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Das rosige Antlitz der Grausamkeit

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Das rosige Antlitz der Grausamkeit

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Preso“, lautete das einzige Wort. Gefaßt. Mit dieser lakonischen Telefonbotschaft endete für Italiens obersten Mafia-Jäger, Piero Grasso, Chef der Antimafia-Staatsanwaltschaft und selbst Sizilianer, der im Büro des Justizpalastes von Palermo wartete, ein Alptraum, an dem alle seine Vorgänger gescheitert waren. Es war ein jahrzehntelanges Katz-und-Maus-Spiel, bis endlich der „Capo di tutti capi“, der Boß aller Mafia-Bosse, Bernardo Provenzano, nach 43 Jahren gefaßt wurde. „Der Pate nun hinter Gittern“, jubilierten die italienischen Zeitungen . Längst hatten sich die Italiener daran gewöhnt, Monat für Monat, Jahr für Jahr, nicht nur in den Zeitungen, sondern auf allen Polizeiwachen und Bahnhöfen dasselbe Phantombild zu sehen. Es waren Phantombilder wie von Andy Warhol, Fotos, die im Laufe der Jahre dank der Computertechnik alterten und zuletzt sogar in Farbe präsentiert wurden: ein hagerer Mann, graues Haar, mit scharf blickenden Augen, im schwarzen Pullover gekleidet, schaute grimmig von den Plakaten aufs Publikum. Im wirklichen Leben hingegen ist der „Pate“ heute ein älterer Mann von 73 Jahren mit einem harmlosen rosigen Gesicht wie ein sizilianischer Landarbeiter, der bei seiner Verhaftung Jeans und Pullover trug. Nur die elegante randlose Brille und das weiße Seidentuch um den Hals geschlungen zerstörten den Mythos des Bäuerlichen, passen nicht recht ins Bild. Daß sich hinter dieser biederen Fassade ein mehrfacher Mörder und zugleich ein erfolgreicher Geschäftsmann verbirgt, der über ein Millionen-Imperium herrscht, einer, der über Tod und Leben entscheiden konnte, bleibt noch immer schwer vorstellbar. Allein in seinen Jugendjahren soll sich Provenzano der Morde an mehr als 50 Menschen schuldig gemacht haben. Es waren immer Bandenmitglieder, die er aus dem Weg räumte. Sein Ehrgeiz trieb den in Corleone Geborenen – einem berüchtigten Städtchen 60 Kilometer von Palermo entfernt – immer weiter voran. Und die Stufen, die er erklomm, waren mit Blut getränkt. Das eherne Gesetz der „Omertà“ schien vergessen Innerhalb der Machtkämpfe der mafiosen Familienclans, der Cosa Nostra, die auf Sizilien besonders in den 1990er Jahren tobten, soll er der Schlimmste gewesen sein, wie man von den „Pentiti“ erfuhr, jenen vorgeblich reumütig auspackenden Kronzeugen, denen das Gesetz Strafmilderung zubilligte, wenn sie mit der Justiz zusammenarbeiten. Ihren Aussagen nach gab es keinen wichtigen Mafia-Anschlag, an dem Provenzano nicht beteiligt gewesen wäre. Nicht umsonst nannten sie ihn den „Traktor“ („u tratturi“), der alles aus dem Wege räumte, egal wie. So mit Anschlägen wie jenem vom Mai 1992, als tausend Kilo Sprengstoff gezündet wurden, um den obersten Mafiajäger Italiens und Richter Giovanni Falcone gemeinsam mit dessen Ehefrau und sechs Leibwächtern auf der Autobahn vom Flughafen Palermo in die Luft zu sprengen. Oder zwei Monate später, als ein Bombenanschlag das Leben des Staatsanwaltes Paolo Borsellino – ein enger Freund von Falcone – und sieben seiner Beschützer vor dem Wohnhaus seiner Mutter mitten in Palermo auslöschte. Außerdem gab es eine Reihe blutiger Bombenanschläge der Cosa Nostra in mehreren italienischen Großstädten wie Rom, Mailand und Florenz. In alle diese Attentate soll Provenzano verwickelt gewesen sein. Die Luft um die sizilianische Mafia wurde immer dünner. In jenen Jahren wurden sogar Soldaten auf die Insel geschickt, es herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Viele Mitglieder der „Ehrenwerten Gesellschaft“ wurden verhaftet und vor Gericht gestellt. In den Gerichtssälen standen Käfige, in denen Hunderte von „Picciotti“ (kleine Mafiosi) und großen Bossen an den Stäben rüttelten und noch vor Gericht ihre lautstarke Show abzogen. Die palermitanische Staatsanwaltschaft brüstete sich mit ihren Erfolgen. Der wichtigste Verbrecher jedoch fehlte: Provenzano. Oberstaatsanwalt Grasso gab sich stets verschlossen, wenn dessen Name fiel. Und er fiel oft, immer wieder wurde Provenzano in Unterweltskreisen belastet. Immer wieder hieß es, er sei derjenige, der den Befehl zum Töten erteilt habe. Vergessen schien das eherne Gesetz der „Omertà“ (des Schweigens). Einmal festgenommen, sprudelte es aus den Mafiosi nur so heraus. Doch der Mafiaboß aus dem Clan der Corleonesi schien wie vom Erdboden verschollen. Aus dem sicheren Versteck heraus verfolgte er die Aburteilung der zahlreichen Bosse, die ihn alle belastet hatten: Sechsmal wurde er wegen diverser Morde, Erpressungen und weiterer Straftaten in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Immer mehr Italiener glaubten längst, Provenzano sei nur ein Hirngespinst, eine faule Ausrede der italienischen Justiz im scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Mafia. Zum letzten Mal hatte man ihn im September 1963 in einem Krankenhaus in Palermo wegen eines Streifschusses an der Wange behandelt. Ehe die Behörden reagierten, war er jedoch wieder untergetaucht. Als dann im Jahre 1993 Toto Riina, ebenfalls ein berüchtigter Mafiaboß aus Corleone, festgenommen wurde, der bis heute im Gefängnis einsitzt, galt Provenzano fortan als der alleinige Chef der sogenannten Cupola, des obersten Entscheidungsgremiums der sizilianischen Mafia. Doch einmal an der Spitze, änderte Provenzano die bisherige Taktik. Statt nur auf Gewalt zu setzen, wollte er nun Geschäfte machen. Er ließ seine Leute in die kommunalen Behörden einschleusen. Bald sahnten die Bauunternehmen der Mafia fast alle öffentlichen Aufträge ab. Er infiltrierte ebenso das Gesundheitswesen wie auch das Müll- und Abfallsystem, eines der lukrativsten Geschäfte auf der Insel, und kassierte bei Privatunternehmen den „pizzo“ (Schutzgeld), womit er allein schon ein Vermögen machte. Profite vom Drogenhandel bis zu Privatkliniken Vom Drogenhandel bis zu Privatkliniken, Hotels und Klubs – Provenzano befehligte ein Riesen-Imperium. Alle mußten zahlen für irgendwelche „Gefälligkeiten“. Bestechungsgelder flossen über die Schreibtische der Ämter, Ärzte und Anwälte wurden zur Kasse gebeten. Der Arm der Mafia ist lang. Auch die Welle der Überläufer ebbte unter seiner Regie ab, und wieder wurde auf die Prioritätenliste der Mafia die Betreuung von Gefangenen an oberste Stelle gesetzt. Es war ruhig geworden um den großen Boss. Und sein aus Palermo stammenden Anwalt Salvatore Traina fing an, die Legende zu spinnen, daß Provenzano längst tot sei. Seit Jahren hätte er nicht von seinem Klienten gehört, so seine Version und er setzte immer hinzu, die sizilianische Mafia hätte Grund, dieses „Phantom“ am Leben zu erhalten, um die anderen Bosse zu decken, so noch bis vor zwei Monaten der Advokat Traina. Die Antimafia-Behörde indes gab nicht auf, glaubte nicht