Anstoß für diese längst fällige Betrachtung zum Themenkomplex Zuwanderung, Integration, Fremdenfeindlichkeit, nationale Identität usw. ist die Antwort auf einen Brief, in dem ein Bekannter seinem Bischof Besorgnisse über diesen Problemkreis mitgeteilt hatte. In dem Antwortbrief heißt es, daß „der Schutz der Fremden, der Schwachen und der Ausländer den Christen in besonderer Weise anbefohlen“ sei, wie die vielfältigen Aussagen der Bibel „höchst eindrücklich“ belegten. Zunächst liegt damit ein höchst „eindrücklicher Beweis“ für die Tatsache vor, daß das Zusammenleben verschiedener Völker auch schon damals Probleme aufwarf und kein Problem der Neuzeit ist. Es kann und soll nicht bestritten werden, daß sich sowohl im Alten als auch im Neuen Testament tatsächlich „höchst eindrückliche“ Aussagen zum Verhalten gegenüber Fremden finden, die auch heute noch Beachtung verdienen. Sie sind häufig mit der Erinnerung verbunden, daß auch ihr „Fremdlinge in Ägypten gewesen seid“ (2. Mose 22,20). Es soll ihnen keine „Gewalt angetan“ werden (Jer. 7,6) und „kein Unrecht“ geschehen (Sach. 7,10). Wer diese Mahnungen mißachtet, wird mit dem verfluchten „Zauberern, Ehebrechern und Meineidigen“ (Mal. 7,10) gleichgestellt – wobei sich nebenbei bemerkt die Frage stellt, ob den Aussagen der Bibel zu den Ehebrechern die gleiche Verbindlichkeit der Aussage wie zu den Fremden zuteil werden soll. Dazu gehört auch die Frage, warum kirchlicherseits nicht an die „höchst eindrücklichen“ Mahnungen erinnert wird, die in der Bibel an die Fremdlinge gerichtet werden? Etwa das Verbot des Götzendienstes (3. Mose 20,2), der Gotteslästerung (3. Mose 24,16), der Unzucht (3. Mose 18,26) (die Homosexualität eingeschlossen), der Arbeit am Sabbat (2. Mose 20,10) und der Verstoß gegen sonstige Rechtsvorschriften des Gastvolkes, die seine Identität bedrohen könnten. Dazu gehören auch Verbote von Mischehen mit den Frauen fremder Völker (Esra 9). Um Mißverständnissen vorzubeugen: Bei der Erinnerung an biblische Aussagen in politischen Auseinandersetzungen sollte man sich immer an eine von Max Weber formulierte Grundregel erinnern: „Die Ethik des Evangeliums ist kein Fiaker, den man beliebig halten lassen kann. – Sondern: ganz oder gar nicht, das gerade ist ihr Sinn, wenn etwas anderes als Trivialitäten herauskommen soll.“ Und das soll es doch wohl bei diesem wichtigen Thema. Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin.