Mehr Freiheit wagen“ hatte der zentrale Slogan in der Regierungserklärung Angela Merkels am Beginn der Großen Koalition gelautet, der freilich nur ein Requiem auf die verpatzte bürgerliche Koalition sein konnte. Pragmatisch und opportunistisch hat die neue Kanzlerin dann vom ersten Tag ihrer Regierung an auf eine ganz andere Politik umgeschaltet, deren Ergebnisse nun, fünfzehn Monate später, allenthalben zu besichtigen sind. Wo immer noch Freiheit auf der Verpackung stehen mag, ist doch überall ein Überangebot an Gängelung, Staat und Sozialismus drin. Die Marken dieser Regierung weisen vorrangig nach links: Die rot-grüne Geschichtspolitik und der „Kampf gegen Rechts“ wurden schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die CDU begreift nicht, daß er sich in letzter Instanz gegen sie selbst richtet. Der 8. Mai 1945 wird auch weiterhin in schönster sowjetkommunistischer, „antifaschistischer“ Lesart als „Tag der Befreiung“ gefeiert. In der Familienpolitik wird das christliche und freiheitliche Proprium der Familie den Zwängen einer turbokapitalistischen und zugleich versorgungsstaatlichen Gesellschaft geopfert. Gegen die Interessen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung bleiben die Tore der „Zuwanderung“ weiterhin sperrangelweit geöffnet, und mit historischer Blindheit wird der schließlichen Übernahme Europas durch einen selbstbewußten Islam kein Riegel vorgeschoben. An der rot-grünen Türkei- und Türkenpolitik hat die Große Koalition trotz verbaler Distanzierung der CDU keine Abstriche vorgesehen. Einen Gipfel „linker Leitkultur“ bildete die Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (JF 44/06 und 08/07) durch den Bundestag im vorigen Sommer in einem die Direktive der Europäischen Union noch überbietenden Umfang. Im Parlament gab es kaum Widerspruch oder auch nur den Hinweis, daß die „Gleichheit vor dem Gesetz“ seit nun schon bald sechzig Jahren in Deutschland durch den Artikel 3 des Grundgesetzes und eine darauf gegründete umfangreiche Rechtsprechung hinreichend garantiert ist. Dieser gesetzgeberische Versuch, die freiheitliche und pluralistische Demokratie zu überbieten, erinnert allzu deutlich an den ideologischen Hintergrund eines totalitär-demokratischen und sozialistischen Demokratieverständnisses und seinen Traum von der „wahren“, „fortschrittlichen“ und stets fortschreitenden Demokratie. Ein solches Gesetz demonstriert unmißverständlich den „Fortschritt“ von der freiheitlich-demokratischen Verfassung des Grundgesetzes zu einer „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ im einstigen „besseren deutschen Staat“, zu einer „DDR light“. Der frühere Bundesverfassungsrichter Martin Draht – ein Sozialdemokrat der alten Schule – hat einst das „Primärphänomen“ des Totalitarismus darin gesehen, daß dieser „selbst den Geist des Menschen indoktrinieren will und nicht einmal im Privaten und Individuellsten Freiheitssphären dulden kann. Der Totalitarismus muß grundsätzlich die Freiheit der Entwicklung der Gesellschaft und des Lebens in der Gesellschaft verneinen; denn er kann sein Ziel nur erreichen durch ebenso tiefe wie breite Eingriffe in das gesamte gesellschaftliche und private Leben.