Die Gegner des Familienwahlrechts haben es schwer, vernünftige Argumente zu finden. Sie haben es aber leicht, die Initiative der 46 Abgeordneten zu ignorieren – so wie sie manche Urteile des Bundesverfassungsgerichts und die Interessen der Familien generell schlicht verdrängen. Denn die Familie, mithin das Familienwahlrecht hat im politisch-medialen Establishment in Berlin und anderswo wenig Freunde. Und deshalb ist es gut, daß die 46 nicht nachlassen. Am liebsten wäre den Gegnern, man könnte die Idee in den Ruch der braunen Diktatur rücken, so wie man noch vor ein paar Jahren jede familienpolitische Initiative mit der Frage totschlug, ob man das Mutterkreuz wieder einführen wolle. Dann wäre auch diese Initiative sofort tot. Aber es war der Widerstand, der sich diese Idee für die künftige Neugestaltung Deutschlands auf die Fahnen schrieb. Der Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke dachte diese Option durch und sie gehört auch zum politischen Vermächtnis von Carl Friedrich Goerdeler, der – zum Tode verurteilt – im September 1944 im Gefängnis mit Blick auf die Zukunft Deutschlands schrieb: „Der Familie gebührt besonderer Schutz als der Zelle staatlichen und völkischen Aufbaus. Das geschieht durch Zuweisung der Erziehungsaufsicht an sie und durch die Errichtung einer Kinder-Rentenkasse, die kinderreichen Familien Renten zu Lasten kinderloser und kinderarmer zuweist; außerdem ist das Wahlrecht für Verheiratete mit mindestens drei Kindern bei dem Vater ein doppeltes.“ Das heutige Modell würde freilich nicht den Vater allein berücksichtigen, sondern beide Eltern. Beide würden treuhänderisch die politischen Interessen der Kinder wahrnehmen, bis diese selber politisch mündig sind. So würde der urdemokratische Grundsatz „one man, one vote“ verwirklicht. Bis das Denken in der Politik soweit ist, wird es noch manche Kampagne brauchen. In der katholischen Kirche ist es hier und da schon verwirklicht. Seit Mitte der achtziger Jahre wird das Familienwahlrecht in der Erzdiözese Wien bei Pfarrgemeinderatswahlen ausgeübt, und auch der frühere Erzbischof von Fulda, Johannes Dyba, der die Initiative „Allgemeines Wahlrecht“ unterstützte, hat es in den neunziger Jahren in seiner Diözese eingeführt. Andere Bischöfe tragen sich mit dem Gedanken. Schließlich würde er das Subsidiaritätsprinzip auf einer entscheidenden Ebene verwirklichen. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es in Artikel 20 Absatz zwei des Grundgesetzes. Solange zwanzig Prozent des Staatsvolkes als nicht wahlberechtigt ausgeschlossen werden, „kann von einem wirklich allgemeinen Wahlrecht nicht die Rede sein, gibt es ohne zwingende Gründe Bürger erster und zweiter Klasse“ (Konrad Löw). Und daß mit der Ausweitung des Wahlrechts „die Würde auch der Kinder Betonung fände, dürfte für all jene eine Selbstverständlichkeit sein, die die Demokratie für die humanste Staatsform halten“. Noch ist das Denken nicht soweit, noch hat die Selbstverständlichkeit ideologische Barrieren, so wie damals, vor knapp hundert Jahren, als die Suffragetten für das Wahlrecht der Frauen stritten. Angesichts der demographischen Schieflage in Deutschland und Europa kann man aber voraussagen, daß ohne eine rasche politische Änderung – etwa durch die Einführung des Familienwahlrechts – diese Demokratie mit ihren Sozialsystemen keine weiteren zwanzig Jahre erleben wird. Diese Erkenntnis dämmert, und deshalb ist die Initiative lang- oder gar mittelfristig nicht chancenlos. Die Diskussion ist das Etappenziel. Man wird einen Gesetzesentwurf debattieren, in erster und zweiter und dritter Lesung. Es wird Aufregung geben bei der Linken und bei den Grünen und den Steinbrücks und von der Leyens, all denen, die die klassische Familie gedanklich bereits abgeschrieben haben oder nur noch in Funktion der Wirtschaftsinteressen und des Arbeitsmarktes sehen. Und gerade diese Aufregung ist es wert, die Initiative erneut zu starten. Immerhin geht es um rund 14 Millionen neuer Stimmen. Diese Initiative hat staatspolitischen Charakter, ja ein historisches Flair. Es würde die Republik verändern. Namhafte Juristen sind an der Initiative beteiligt, sie haben die Verfassungskonformität des Anliegens geprüft. Auch mehrere bekannte Politiker sprechen sich dafür aus, zum Beispiel die frühere SPD-Familienministerin Renate Schmidt oder Alt-Bundespräsident Roman Herzog. Die Initiative liegt voll in einem historischen Trend. Denn die Geschichte des Wahlrechts ist de facto die Geschichte von der Ausdehnung des Wahlrechts, von zunächst Fürsten und Adligen auf Großgrundbesitzer, Geldadel, Männer, dann Frauen und seit einigen Jahren auf das Wahlalter. Das lag früher bei 21, jetzt bei 18 Jahren (nach einer Änderung des Grundgesetzes), und in manchen Bundesländern liegt es bei Kommunalwahlen sogar schon bei 16 Jahren. Gelänge die Ausweitung des Wahlrechts auch auf die Kinder, wäre ein Run der Politik zur Verbesserung des Familienleistungsausgleichs die Folge. Davor haben die Kinderlosen im Establishment Angst. Jürgen Liminski ist Journalist und Publizist. Er befaßt sich vorrangig mit Fragen der Gesellschafts- und Familienpolitik.
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