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Die Rückkehr des Kapitalismus

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Viele haben schon geglaubt, er sei tot. Im Sozialismus wurde er qua Dekret abgeschafft, in den westlichen Industriegesellschaften wurde er drangsaliert, sozialstaatlich eingegrenzt, politisch durchsetzt und bürokratisch reguliert: der Kapitalismus! Doch allen frühzeitigen Todesbotschaften zum Trotz: Der Kapitalismus lebt, er ist vital wie nie und schickt sich an, endgültig die Weltherrschaft anzutreten. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus scheint es für ihn keine Grenzen mehr zu geben, das Kapital operiert weltweit und erfaßt alle Regionen und durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche. Die Verwertungslogik des Kapitals scheint zur einzigen Ordnungsform moderner Gesellschaften zu avancieren. Dabei hat sich der Kapitalismus seit dem Zusammenbruch des Sozialismus „radikalisiert“: Wie der französische Wirtschaftspolitiker Michel Albert in seinem immer noch viel zu wenig beachteten Buch „Kapitalismus contra Kapitalismus“ (1992) feststellt, läuft das „rheinische Modell“ des gebremsten Kapitalismus zugunsten eines „neo-amerikanischen“ Modells aus, in dem der kurzfristige Gewinn und der sharehol-der-value im Zentrum steht. Die Krise der mitteleuropäischen Gesellschaften (insbesondere Deutschlands) ist im wesentlichen auf diesen Transformationsprozeß der Radikalisierung des Kapitalismus zurückzuführen. Da in Deutschland noch immer Elemente des rheinischen Kapitalismus mit seiner Sozialverpflichtung des Kapitals vorherrschen, ist schlicht und einfach am Wirtschaftsstandort Deutschland die Profitrate zu gering, das Kapital wandert zu attraktiveren Standorten. So kommt es, daß Unternehmen wie die Deutsche Bank, obwohl sie guten Gewinn gemacht haben, Mitarbeiter entlassen und die Unternehmensstruktur verschlanken. Unternehmen entlassen eben nicht nur Mitarbeiter, wenn es ihnen schlechtgeht, sie entlassen auch Leute, wenn sie dadurch ihren Profit erhöhen können, sie orientieren sich an der durchschnittlichen Profitrate, die eben in anderen Ländern der Welt höher als in Deutschland ist. Sie tun dies nicht (nur) aus purer Geldgier: Sie müssen es tun, um nicht langfristig von kapitalkräftigeren Unternehmen geschluckt zu werden. Der neue radikalisierte Kapitalismus wurde möglich durch drei sich gegenseitig stützende und verschränkende Entwicklungen: – durch den Wegfall des Sozialismus als alternatives Gesellschaftsmodell – durch die kommunikationstechnische Globalisierung mit ihrer Vernetzung der Finanzmärkte – durch die Rationalisierung und Automatisierung von Produktionsabläufen. Durch diese Entwicklungen wurde das Kapital weltweit migrationsfähig. Alleine die produktionstechnischen Automatisierungsprozesse führen dazu, daß die Standortfrage dem Kapital zunehmend zur Disposition steht. Früher, als die Fertigungsprozesse nur mittels einer gut ausgebildeten Facharbeiterschaft zu erbringen waren, war das Kapital in vielfältiger Weise standortgebunden: Gute Autos konnten halt nur in Stuttgart gebaut werden. Heute ist man durch voll- und halbautomatisierte Fertigungsprozesse auf die Präsenz einer ausgebildeten und motivierten Facharbeiterschaft weit weniger angewiesen, man greift auf den „Kollegen Roboter“ zurück, und die wenigen gut bezahlten Fertigungs- und Überwachungsspezialisten können in jede Region der Welt eingeflogen werden. Das Kapital kann flexibel auf Standortvor- und -nachteile reagieren. Bereits Karl Marx hat diese Prozesse in seiner politischen Ökonomie vorausgesehen. Im „Kommunistischen Manifest“ schreibt er: „Die Bourgeoisie kann nicht existieren ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren … Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet …“ ……………………………. Unternehmen entlassen nicht nur Mitarbeiter, wenn es ihnen schlechtgeht, sondern auch, um ihren Profit zu erhöhen. Sie orientieren sich an der durchschnittlichen Profitrate, die in anderen Ländern höher als in Deutschland ist. ……………………………. Und weiter heißt es bei Marx: „An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktions-Instrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zu Grunde gehen wollen, sie zwingt sie die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d. h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“ Besser kann man das, was unter Glo-balisierung zu verstehen ist, nicht beschreiben! Und das im Jahre 1848! Der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk versteht unter Globalisierung „Gegenerreichbarkeit“ und „Gegenverkehr“: „Europäer sind nicht mehr nur Entdecker, sondern auch Entdeckte, nicht mehr nur Erreichende, sondern auch Erreichte.