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„Bis zum demokratischen Endsieg“

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„Bis zum demokratischen Endsieg“

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Nach dem Tod dreier deutscher Soldaten am 19. Mai in Kundus, dem Auftakt zu einer ganzen Anschlagsserie in Nordafghanistan, versicherte Verteidigungsminister Franz Josef Jung noch vergangene Woche, im Lande beginne die „Strategie der vernetzen Sicherheit“ der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe zu greifen. Der deutsche Isaf-Soldat Max Meier*, der bis März im Feldlager Faisabad diente, hat andere Erfahrungen gemacht: „Die Bundesregierung ignoriert die Realität. Der Einsatz wird der Öffentlichkeit falsch dargestellt. Die Deutschen bekommen fast ausschließlich harmlose Bilder von der Lage ihrer Soldaten geliefert.“ Er selbst hat Angriffe auf deutsche Soldaten und die Hilflosigkeit der Führung miterlebt. Dabei gehört Fallschirmjäger Meier zu den wenigen ausgewählten Soldaten, die Faisabad überhaupt verlassen durften, um im Hinterland auf Patrouille zu gehen. Unter der Bedingung der Wahrung seiner Identität ist der aktive Soldat bereit, hier ungeschminkt über seine Eindrücke zu berichten. Truppenausweis, Marschbefehl und eine Fotodokumentation liegen der Redaktion vor. Herr Meier*, Sie haben als Fallschirmjäger in Afghanistan mehrfach Angriffe auf deutsche Soldaten der Internationalen Schutztruppe (Isaf) miterlebt. Meier: Ja, häufig lag unser Lager unter Granatbeschuß. Und am 26. Dezember wurde eine unserer Patrouillen, der ich aber nicht zugeteilt war, in ein Feuergefecht verwickelt. Was ist passiert? Meier: Eine unserer Patrouillen wurde sieben Kilometer südöstlich von Faisabad in Darrah-i-Jãni zunächst mit Steinen beworfen. Ein plötzlicher Feuerüberfall zwang schließlich dazu, einen Feuerkampf zu führen. Ein Passant wurde von einer Kugel der Angreifer getötet, es hätten auch Kameraden fallen können. Zum Glück sind alle mit heiler Haut davongekommen. Ich habe später die Einschußlöcher an den Fahrzeugen gesehen, es hätte wirklich auch schlechter ausgehen können. Eine ernste Sache, aber was ärgert Sie daran? Meier: Daß ich von dieser Realität in Afghanistan hierzulande in Politik und Medien praktisch nichts höre und sehe. Der Einsatz wird der deutschen Öffentlichkeit weitgehend falsch dargestellt. Die Deutschen bekommen fast ausschließlich harmlose Bilder von der Lage ihrer Soldaten in Afghanistan geliefert. Inwiefern? Meier: Bekanntlich informiert der deutsche Botschafter in Kabul, Hans-Ulrich Seidt, die Bundesregierung regelmäßig über die wahre Lage im Land: Man weiß also Bescheid! Zuletzt warnte Seidt sogar öffentlich, die Situation in Afghanistan könnte innerhalb der nächsten 18 Monate vollständig außer Kontrolle geraten. Bundesregierung und Verteidigungsministerium ignorieren das und geben weiterhin die Parole aus: Bloß nicht beirren lassen! Die Stimmung ist gut! Durchhalten bis zum demokratischen „Endsieg“. Sorgen die Medien nicht für die notwendige Korrektur dieses offiziösen Lagebildes? Meier: Das Problem ist, daß die Medien über die wirkliche Lage in Afghanistan nicht im Bilde sind. Bis zu uns nach Faisabad hat es zumindest während meiner Dienstzeit dort kein Journalist geschafft, obgleich zweimal ein Besuch angekündigt war. Faisabad liegt zu abgelegen und kann von der Bundeswehr nur per Hubschrauber erreicht werden. Bei schlechtem Wetter waren wir machmal tagelang abgeschnitten. Allerdings sollte man dann wenigstens auf diejenigen hören, die, wie ich inzwischen bestätigen kann, die Lage kennen, wie zum Beispiel Peter Scholl-Latour. In der „Sabine Christiansen“-Runde nach dem Anschlag von Kundus war er der einzige, der wußte, wovon er redet – aber leider ließ man ihn kaum zu Wort kommen. Ihre Vorwürfe richten sich aber auch an die Adresse der Truppe. Meier: Uns hat geärgert, daß unsere