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Das rechte Vakuum

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Cato, Palmer, Exklusiv

Der angekündigte Rückzug des CDU-Politikers Friedrich Merz hat ein enormes Echo ausgelöst. Daß man mit ihm neben dem fähigsten Wirtschafts- und Finanzpolitiker auch die wertkonservative Galionsfigur der Union dahinschwinden sieht, sagt freilich wenig über ihn, um so mehr aber über die Beschränktheit aus, die das bürgerliche Lager heute kennzeichnet. Als er noch Fraktionschef der CDU/CSU war, reagierte Merz auf den Anwurf eines SPD-Abgeordneten, in seiner Fraktion seien die „Konservativen“ versammelt, mit einer Entrüstung, als hätte man ihn der Pädophilie beschuldigt. Den Begriff „Leitkultur“, den er in die Diskussion geworfen hatte, konnte er inhaltlich nicht füllen, und nachdem Angela Merkel ihn im Ringen um den Fraktionsvorsitz überspielt hatte, präsentierte er sich monatelang als beleidigte Leberwurst. Andererseits ist er der scharfzüngigste Debattenredner des Bundestages, das ordnungspolitische Gewissen der Union, und die mausgraue Herrenriege, die die Kanzlerin umgibt, wird von ihm nicht nur physisch überragt. Die Gesundheitsreform, das Gleichstellungsgesetz, der Versuch seines NRW-Parteifeindes Rüttgers, die SPD links zu überholen usw., haben ihn zu der Überzeugung gebracht, daß er es in der Union teils mit Sozialdemokraten im Tarnanzug, teils mit Minderbemittelten zu tun hat. Das unverblümt ausgesprochen zu haben, macht ihn zum Mann der Stunde! Es ist kein Zufall, daß sich an Merz‘ Ankündigung sofort Spekulationen über eine neue Partei rechts von der Union knüpften, in der sich Wertkonservatismus mit einem kräftigen Schuß Wirtschaftsliberalismus verbindet. Unter den aktuellen Umständen können beide sich ergänzen. Der Konservative will den handlungsfähigen Staat, der den Rahmen abgibt, in dem sich persönliche Freiheit entfaltet. Das ist etwas völlig anderes als der sozialstaatliche Paternalismus, der im Namen von „sozialer Gerechtigkeit“ und „Gleichstellung“ zu Konformismus und Egalitarismus führt. Die FDP bildet dazu keine wirkliche Alternative, weil sie den deutschen Staat als menschenrechtlichen Selbstbedienungsladen betrachtet. Aber wären die Chancen für diese Partei tatsächlich so groß, wie die offene rechte Flanke des politischen Spektrums das nahezulegen scheint? Die Reaktionen, die der angekündigte Verzicht jenseits von Wirtschaftskreisen, Analytikern und frustrierten Weggefährten auslöste, sind desillusionierend. Vorherrschend ist der Hohn über den gescheiterten „Heuschreckenvertreter“, „Multifunktionär“ und „Absahner“, der gegen das soziale Gerechtigkeitsgebot verstieß. Der Kompetenzverlust für die Politik spielt keine Rolle – die deutsche Neidgesellschaft reagiert reflexhaft! Diese Neidgesellschaft hat tiefe historische Wurzeln und ist schwer zu bekämpfen. Das Erfolgsmodell der Bundesrepublik – Demokratie plus Wirtschaftswunder – trat als „nivellierte Mittelstandgesellschaft“ (Helmut Schelsky) in die Welt. Sie war von einer ungeheuren Dynamik beherrscht. Kriegszerstörungen, Heimat- und Vermögensverluste hatten die Gesellschaft durcheinandergewirbelt, Hierarchien aufgehoben, Strukturen vernichtet, dafür neue Chancen und Risiken eröffnet. Man konnte rasant aufsteigen und rapide absinken. Paradigmatisch ist die Integration der Vertriebenen, die sich mit Mobilität und Leistungsbereitschaft aus dem Elend emporarbeiteten. Diese Dynamik kannte keine Beständigkeit und Sicherheit, Selbstbewußtsein und gesellschaftlicher Rang bemaßen sich an der Arbeitsleistung, was zu großem Leistungsdruck führte. Erst der Ausbau des Sozialstaats sorgte für Halt. Inzwischen hat er einen Fetischcharakter angenommen, der noch ausgeprägter wird, je mehr sich politische und kulturelle Milieus auflösen. Indem der Sozialstaat das Sicherheitsbedürfnis durch sozialen Ausgleich stillte, brachte er allmählich die Dynamik zum Erliegen, die ihn ermöglicht hatte. Der Wettbewerb ist nun mal nicht gerecht, sondern belohnt Effizienz, Schnelligkeit, Risikofreude, Überlegenheit und läßt sie durch soziale Unterschiede sichtbar werden. So gerät er in Gegensatz zur Gerechtigkeitsideologie, die sich in Feindschaft gegen Eliten und den selbstverantwortlichen Mittelstand entlädt. Damit schneidet der Sozialstaat sich jedoch ins eigene Fleisch. Meinhard Miegel hat darauf hingewiesen, daß die deutsche Wirtschaft nicht deswegen jahrzehntelang an der Spitze gestanden hat, weil die Deutschen tüchtiger veranlagt sind als ihre Nachbarn, sondern weil die relativ kleine wissenschaftlich-technische Elite, auf die es ankommt, hier besonders günstige Bedingungen vorfand. Diese Vorteile sind mehr und mehr nivelliert worden. Blockiert wird diese Einsicht durch die Fähigkeit zum Selbstbetrug. Die DDR feierte sich noch, als ihre maroden Städte vor aller Augen in sich zusammensackten, als zehntgrößtes Industrieland der Welt. Heute predigen Politiker landauf, landab, Deutschlands sei Exportweltmeister. Es hilft nichts, wenn Experten darauf hinweisen, daß die Zahlen sich aus einer Basar-Ökonomie ergeben, in der deutsche Betriebe häufig nur noch am Ende der Produktions- und Wertschöpfungskette stehen. Wie wäre sonst die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zu erklären? Aufgabe einer Partei rechts von der Union müßte es unter anderem sein, den Egalisierungsprozeß umzukehren, den Mut zum Unterschied zu demonstrieren, Anforderungen zu erhöhen, um auch den Sozialstaat wieder auf feste Füße zu stellen. Doch eine solche Partei hätte vermutlich weniger Chancen als noch die WASG, denn die kulturelle Hegemonie ist ganz klar sozialstaatlich-egalitär – das heißt links – definiert! Die Sozialdemokratisierung der Union ist insofern folgerichtig. Angela Merkel, die einst als Radikalreformerin angetreten war, hat sich dem Trend weitgehend angepaßt und kann sogar verantwortungsethische Motive dafür geltend machen. Vor allem aber bleibt die Union so im Geschäft und behalten die Mandatsträger ihre Pfründen. Parteien sind eben auch nur Unternehmungen, die ihren Managern und Angestellten ein Auskommen bieten sollen. Was zählt demgegenüber die von Merz und dem brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm beklagte Heimatlosigkeit des Bürgertums? Entweder wählt es zähneknirschend trotzdem die Union, oder es bleibt zu Hause. Jedenfalls verursacht es keine Tumulte und scheut das politische Risiko. Friedrich Merz, der im Gegensatz zu den meisten Kollegen die Politik zum Broterwerb nicht nötig hat, ist dieser zähflüssige Opportunismus unerträglich geworden.

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