“ Die Folgen der Gegenerreichbarkeit sind für Mitteleuropa und speziell für Deutschland gravierend. Deutschland wird aufgrund der Glo-balisierung durch zwei Entwicklungen in die Zange genommen: Zum einen führen das hohe Lohnniveau und die relativ geringen Renditeerwartungen dazu, daß massenhaft das Kapital (mit den entsprechenden Arbeitsplätzen) das Land verläßt, zum anderen – da das Lohnniveau in Deutschland politisch administriert ist und nur bedingt den Marktgesetzen folgt – zieht das trotz der Kapitalflucht künstlich hoch gehaltene Lohnniveau massenhaft Migranten in das Land. Die „industrielle Reservearmee“ (Marx) wird künstlich erhöht und verstärkt so den Druck auf den Arbeitsmarkt. Der normale, marktkonforme Anpassungsdruck der Kapitalflucht auf die Löhne (Lohnsenkung) wird durch die Restbestände des rheinischen Kapitalismus hinausgezögert, so daß sich eine paradoxiale und damit explosive ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung ergibt: Das Kapital wandert in die sogenannten Billiglohnländer, die Arbeitskräfte der „Billiglohnländer“ wandern nach Deutschland und Mitteleuropa. Die Ökonomie sendet gleichsam die falschen Signale aus: Die politisch administrierten hohen Löhne suggerieren und simulieren eine hohe Kapitalprä-senz und damit einen weiter expandierenden Arbeitsmarkt. Mittel- und langfristig erhöht sich damit weiter die „industrielle Reservearmee“, die den Absenkungsdruck auf die Löhne weiter forciert. Erstaunlich und verwunderlich ist, daß die Linken in Deutschland diese kapitalismusfreundlichen Effekte der Masseneinwanderung durch ihre Propagierung von Multikultu-ralismus und Masseneinwanderung nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Sie sind damit, um ein Bonmot von Karl Marx aufzugreifen „nützliche Idioten des Kapitals“. Welche Ironie der Geschichte! Da hilft auch nicht die Tatsache, daß die SPD in Form ihres Vorsitzenden Franz Müntefering die Kapitalismus- Kritik wiederentdeckt hat. Wie Generalsekretär Uwe Benneter verlautbaren ließ, wird sich an der Regierungspolitik nichts ändern, die Kritik entlarvt sich somit als lediglich wahltaktisches Manöver, um bei der Stammwählerschaft punkten zu können. Auffallend ist auch die sofortige Personalisierung und Moralisierung der „Kapitalismus-Frage“. Man ereifert sich über die Gehälter und Abfindungen auf den Vorstandsetagen und eröffnet so Entrü-stungsszenarien – gut für den Wahlkampf, aber völlig nebensächlich in bezug auf die Strukturprobleme Deutschlands und Mitteleuropas. Die neue Kapitalismuskritik der SPD ist letztendlich (auch) eine Kritik an den Folgeproblemen der eigenen Politik. Wer die Souveränitätsrechte der Nationalstaaten schwächt und eine EU-Er-weiterungspolitik ohne ausreichende Berücksichtigung der unterschiedlichen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungsstufen der beteiligten Länder betreibt, muß sich nicht wundern, daß die Wirtschaft in die durch EU-Mittel geförderten neuen Investitionsräume abwandert und „Billigarbeiter“ aus diesen Ländern den alten EU-Bereich überschwemmen. So steht man vor dem Problem, die Folgen dieser Politik durch gesetzliche Maßnahmen wie beispielsweise das Entsendegesetz permanent nachbessern zu müssen. Als ob dies alles von vornherein nicht abseh-bar gewesen wäre! ……………………………. Unser trotz der Kapitalflucht künstlich hoch gehaltenes Lohnniveau zieht Migranten an. Das Kapital wandert in die Billiglohnländer, die Arbeitskräfte der Billiglohnländer wandern nach Deutschland und Mitteleuropa. ……………………………. Dabei ist offensichtlich die globale Dimension von Politik bei den Politikern noch gar nicht mental angekommen. Wenn beispielsweise der SPD-Politiker Sigmar Gabriel fordert, Ma-nagergehälter an die Sicherung von Arbeitsplätzen zu koppeln, so sind