“ Treffender kann wohl kaum die Grundtendenz des heutigen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gekennzeichnet werden – und darüber hinaus bestimmter politisch-gesellschaftlicher Entwicklungen in Deutschland seit dem Wiedergewinn der staatlichen Einheit, in denen ein eigentümliches Weiterwirken des totalitären Virus zu erkennen ist. Die Marken dieser Regierung weisen vorrangig nach links: Die rot-grüne Geschichtspolitik und der „Kampf gegen Rechts“ wurden schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die CDU begreift nicht, daß er sich in letzter Instanz gegen sie selbst richtet. Die freiheitlich-demokratische Verfassung der westdeutschen Bundesrepublik war als staatlicher Notbau der Deutschen geschaffen worden aus der Erfahrung mit dem nationalsozialistischen Totalitarismus und seiner Katastrophe sowie der anschließenden Abwehr des sowjetkommunistischen Totalitarismus und Imperialismus, der als Folge des Krieges bis in die Mitte Deutschlands und Europas, vor die Tore Hamburgs, zum Thüringer Bogen und bis zum Bayerisch-Böhmischen Wald vorgedrungen war. Unbeeindruckt von dieser Erfahrung und Bedrohung meldete sich der totalitäre Virus kaum zwei Jahrzehnte nach 1945 in der 68er-Kulturrevolution zurück. Erneut entstanden in Deutschland „Zentren politischer Heilsgewißheit, wirklichkeitsüberlegener Besserwisserei, von penetrantem Moralismus und eifernder Intoleranz“ (Hermann Lübbe). Erneut studierte eine sogenannte „kritische Intelligenz“ heilige Texte, nun die von Marx und Engels, von Lenin bis Mao Tse-tung, von Adorno, Marcuse und Habermas. Wieder ging es um das totalitäre Grundmuster „einer alleinigen und ausschließlichen Wahrheit in der Politik“ (Jakob Talmon), um die „Tendenz zu einer extremen Vereinfachung komplexer Realitäten: den Anspruch, sie auf eine Wahrheit zu reduzieren und zugleich aufzuspalten in gut und böse, richtig oder falsch, Freund oder Feind, mit einem einzigen Erklärungsmuster die Weit bipolar zu erfassen“ (Karl Dietrich Bracher), das Innerste des Menschen, Gewissen und Gefühle, nach einer herrschenden Ideologie zu formen und sich dabei des Nährbodens einer suggestionsfähigen, für eine intensive und virtuose Propaganda empfänglichen Massendemokratie zu bedienen. Diese 68er-Kulturrevolution schien unter dem Eindruck ihres terroristischen Gipfelpunktes am Ende der siebziger Jahre ihre Kraft eingebüßt zu haben. Doch bald zeigte sich die Fortdauer der totalitären Infektion in der ihrer selbst noch immer historisch-politisch so unsicheren deutschen Gesellschaft. Nach der ersten Schockstarre der deutschen kommunistisch-sozialistischen Linken durch den kartenhausartigen Zusammenbruch des „besseren deutschen Staates“ fanden sich im wiedervereinigten Land der westdeutsche 68er-Antifaschismus und der staatlich verordnete kommunistische Antifaschismus der untergegangenen DDR rasch zusammen. Schon inmitten der letzten Zuckungen der DDR schlug der damalige Vorsitzende der SED-PDS, Gregor Gysi, bei einer Massenversammlung seiner Partei am sowjetischen Siegesdenkmal in Berlin-Treptow am 4. Januar 1990 das Leitmotiv der antifaschistischen Strategie für die kommende Zeit an: „Unser Land ist in Gefahr, und zwar von rechts. Wir müssen diese Gefahr bannen. Wie wollen wir denn demokratisch wählen, wenn hier die Neonazis alle Freiräume besetzen?“ An dieser Rede war nicht nur beachtlich, daß die alten Kader der DDR-Diktatur die Stirn hatten, sich ausdrücklich auf die „Demokratie“ zu berufen. Sie zeigten sich darüber hinaus entschlossen, ihren „antifaschistisch-demokratischen“ Anspruch auch im vereinigten Land offensiv zur Geltung zu bringen. Und sie täuschten sich nicht: Mit dieser Strategie fanden sie auch in Westdeutschland Resonanz, bei SPD, Gewerkschaften, Grünen, Medien, Kirchen, Wissenschaft und der fortschrittlichen Kulturprominenz. Unter der strategisch geschickt gewählten Parole „Der Feind steht rechts“ vermochten sich „Antifaschisten“ und Sozialisten aus Ost und West zusammenzufinden. Die Lichterketten im Winter 1992/93 als Reaktion auf tatsächliche oder auch inszenierte „ausländerfeindliche“ Übergriffe zeigten deutlich, wie hier eine Strategie entwickelt wurde, die den Wiedervereinigungsprozeß erfolgreich auf antifaschistischen Kurs bringen und die SED-PDS als legitime Kraft in das politische System der Bundesrepublik Deutschland integrieren sollte. Das mit der Stoßrichtung „Kampf gegen Rechts“ verfolgte strategische Ziel der vereinigten deutschen Linken war und ist seitdem, die Bundesrepublik möglichst weit nach links zu verschieben. Der Sinn dieser gezielten Vermengung der Begriffe „rechts“ und „rechtsextrem“ besteht darin, das politische Spektrum der Bundesrepublik durch die Ausgrenzung aller „Rechten“ auf das Segment links von der Mitte einzuengen. Gleichzeitig geht es darum, die Mitte selbst durch den Vorwurf „rechter“ oder „rechtskonservativer“ Politik – wenn nicht gleich des „Rechtsextremismus“ („Extremismus der Mitte“) – Stück um Stück politisch mundtot zu machen, also der berüchtigten „Schweigespirale“ (Elisabeth Noelle-Neumann) zu unterwerfen. Und genau das ist der Punkt, wo man sich über die Ahnungslosigkeit der CDU schon in der ausgehenden Regierung Kohl nur wundern kann, die sie hinderte, diese linke Machtergreifungsstrategie zu durchschauen oder ihr wirksam entgegenzutreten. Die unvermeidliche Folge war die Etablierung der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer im Herbst 1998, mit der der Marsch der 68er „durch die Institutionen“ sein Ziel erreichte. Vorgänge wie die Proklamation des „Aufstandes der Anständigen“ gegen Rechts durch die Regierung Schröder/Fischer im Sommer 2000 oder die Erklärung von „Auschwitz“ zum „Gründungsmythos der Bundesrepublik“ durch Joschka Fischer wurden zu Wegmarken einer Politik, die enthüllten, wohin der Weg der „68er an der Macht“ führen sollte. Auch wenn dieser Weg angesichts der desaströsen Ergebnisse der rot-grünen Bundesregierung im Herbst 2005 abgebrochen wurde, befindet sich die freiheitliche Demokratie in Deutschland auch heute in der Defensive. Die SPD verteidigt soviel wie möglich von dem Boden, den sie seit der 68er-Bewegung und während der Regierung Schröder erobert hat, und die Unsicherheit der Union gegen den offensiven Geist des Partners in der Großen Koalition dauert fort. Politische Verhältnisse, in denen ein Gesetz wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von der Mehrheit der politischen und medialen Kommandohöhen als das Selbstverständlichste von der Welt betrachtet wird und wo die politische Meinungs- und Willensbildung weithin unter dem Diktat der Political Correctness stattfindet, können nicht mehr freiheitlich-demokratisch genannt werden. Eher drängt sich hier die Nähe zu einer gelenkten und totalitären Demokratie auf. Man wird an Vilfredo Pareto erinnert: „Es gibt heute eine humanitäre Religion, die den Gedankenausdruck der Menschen reguliert, und wenn sich zufällig einer dem entzieht, dann erscheint er als Ungeheuer, wie jemand im Mittelalter als Ungeheuer erschienen wäre, wenn er die Göttlichkeit Jesu geleugnet hätte“. Der Sinn der gezielten Vermengung der Begriffe „rechts“ und „rechtsextrem“ besteht darin, das politische Spektrum der Bundesrepublik durch die Ausgrenzung aller „Rechten“ auf das Segment links von der Mitte einzuengen. Schließlich ist nicht zu verkennen, daß der in Gang befindliche Verfassungswandel nicht zuletzt auch von den supranationalen Institutionen ausgeht. Vielfach haben sich hier