen Unternehmern und Verbrauchern, die vielen Fremdwährungskredite zu bedienen, die sie unbedenklich aufgenommen hatten. Seit 2005 haben sich die Bankenkredite an Osteuropa auf 1,320 Billionen Euro verdreifacht. Das Wirtschaftswachstum im Osten war – wie in den USA, Irland, Spanien oder Großbritannien – hauptsächlich fremdfinanziert. Mit dem Platzen der Schuldenblase ist der Absturz vorprogrammiert, möglicherweise auch für die Gläubiger.
Am stärksten exponiert sind österreichische Banken: Raiffeisen International in der Ukraine und Kasachstan, die Erste Bank in Rumänien, die Bank Austria in der ganzen Region und die von der Bayerischen Landesbank erworbene Hypo Alpe Adria in Kroatien und Bosnien (JF 46/08). Die Ostkredite machen mit 230 Milliarden Euro 78 Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus – 29.000 Euro pro Einwohner. Fallen nur zehn Prozent aus, gerät der Wiener Bankensektor mit seinem Klumpenrisiko im Osten in ernste Turbulenzen. Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) warb deshalb für ein EU-Rettungspaket für Osteuropa. Die österreichische Raiffeisen behauptet, 350 Milliarden Euro seien für die Rekapitalisierung der Banken nötig. Kapitalmarktexperten halten derzeit einen Zahlungsausfall Österreichs für wahrscheinlicher als den Staatsbankrott Italiens. Schwedische Banken haben sich an der Finanzierung der Immobilien- und Konsumblase im Baltikum verhoben. Griechische Banken laborieren an ihren Krediten auf dem Balkan und die belgische KBC am tschechischen Engagement.
Am dramatischsten ist die Lage der Ukraine. Die Preise für Stahl, ihr Hauptexportprodukt, sind im Keller. Für die Erdgasimporte müssen künftig westliche Marktpreise gezahlt werden. Die ukrainische Naftogas ist praktisch pleite, weil die Kunden entweder nicht zahlen oder verbilligtes Gas beziehen dürfen. Ein neuer Gasstreit mit Rußland ist vorprogrammiert. Im laufenden Jahr soll die Wirtschaft um zehn Prozent einbrechen. Der IWF hat die Zahlung der zweiten Tranche des Stützungskredits von 16,5 Milliarden Dollar storniert, weil Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko sich weigert, die Sozialausgaben und das Etatdefizit von vier Milliarden Dollar zu kürzen. Jetzt springt Moskau mit fünf Milliarden Dollar ein. Laut Präsident Viktor Juschtschenko, ihrem politischen Feind, hat sie das ukrainische Gasleitungsnetz an Moskau verpfändet. Rußland mit seinen angesparten Öl- und Erdgasmilliarden nutzt die Gunst der Stunde. Weißrußland und Kirgisien erhielten je zwei Milliarden Dollar an Krediten. Bischkek kündigte dafür den US-Luftstützpunkt in Manas auf. In Serbien erwarb Gasprom für 400 Millionen Dollar den Ölkonzern NIS.
Im Gegensatz zur Rußlandkrise von 1997/98 verfügt Moskau diesmal über enorme Devisenreserven, von denen es ein Drittel (200 Milliarden Dollar) bereits zur Rubel-Stützung ausgegeben hat. Der Verfall der Rohstoffpreise läßt zudem die Versäumnisse der guten Jahre offensichtlich werden: die Vernachlässigung der Infrastruktur und der verarbeitenden Industrie. Die Industrieproduktion sank bereits um 20 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen stiegen allein im Dezember um 500.000 auf 7,7 Prozent. Angesichts ihrer Kreditklemme verpfändeten Rosneft und Transneft bereits für 20 Milliarden Dollar sibirisches Öl an China.
Während der russische Staat noch sehr liquide ist, ist die russische Privatwirtschaft mit 500 Milliarden Euro zumeist bei westeuropäischen Banken verschuldet. Die Moskauer Börse fiel um 70 Prozent. Die überschuldeten Oligarchen müssen ihre mit Aktienpaketen besicherten Reichtümer umschulden. Deripaska mußte sich von seinen deutsch-österreichischen Anteilen bei Hochtief und Magna trennen. Seine Anteile am Baukonzern Strabag stehen kurz vor der Rückabwicklung. Ob er den Aluminiumgiganten Rusal mit seinen 17 Milliarden Dollar Schulden halten kann, hängt von den Umschuldungsverhandlungen ab. Premier Wladimir Putin machte unmißverständlich klar, daß die Oligarchen mit keinerlei Staatshilfen rechnen könnten. In Wladiwostok kam es bereits zu Krawallen, ebenso in Wilna oder Sofia.
In Lettland, das als „baltischer“ Tiger noch 2007 um zwölf Prozent schuldenfinanziertes Wachstum hatte, bricht die Wirtschaft im laufenden Jahr um zehn Prozent ein, die Arbeitslosigkeit steigt auf zehn Prozent. „Lettland hatte eine Party. Die ist jetzt vorbei“, meinte Zentralbankchef Ilmārs Rimšēvičs in der FAZ. Nach Massenprotesten kam es bereits im Januar zu schweren Ausschreitungen, meist durch betrunkene jugendliche Russen in Riga. Im Februar zerbrach die Regierung von Ivars Godmanis, wie lange sich sein designierter Nachfolger Valdis Dombrovskis halten wird, weiß niemand.
In Polen und der Tschechei – wo man sich von kreditbefeuerten Exzessen kaum anstecken ließ und wo sich die Auslandsbanken in Zurückhaltung übten – sowie den Euro-Ländern Slowenien und Slowakei sind die Industrieexporte zwar auch dramatisch eingebrochen. Von einer Finanzkrise mit ihren massiven Einbrüchen und sozialen Härten bleiben sie jedoch bislang verschont.
Dr. Albrecht Rothacher veröffentlichte 2008 das Buch „Stalins langer Schatten: Medwedews Rußland und der postsowjetische Raum“ mit umfassenden ökonomischen Analysen.
Foto: Raiffeisenbank in Rußland: Oligarchen verloren Milliardensummen