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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Das Elend des Linksliberalismus

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Unwort, Umfrage, Alternativ

E in klassischer Liberaler des neunzehnten Jahrhunderts, der auf einer Zeitreise durch Zufall in ein sozialwissenschaftliches Seminar einer heutigen amerikanischen Universität geriete und den dortigen politischen Diskussionen lauschen dürfte, würde sicher staunen. Vermutlich würde ein solcher wackerer Altliberale auch bald schreiend die Flucht ergreifen. Die beiden gedanklichen Welten könnten kaum unterschiedlicher sein: Der Altliberale kämpfte zu seiner Zeit für einen Abbau obrigkeitlicher Zwänge und bürokratischer Aufsicht, für mehr private Freiräume, Geistesfreiheit und unternehmerische Freiheit. Heute weht der linksliberale akademische Zeitgeist in die entgegengesetzte Richtung: (Post-) moderne, aufgeklärte Intellektuelle beklagen die mangelnde „Sensibilität“ reaktionärer Menschen und deren stete „Diskriminierung“ von Minderheiten und Opfergruppen. Sie fürchten die „Vorurteile“ der „Stammtische“, ein mögliches Aufbegehren all jener „autoritären Persönlichkeiten“ – und befürworten deshalb „social engineering“, ein hartes, staatliches Durchgreifen im Sinne fortschrittlicher Ideologie. Obwohl diese Intellektuellen für staatliche Sensibilisierungszwänge, partielle Zensur und Gedankenkontrolle eintreten, sehen sie sich dennoch als „Liberale“. Die Selbstetikettierung linksradikaler Ideologen als „Liberale“ ist besonders auffällig in den USA, wo es Fortschrittsjüngern in der Nachfolge des Pragmatisten John Dewey im Laufe des letzten Jahrhunderts gelang, ihre gesellschaftsplanerischen und umverteilerischen Absichten als „liberal“ zu verkaufen und dieses Attribut der älteren, freimarktwirtschaftlichen Schule abspenstig zu machen. Doch auch in Europa hat der Begriff Liberalismus in der Folge des massendemokratischen Zeitalters einen krassen Bedeutungswandel durchlaufen. In meinem Buch „After Liberalism: Mass Democracy in the Managerial State“ (Princeton University Press, 1999) habe ich versucht, der wiederholten Umformung des Altliberalismus und schließlich seiner Ablösung durch diverse Nachfolgeideologien nachzugehen. Diese behielten zwar das Etikett bei, doch die Ideengestalt wandelte sich radikal. Das neunzehnte Jahrhundert zeichnete sich durch die staatsferne Weltsicht des aufstrebenden Bürgertums aus. Im Gegensatz zu heutigen postmodernen Ideologen hielt der bürgerliche Urliberalimus an einer Ästhetik und Moral fest, die nicht traditionsfeindlich waren, sondern ganz entschieden von den Restbeständen vormoderner Ordnung zehrten, diese zwar zu modernisieren, doch nicht allzu radikal zu überwinden trachteten. Nach zwei Weltkriegen ist diese „bürgerliche Epoche“ unwiederbringlich untergegangen, und die Wesenszüge des alten Bürgertums lassen sich kaum in die moderne massendemokratische Zeit integrieren. Dem Soziologen Panajotis Kondylis zufolge sind liberale und massendemokratische Gesellschaften nicht bloß verschieden, sondern fundamentale Antagonismen: Die Altliberalen, meist Gebildete und Besitzende, lebten in einer Welt staatlich wie auch kulturell abgeschlossener Nationalstaaten und achteten auf eine strikte Trennung zwischen Staatsverwaltung und dem, was Hegel die „bürgerliche Gesellschaft“ nannte. Die Kultur des massendemokratischen Zeitalters, so Kondylis in seiner meisterhaften Studie „Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne“, weist