neuartige, postdemokratisache Kommandohöhen herausgebildet, die man, in Fortführung des früheren Begriffs des „militärisch-industriellen Komplexes“, ökonomisch-ideologiepolitische Herrschaftskomplexe nennen könnte. Diese supranationalen Herrschaftszentren – ihr Idealtypus ist etwa die stetig an Einfluß gewinnende Europäische Kommission – sind daran interessiert, die Massen ideologisch-pädagogisch zu formieren und im Gehorsam zu halten mittels politisch-moralischer Über-Verfassungen wie der Political Correctness, die als Zivilreligion und „linke Leitkultur“ (Stefan Dietrich, FAZ) wirkt, als „therapeutischer Staat“ (Paul Gottfried) zur Konditionierung des Verhaltens und Urteilens der Menschen. Gleiches gilt insbesondere auch für die Kommandohöhen der ökonomischen und medialen Global Players und die mit ihnen eng verflochtenen Politischen Klassen der Staaten. Sie alle sind an solchen zivilreligiösen Legitimationsgrundlagen interessiert, gewissermaßen der ideologischen „Software“ für die ökonomische und politische „Hardware“. In der „Besinnungslosigkeit des vernetzten Weltdorfes“ werden die nicht mehr verorteten Massen zunehmend zum „leichten Beutegut und Treibsand jedweder Gewalt“ (Harald Seubert), nicht zuletzt des paradoxen Bündnisses der atlantisch-europäischen Chicago boys mit den totalitär-demokratischen Jakobinern mit dem gemeinsamen Interesse an einer gelenkten Demokratie hinter der Fassade eines formal repräsentativ-parlamentarischen Systems. Alexis de Tocqueville, der große Prophet des totalitären Zeitalters, hat schon vor 170 Jahren die Erkenntnis formuliert, daß die moderne Demokratie von einer grundlegenden Zweideutigkeit geprägt ist, von „zwei entgegengesetzten Bewegungen, die man nicht miteinander verwechseln darf: die eine ist der Freiheit, die andere dem Despotismus günstig“. Das Paradigma des Konflikts zwischen diesen beiden war der Konflikt zwischen den Girondisten und den Jakobinern in der Französischen Revolution. Letztere hatten vorgeführt, daß diejenigen, die Gleichheit wollen, allzu leicht Diktatur und Terror wollen oder zumindest riskieren. Auf diesem Gegensatz hat sich dann der fundamentale Konflikt zwischen der freiheitlichen Demokratie und den jakobinisch-totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts entfaltet. 1945 und erneut 1989/1990 mochte man meinen, diese seien endgültig besiegt, doch das war ein Fehlurteil aus historischer Kurzsichtigkeit. Heute wissen wir, daß dieser epochale Konflikt andauert und der totalitäre Virus in neuen Metamorphosen fortbesteht. Die „öffentliche Verurteilungskultur“ mit ihren Gewissensprüfungen durch „straflüsterne Moralgiganten“ (Martin Walser) und die fortgesetzten Versuche der Standardisierung der Gewissen im Namen einer zivilreligiösen Political Correctness sind erneute, nicht zu übersehende totalitäre Erscheinungen, gegen die Widerstand geboten ist. Überall, wo Kräfte und Gruppen den Anspruch auf das absolut Gute erheben, ist Gefahr für die Freiheit im Verzug. Gegen sie, gegen die „magische Freiheit“ der Emanzipationsideologien, gilt es die Mündigkeit der Bürger zu verteidigen und, wie Robert Spaemann fordert, die Versuche zu entlarven, im Namen von Emanzipation und Fortschritt neue und intensivere Arten von Herrschaft zu etablieren. Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Hohenheim. Er ist langjähriger Kolumnist der JUNGEN FREIHEIT. Foto: Politischer Umzug im sächsischen Taucha Anfang der 1970er Jahre: Kehrt der einst staatlich verordnete Antifaschismus in Gestalt der Political Correctness zurück?