an diese Spekulation. Tausende von Euro wurden weiterhin für die Beobachtung von Verdächtigen und vor allem für telefonische Abhöraktionen ausgegeben. Schließlich sollte die „unendliche Geschichte“ doch noch ihr Ende finden. Am 11. April dieses Jahres fegte die Nachricht von der Festnahme Provenzanos rund um den Erdball. Der am längsten gesuchte Mafiaboß Italiens war nach 43 Jahren endlich ins Netz gegangen. Verhaftet unter dem blauen, heißen sizilianischen Himmel über den fruchtbaren Hängen und Wiesen von Corleone. Hier, nahe diesem sizilianischen Städtchen, wurde Provenzano gefaßt, in seiner sizilianischen Heimat, einem kleinen Ort mit 14.000 Einwohnern, den Mario Puzos „Pate“ als eine der Hochburgen der Mafia berühmt machte. In dieser archaischen Welt zählt vor allem Familie und Heimat. „Potere e Potenza“ (Macht und Potenz) lautet hier noch immer die Losung der sizilianischen Mafia. Nach hier zurück zog es auch vor zehn Jahren seine heute 61jährige Frau Saveria Palazzolo, seine große Jugendliebe. Sie haben zwei längst erwachsene Söhne. Wo die Familie all die Jahre verbracht hat, ist bisher nicht klar. Saveria soll jedenfalls sehr gut Deutsch sprechen. Über all die Jahre hindurch wurde sie beschattet. Jede ihrer Bewegungen wurde registriert, den Verfolgern entging nichts. Am Ende war es in Wäschepaket, in einen schwarzen Plastiksack eingehüllt, das Provenzano verriet. „Wir griffen zu, als sich ein Arm aus dem Haus herausstreckte, um das Paket entgegenzunehmen“, so Staatsanwalt Grasso. In diesem einsam gelegenen Häuschen mit Ziegenställen, wo man nur das Blöken der Herden hört und der berühmte Ziegenricotta-Käse gleich an Ort und Stelle hergestellt wird, endete also die Laufbahn des Paten. Zwischen Frischkäse und Brunnenwasser vollendete sich das Schicksal von Provenzano genau wie 1959. Damals war er ebenfalls auf den Bergwiesen um Corleone erwischt wurde, als er sieben Doppelzentner Käse gestohlen hatte: ein wahrhaft mickriger Anfang bis hinauf an die Spitze der Cupola. Die verlangte Bibel wird ihm im Gefängnis versagt In der Hütte seines letzten Aufenthaltes fanden die Beamten zahlreiche „Pizzini“ (Kassiber). Viele waren handgeschrieben, manche auf einer uralten Olivetti-Schreibmaschine heruntergeklappert. Alle Zettelchen waren mit Bibelzitaten gewürzt. Man nimmt an, daß es sich um verschlüsselte Botschaften handelt. Mit diesen Zetteln lenkte er im 21. Jahrhundert, wo Handys, Telefone, Computer und Faxgeräte dominieren, seinen Multikonzern. Und jahrzehntelang funktionierte sein System. “ Bravo, Komplimente und Auf Wiedersehen“, so lauteten die letzten Worte von Provenzano, bevor er in den Hubschrauber einstieg, der ihn von Sizilien aufs Festland brachte. Er sitzt nun in einer Zelle im Hochsicherheitstrakt im umbrischen Terni ein – und schweigt. Eine winzige Zelle, in der Tag und Nacht Licht brennt und Fernsehkameras jede seiner Bewegungungen aufzeichnen. Die von ihm verlangte Bibel wurde ihm verweigert, die Staatsanwälte zweifeln, daß der „Pate“ aus Gründen persönlicher Frömmigkeit und Trost sich in der Heiligen Schrift erbauen möchte. Während der Boß aller Bosse schweigt, hat die Jagd nach seinen Helfershelfern eingesetzt, die ihn begünstigten und davon profitierten. Der Mythos des Unbesiegbaren ist gebrochen. Foto: Mafiaboß Bernardo Provenzano nach seiner Festnahme am 11. April dieses Jahres: Ein Wäschepaket wurde ihm zum Verhängnis

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