in die entgegengesetzte Richtung. Überkommene Gesittung, soziale und geschlechtliche Unterscheidungen und nationale Loyalitäten werden systematisch abgebaut und durch eine massendemokratische Mentalität ersetzt. Statt der Abgrenzung von Staat und Gesellschaft findet eine zunehmende Gleichsetzung von Freiheit und staatlichem Eingriff statt, die allgegenwärtige staatliche Wohlfahrtsversorgung tritt an die Stelle der alten, subsidiären sozialen Einheiten wie der Familie und der nachbarschaftlichen Gemeinschaft. Die Massendemokratie ist Ergebnis der demographischen, ökonomischen und technologischen Umwälzungen seit dem späten achtzehnten Jahrhundert. Allerdings hätte sie sich als politisches Modell nicht festigen und gegen alternative Nachfolgemodelle der bürgerlichen Lebenswelt durchsetzen können, wenn sie nicht materiell abgesichert wäre. Diese Politik des Hedonismus und der individuellen Selbstverwirklichung bedarf der Massenproduktion und des Massenkonsums. Frühere Gesellschaften kämpften mit immerwährender Knappheit, dagegen verfügen die modernen westlichen Gesellschaften über genug Ressourcen, um ihren sozial isolierten Individuen immer neue materielle Genüsse zur Verfügung zu stellen. ……………………………. Die Kultur des massendemokratischen Zeitalters baut überkommene Gesittung, soziale und geschlechtliche Unterscheidungen und nationale Loyalitäten systematisch ab und ersetzt diese durch eine massendemokratische Mentalität. ……………………………. Einer zunehmend zentralisierten Staatsgewalt gelang es im zwanzigsten Jahrhundert, die neugeweckten Bedürfnisse der Massen durch Umverteilung zu befriedigen. Gegenmodelle zur Massendemokratie, wie etwa die Urchristdemokratie oder verschiedene volksgemeinschaftliche Plattformen, konnten auf Dauer keine vergleichbaren Vorzüge aufweisen. Alle Versuche, die nivellierende Logik der Massendemokratie zu bremsen und ihr einen Rahmen aus älteren Werten zu setzen, müssen daher als gescheitert betrachtet werden. Die Entwicklung hin zu einer egalitären Massendemokratie wurde durch das enorme kumulierte Wirtschaftswachstum der Neuzeit begünstigt, das in historischer Langzeitperspektive beispiellos ist. Wie Reinhard Gerhard in „Geschichte der Staatsgewalt“ zeigt, ist das Wachstum der materiellen Bedürfnisse und ihre Befriedigung durch öffentliche Administratoren eng mit dem Machtzuwachs des Staates verknüpft. Heute definiert sich der Weltbürger (von einer Zugehörigkeit zu Nationen ist nicht mehr zwingend auszugehen) durch einen breiten Fächer an „creature comforts“, worunter nicht bloß materielle, sondern auch geistige und mentale Bedürfnisse zu verstehen sind. Diese fordert der massendemokratische Mensch von seiner Regierung und nimmt dafür eine weitgehende Reglementierung seiner Freiräume in Kauf. Die Interessen des Verwaltungsstaats und seiner Untertanen greifen somit eng ineinander. Wichtig für den Erfolg des massendemokratischen Regimes, des „managerial state“ war zudem das Versprechen seiner Administratoren, der Sozialarbeiter und Menschenrechtsexperten (kurz: der „New Class“), ihre Klientel als Gleichberechtigte zu behandeln. Im Prinzip soll kein Bürger bevorzugt oder benachteiligt werden. Die in westlichen Massendemokratien übliche Politik der materiellen Umverteilung, die den einen nur geben kann, was sie anderen nimmt, widerspricht dem Gleichheitspostulat keineswegs, da dieses zunehmend als Zielvorgabe und nicht im älteren Sinne einer Gleichheit vor dem Gesetz interpretiert wird. Während das von staatlicher Seite