Kommandeure nicht alles unternommen haben, um die Truppe optimal zu schützen. Inwiefern? Meier: Nach dem Feuerüberfall vom 26. Dezember wurde zum Beispiel befohlen, Maschinengewehre und Lafetten unserer Patrouillenfahrzeuge abzurüsten. Abzurüsten? Meier: Die Lehre, die unsere Kommandeure aus dem Angriff auf uns zogen, war offenbar: Wir waren zu aggressiv. Die Konsequenz hieß: Bloß niemanden provozieren. – Man fragt sich natürlich, soll das bedeuten, daß wir selbst schuld an dem Überfall auf uns waren? Wie reagieren die Soldaten darauf? Meier: Frustriert. Beinahe regelmäßig wurde unser Lager mit Granaten und RPG7-Panzerfäusten beschossen. Einmal gelang es einem Posten, die Angreifer mit einem Nachtsichtgerät zweifelsfrei zu lokalisieren: Sie lagen auf einem kahlen, unbewohnten Hügel. Die Feuerstellung meldete: „Feind erkannt!“ Und bat um Erlaubnis zur Feuer­erwiderung mit der Granatmaschinenwaffe. – Antwort: Erlaubnis verweigert! Warum? Meier: Gute Frage! Was würden Sie als Angreifer über Soldaten denken, die Sie ständig beschießen und die nicht wagen, zurückzufeuern? Wie haben Ihre Kameraden gedacht? Meier: Als wir von den Befehl hörten, das Feuer nicht zu erwidern, haben alle spontan nur bitter gelacht. Wir konnten es kaum fassen und fragten uns: „Was kommt als nächstes?“ Haben Sie die Vorgesetzen später nicht darauf angesprochen? Meier: Natürlich haben wir das. Unsere direkten Vorgesetzen hatten aber selbst keinen Einfluß. Das Problem ist, daß den höheren Rängen am wichtigsten ist, vor ihrem Dienstherren gut dazustehen, die Sorge um die einfachen Landser kommt erst an zweiter Stelle. Ein schwerwiegender Vorwurf. Meier: Uns wurde während unserer Einsatzausbildung in Magdeburg vieles beigebracht, was in Afghanistan gar nicht anwendbar ist. Wir mußten zu unserer Verwunderung feststellen, daß die Ausbildungsinhalte auf Dienstvorschriften und oftmals nicht auf praktischen Erfahrungen beruhen. Wir waren auch erstaunt, daß wir von Leuten ausgebildet wurden, die zum Teil selbst nie im Auslandseinsatz gewesen sind – ich hatte mir immer vorgestellt, daß da vor allem Veteranen am Werk wären. Tatsache ist, daß die Stabsoffiziere in Faisabad den Bundeswehr-TÜV mehr fürchten als die Taliban. Soll heißen, sie haben mehr Angst davor, gegen untaugliche Dienstvorschriften – bei uns bald nur noch bitter „Friedensscheiße“ genannt – zu verstoßen als davor, einsatzuntaugliche Maßnahmen zu befehlen. – Klar, denn sie möchten es alle in der Bundeswehr noch zu etwas bringen. Deren Monate in Afghanistan gehen vorbei, und in der Zeit wollen sie sich nicht dauerhaft „oben“ unbeliebt machen. Deshalb führen sie lieber gemäß den Wünschen des Verteidigungsministeriums, sprich der Politik, als gemäß der Erfordernissen der Realität. Zur Bundeswehr-Ausbildung für Auslandseinsätze gehört offiziell auch zu lernen, manchmal nicht zurückzuschießen. Hätten Sie die Angreifer getötet, hätte sich die Lage vielleicht erst recht verschärft. Meier: Mag sein, aber wie lange will man deeskalieren? Bis der Deeskalation die ersten deutschen Soldaten zum Opfer fallen? Außerdem berücksichtigen Sie nicht, daß man nicht nur die Selbstachtung verliert, sondern auch die Achtung der Afghanen. In Afghanistan gilt nur der etwas, der in der Lage ist, sich zu verteidigen. Wer das nicht tut, gilt nicht als friedfertig, sondern als schwach – und wer schwach ist, gilt überhaupt nichts. Wir sind auf unseren Patrouillen an ehemaligen Schulen vorbeigefahren, die von Isaf finanziert und gebaut und vermutlich von Taliban wieder zerstört wurden. Ein Deutscher würde folgern: Isaf gut, Taliban schlecht. Ein Afghane folgert: Isaf schwach, Taliban stark! – Das liegt nicht daran, daß wir Deutsche gut und edel, die Afghanen brutal und primitiv wären, sondern daran, daß wir seit 1945 im Frieden und die Afghanen seit 1978 im Krieg leben. Dort zählt nicht – wie hier -, wer meint es ehrlich, sondern allein: Wer