diese Forderungen allenthalben – wenn überhaupt – in Deutschland realisierbar. Solche politisch-administrativen Eingriffe indessen erhöhen weiter die Kapitalflucht aus diesem Land und verstärken die Misere. Will man die negativen Folgen des „Raubtierkapitalismus“ eindämmen, dann muß sich auch in Reaktion auf eine globalisierte Ökonomie die Politik internationalisieren und globali-sieren. Maßnahmen gegen Lohndum-ping beispielsweise können nur (mindestens) auf europäischer Ebene erfolgreich sein, ja sie erfordern weltweite politische Anstrengungen. Dabei müssen die Chancen, zu weltweiten Regelungen zum Lohndumping zu kommen, gar nicht so schlecht sein. Denn auch die sogenannten Billiglohnländer können an der Aufrechterhaltung des Status quo nicht grenzenlos interessiert sein. Die permanente Produktion auf Billiglohnniveau läßt kaum eine gesellschaftliche Entwicklung zu und verursacht massenhaft gesellschaftliche „Kollateralschäden“ wie Umweltverschmutzung, hohe (verschleppte) Krankenstände, Zerstörung der Familien etc. Auch diese Länder müssen ein Interesse daran haben, daß das Lohnniveau zumindest mittel- und langfristig steigt. Nur so kann sich eine eigene Binnennachfrage entwickeln und darauf aufbauend eine Infrastruktur, die diese Länder von den Weltmärkten unabhängiger macht. Was kann getan werden, um Deutschland und Mitteleuropa von diesen negativen Globalisierungsfolgen zu entlasten? Man wird dabei nicht umhinkönnen, wieder einen gemäßigten und moderaten ökonomischen und gesellschaftlichen Protektionismus einzuführen, der dem heißlaufenden „Turbokapitalismus“ gewisse Grenzen setzt. Schon Marx hatte erkannt, daß der Kapitalismus die „Gesellschaftlichkeit seiner Existenz“ nicht selber herstellen könne, er braucht Rahmenbedingungen und verbindliche Regelwerke. Dieser neue, moderate Protektionismus hat im wesentlichen in drei Bereichen wirksam zu werden: 1) Er hat das Problem der Zuwanderung neu zu regeln. Eine unkontrollierte Zuwanderung vor allen Dingen in die sozialen Sicherungssysteme und in die Arbeitslosigkeit muß unterbunden werden. Diese ist durch eine selektive Einwanderungspolitik zu ersetzen, die nur solche Migranten ins Land läßt, die auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar sind. 2) Er hat auf internationaler Ebene verbindliche Regelungen des Kapitaleinsatzes (Sozialcharta für Arbeit ) vorzusehen. Die Politik hat die Herkulesaufgabe vor sich, auf international wirksame Regelungen hinzuwirken, die dem unkontrollierten Lohndumping Grenzen setzen. Durch die Erwerbsarbeit einer Person muß es möglich sein, daß diese Person und seine Familie von dem ausbezahlten Lohn auskömmlich leben kann. Ebenso sind ökologische Min-deststandards und Arbeitsschutzklau-seln international einzufordern. 3) Er hat eine staatliche Industrie- und Wirtschaftsförderungspolitik zu ermöglichen. Die Staaten Mitteleuropas brauchen eine neue Industrie- und Wirtschaftsförderungspolitik. Nicht „weniger Staat“ kann die Devise sein sondern ein „anderer Staat“, der nicht mehr nur seine Aufgabe darin sieht, in seiner „Milchkuhfunktion“ (Gehlen) sozialstaatliche Sicherungsleistungen zu erbringen, sondern der durch Aufbau und Vernetzung von Forschungsakti-vitäten, durch Vernetzung von Forschung und Wirtschaft wieder die Voraussetzung dafür schafft, daß in Deutschland und Mitteleuropa innovative und konkurrenzfähige Produkte für den Weltmarkt erstellt werden können. Nicht genereller Subventionsabbau, sondern „Subvention an der richtigen Stelle“ sollte die Richtschnur sein. Gelingt es uns nicht, in den oben genannten Bereichen zu weitgehenden Reformen zu kommen, dann wird der neue „Turbokapitalismus“ die sozialen Sicherungssysteme hinwegfegen und das Problem der Massenarbeitslosigkeit potenzieren. Nicht „relative Armut“ sondern absolute, nackte Massenarmut wie im Frühkapitalismus wird dann die Folge sein. Prof. Dr. Jost Bauch lehrt Soziologie an der Universität Konstanz. In der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt auf dem Forum über die neue Patriotismus-Debatte (JF 2/05). Karikatur auf Unternehmer (Zeichnung von Albert Hahn, um 1890): Das Kapital flieht aus Deutschland in neue Investitionsräume

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