seit der Aufklärung forcierte Gleichheitsprinzip ungerechte Behandlung verhindern soll, hebelt es dabei aber ältere soziale Wertvorstellungen aus. Die Postmoderne schließlich entkleidet alle Menschen ihrer überlieferten, durch Generationen überkommenen Identitäten und ersetzt sie durch universalistische Prämissen. Am Ende dieses Prozesses steht die Politik des „social engineering“, wie Christopher Lasch in seinem Klassiker „The Revolt of the Elites and the Betrayal of Democracy“ dargelegt hat. Die Legitimation dafür leiteten die modernen Verwaltungsstaaten aus dem Anspruch ab, streng nach „wissenschaftlichen“ Maßstäben zu verfahren. Wichtig ist demnach der stete Hinweis, daß sich ihre Politik auf die Meinung von „Experten“ und deren „Fachkenntnisse“ berufen kann. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts unterstrichen Ideologen wie Dewey den „wissenschaftlichen“ Charakter der Regierungskunst. Diese Überzeugung speist sich zudem aus einem gewissen aufklärerisch-fortschrittlichen Denken, welches Regieren mit Verwalten gleichsetzt und eine entpersonalisierte Perspektive einnimmt, die auch die zwischenmenschlichen Beziehungen rein technokratisch betrachtet. Die modernen Massendemokratien haben die düsteren Warnungen vieler Altliberaler und Konservativer nach 1789 widerlegt, wonach Volksregierungen zu chaotischer Schreckensherrschaft mutieren müßten. Das Gegenteil ist der Fall: Mit sanfter, wenn auch umfassender Kontrolle, die kaum als obrigkeitliche Schikane empfunden wird, garantieren die heutigen Konstrukte den inneren Frieden im Lande, der höchstens durch die Folgen unkontrollierter Einwanderung gefährdet wird. Für den Durchschnittsdemokraten ist es einfacher, sich den Anweisungen der Verwaltung zu fügen, als dagegen zu rebellieren, zumal er davon überzeugt ist, die Staatsversorger handelten nach bestem Wissen und Gewissen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Auch wenn der Staat sich in den familiären, ja in den intimsten Bereich einmischt, beginnt nur eine kleine Minderheit zu murren. Die meisten lassen sich entmündigen, solange die Eingriffe nur demokratisch gerechtfertigt werden. Ohne die Ausweitung des Wahlrechts während des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts hätte es kein massendemokratisches Regime gegeben. Während diese Wahlreformen damals den herrschenden Eliten abgetrotzt wurden, dient heute die Vergabe des Stimmrechts an immer weitere Gruppen der Festigung der gegenwärtigen Herrschaft. Die Demokraten in den USA erschlossen mit den Schwarzen eine neue Wählerschicht, die sie durch Vorzugsbehandlung (vor allem „affirmative action“) dauerhaft an die Partei zu binden hofften. Ganz ähnliche Motive spielten in Deutschland eine Rolle, als die Linke dort das Staatsbürgerschaftsrecht änderte, um Einbürgerungen zu erleichtern, wovon vor allem die türkische Minorität profitiert. Ein verwandtes Feld ist die Neu- und Umdefinition von Bürgerrechten, besonders die Sondergesetzgebung für Homosexuelle oder Feministinnen. Meist laufen diese politischen Kampagnen und Maßnahmen allesamt unter dem Schlagwort der „Demokratisierung“, doch tatsächlich erweitern sie den Spielraum der massendemokratischen Verwalter auf Kosten der Untertanen. ……………………………. Der massendemokratische „managerial state“ baut allen Beteuerungen zum Trotz nicht auf vorhandenen Werten auf, sondern greift im Gegenteil Traditionen an und erklärt gar der Vergangenheit den Krieg. ……………………………. Im Gegensatz zur alten bürgerlichen Forderung nach rechtlicher