hat die Macht? Denn die Antwort auf diese Frage ist die Voraussetzung für das eigene Überleben! Es erscheint erstaunlich, daß es bei all den Angriffen auf das Lager Faisabad, von denen Sie berichten, bisher keine Toten gegeben hat. Meier: Das hat uns ehrlich gesagt auch erstaunt. Dazu muß man wissen, daß es in Faisabad, wie überall in Afghanistan, einen lokalen Machthaber gibt, der alles kontrolliert und ohne den nichts geht. In Faisabad ist das Nasir Mohamed. Außer den Isaf-Soldaten wird unser Lager auch noch durch afghanische Sicherheitskräfte bewacht, die Nasir Mohamed einstellt, vermittelt und an denen er auch verdient. Vor dem besagten Angriff hatte er angeboten, einen zusätzlichen Posten auf ebenjenem Hügel einzurichten, wofür Isaf vier weitere Wachmänner hätten bezahlen müssen. Das wurde von unserer Lagerleitung zunächst abgelehnt. Doch ein paar Tage nach dem Beschuß wurden die zusätzlichen vier Mann bewilligt und auf dem Hügel stationiert. Sie verstehen? Die Bundeswehr hat sich mit einem bestellten Angriff erpressen lassen? Meier: Was will man erwarten? Als uns einmal ein Funkgerät gestohlen wurde – wir werden oft beklaut -, wir aber sogar ein Foto des Täters hatten, wurde der nicht etwa bestraft, sondern die Kommandantur im Lager bot ihm fünfzig Dollar – das sind dort zwei Monatsgehälter – für die freiwillige Rückgabe. Die Isaf beansprucht, in Afghanistan eine neue Ordnung durchzusetzen … Meier: Das ist das, was Ihnen unsere Politiker erzählen. Tatsächlich unterwirft sich die Isaf der Situation, statt sie zu kontrollieren. Tatsache ist, daß lokale Machthaber wie Nasir Mohammed, die beanspruchen, die Regierungsgewalt des „Bürgermeisters von Kabul“, wie Staatspräsident Karzai in Afghanistan spöttisch genannt wird, zu vertreten, in Wahrheit kleine Alleinherrscher sind. Sie sind das genaue Gegenteil jeder echten Staatsautorität, sie unterminieren diese! Isaf weiß das, und dennoch tut jeder so, als seien die lokalen Machthaber Karzais Leute. Warum? Weil ohne sie jede Ordnung zusammenbrechen würde. Übrigens, jeder weiß, daß Nasir, der die Isaf in ihrer Not zu melken weiß wie eine Kuh, nicht nur politischen, sondern auch vielfach kriminellen Dreck am Stecken hat. Zum Beispiel, daß er Minderjährige zum Sex mit sich zwingt. Und was unternimmt die Isaf dagegen? Meier: Sie tut einfach so, als wüßte sie nichts davon. Sie kann nichts tun, wenn sie die Lage nicht destabilisieren will. Wenn sie aber nichts tut, kann sie die Lage auch nicht wirklich in ihrem Sinne stabilisieren. Also macht sie in der Verzweiflung die Augen zu und erklärt die gegenwärtige Stabilität einfach zu ihrer Stabilität. Was grotesk ist und eines Tages dazu führen wird, daß ihr diese Stabilität um die Ohren fliegt. Die Isaf verteilt in Afghanistan eine eigene Zeitung, die Stimme der Freiheit, in der sie versucht, die Afghanen für ihre politischen Ziele zu gewinnen. Das wirklich Schlimme dabei ist nicht einmal, daß sie damit beim kleinen Mann von der Straße völlig überzogene Vorstellungen weckt, die sie nie erfüllen kann und die später zu einer unversöhnlichen Frustration bei den Afghanen führen – und glauben Sie mir, in ihrer Not, also um die Lage im Moment nur ja ruhig zu halten, verspricht sie das Blaue vom Himmel. Nein, das Schlimmste ist, daß vor allem die Isaf inzwischen an diese – ihre eigene! – Propaganda glaubt. Wie reagieren die deutschen Soldaten auf all das? Sind sie politisch desillusioniert? Meier: Von Anfang an haben weder meine Kameraden noch ich an den Quatsch von der „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“ oder an den phantastischen Unsinn einer „Demokratisierung Afghanistans“ durch die Isaf geglaubt. Das hat nur eine ganze kleine Handvoll – und die sind überwiegend inzwischen enttäuscht und kennen die bittere Realität. Warum haben Sie sich dann freiwillig gemeldet? Meier: Vor allem wollte ich als Soldat meinem Vaterland dienen, und als Fallschirmjäger geht man mit den Kameraden in den Einsatz, mit denen man die letzten Jahre verbracht hat und ausgebildet worden ist, und läßt sie nicht im Stich. Wir halten zusammen, und im Laufe der Zeit ist zwischen uns eine tiefe Kameradschaft entstanden, wie man sie im Zivilleben einfach nicht findet. Wie wird die Bundeswehr von den Afghanen wahrgenommen? Meier: Auch wenn wir dreimal darauf beharren, Aufbauhelfer zu sein, die Afghanen sehen uns als Besatzer. Ich habe den Stimmungswandel in meiner Dienstzeit deutlich gespürt. Am schockierendsten war es, als wir mit ansehen mußten, wie ein Vater seine kleine fünfjährige Tochter verprügelte, nur weil sie uns zugewinkt hatte. Dennoch genießen wir Deutsche immerhin noch einen Bonus, aber der hält auch nicht ewig. Wie zeigt sich dieser Bonus? Meier: Wir sind noch die beliebtesten unter den ungeliebten Besatzern. Warum? Meier: Das hängt sicher auch mit der Arbeit der Bundeswehr, aber vor allem mit der Vergangenheit zusammen. Ich weiß nicht, ob Sie das schreiben können, aber die Afghanen betrachten die Deutschen allen Ernstes als ihre „arischen Brüder“. Wir wurden mehr als einmal von Dorfältesten in vollem Ernst mit erhobenem rechten Arm begrüßt. Wie reagieren die Soldaten? Meier: Weder geht man darauf ein, noch beginnt man in den Bergen Afghanistans den „Kampf gegen Rechts“. Wir haben es ignoriert, gleichwohl aber versucht, den nun einmal vorhandenen Vorteil für unseren Auftrag zu nutzen. Warum wird die Demokratisierung Afghanistans nie gelingen, wie Sie sagen? Meier: Ich sage nicht nie, ich sage, uns wird sie nicht gelingen. Ich habe gesehen, wie afghanische Polizisten – die laut eigener Aussage von deutschen Ausbildern geschult wurden – am helllichten Tage grundlos einen Zivilisten mit ihren Gewehrkolben brutal zusammengeschlagen haben. Wir sind Soldaten, und dennoch hat selbst uns dieser Vorfall zutiefst schockiert. In Afghanistan gibt es Grundrechte wie Freiheit und Demokratie einfach nicht – nicht einmal Spurenelemente davon, nicht einmal auf der untersten Ebene, weder im Dorf noch in der Großfamilie! Die Leute wissen schlicht nicht, wovon wir reden, und man kann es ihnen auch nicht erklären, weil ihre Geschichte und Kultur so ganz anders ist. Wer es nicht glaubt, der sollte nach Afghanistan reisen, dort wird er von seinen rosaroten Träumen geheilt werden. Max Meier* Der Hauptgefreite der Fallschirmjägertruppe war von November 2006 bis März 2007 als Angehöriger einer Schutzkompanie des 12. deutschen Einsatzkontingents im deutschen Feldlager Faisabad der International Security Assistance Force (Isaf) im Einsatz. Der aus Süddeutschland stammende Abiturient, Anfang 20, dient derzeit beim 2./Fallschirmjägerbataillon 261 in Lebach/Saarland. *Hinweis: Name von der Redaktion geändert „International Security Assistance Force“: Die internationale Schutztruppe für Afghanistan ist seit 2002 neben den Truppen der Operation Enduring Freedom (OEF) die zweite alliierte Besatzungsmacht in Afghanistan. Während die OEF Taliban und al-Qaida militärisch bekämpft, soll Isaf die Regierungsmacht Präsident Karzais stabilisieren und den postulierten Wiederaufbau des Landes sichern. Die knapp 37.000 Mann starke Truppe aus 37 Nationen unterhält 25 Standorte im ganzen Land. Die Bundeswehr ist mit 3.000 Soldaten an drei Standorten beteiligt: Masar-i-Scharif, Kundus und Faisabad. Außer Tausenden von Zivilisten kostete der OEF/Isaf-Einsatz bislang 522 alliierte Soldaten, davon 21 Deutsche, das Leben. „Feldlager Faisabad“: Faisabad ist die Hauptstadt der Provinz Badakhshan im extrem unwegsamen äußersten Nordosten von Afghanistan. Die Stadt liegt 260 km nordöstlich von Kundus. Die 15.000 Einwohner, mehrheitlich Sunniten, sind vor allem Tadschiken und Usbeken. Seit 2004 unterhält die Bundeswehr hier eine Garnison mit 200 Mann. weitere Interview-Partner der JF

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