Gleichheit verlangt die entgrenzte, postmoderne Massendemokratie eine vollkommene Gleichheit. Alle bisherigen Identitäten der Menschen, die ihrem Leben Halt und Sinn gaben, werden dabei als Hindernisse angesehen und als bloße „Konstruktionen“ verworfen. Eine Vielzahl alternativer Lebensstile verdrängt sodann die einstige Bürgerlichkeit, wie es in den zwanziger Jahren schon George Lukacs und andere Vordenker der Frankfurter Schule wünschten. An die Stelle fester Identitäten tritt eine „fließende Kultur“, was diese antibürgerlichen Intellektuellen als Vorstufe und Voraussetzung zur Überwindung der bürgerlicher Gesellschaft begrüßten. Heute erleben wir vor allem in den USA einen staatlich geförderten Pluralismus, wobei der „managerial state“ neue, austauschbare Gruppenetiketten vergibt, meist in der Form irgendeines „Opferstatus“. Doch ganz so reibungslos geht der Übergang ins post-liberale und post-bürgerliche Zeitalter nicht vonstatten. Die Überzeugungen und Werte der Vergangenheit wirken nach und erschweren die pluralistische Resozialisierung. Daher müssen sie als „Vorurteile“ diffamiert und bekämpft werden. Um Widerstand gegen diese Politik zu brechen, arbeiten die massendemokratischen Verwalter an einer permanenten Seelenmassage: Essentiell dafür ist ein neuer, quasireligiöser Schuldkult, der das Erbe der alten, bürgerlichen Welt diskreditiert, während gleichzeitig die „Opfer“ dieser alten, bürgerlichen Gesellschaft durch Sonderrechte bevorzugt und an den „managerial state“ gebunden werden. Neben den Massenmedien spielen auch einige Kirchen eine Schlüsselrolle bei der Etablierung des neuen Kults der Schuld. Nicht nur in den USA, auch in Europa richtet sich dieser explizit gegen das abendländische, „eurozentristische“ Erbe, das als kulturelles Hindernis angesehen wird. Dem dient die Öffnung für Zuwanderer aus fremden Kulturkreisen, die neue Lebensstile mitbringen und so das festgefahrene Erbe zu überwinden helfen. Dabei kommt es durchaus zu paradoxen Situationen, etwa wenn Feministinnen und Homosexuellen-Lobbyisten sich für Einwanderer aus dem theokratischen und patriarchalischen Kulturraum des Islam aussprechen, die jedoch, sollten sie einmal die Mehrheit bilden, ganz andere Werte durchsetzen würden als die von der „political correctness“ geforderte „Toleranz“. Einer der wenigen Europäer, die dieses Paradox sahen und (auf seine eigene, widersprüchliche Weise) lösen wollten, war der ermordete holländische Politiker Pim Fortuyn. Abschließend ist festzustellen, daß der massendemokratische „managerial state“ nur wenig Ähnlichkeit mit älteren Verwaltungsmodellen aufweist, etwa mit dem preußischen Beamtentum oder dem beginnenden Wohlfahrtsstaat zu Bismarcks Zeit. Er ist weitaus ideologischer und nicht mehr auf ein konkretes nationales Territorium begrenzt, sondern global ausgerichtet (das Ideal einer Weltregierung ist dem massendemokratischen Denken inhärent). Zudem baut der „managerial state“ allen Beteuerungen zum Trotz nicht auf vorhandenen Werten auf, sondern greift im Gegenteil Traditionen an und erklärt gar der Vergangenheit den Krieg. Rudimente derselben findet er in bigotten und reaktionären „Vorurteilen“ von Teilen der Bevölkerung, die es mit Hilfe von „Sensitivierungstraining“ zu überwinden gilt. Einige der Vordenker dieses von ihnen als „liberal“ bezeichneten Gesellschaftsmodells glaubten noch, der Übergang von der bürgerlichen Welt in die post-bürgerliche ließe sich mit ein wenig gutem Zureden vollziehen. Die im Windschatten des rasanten Wirtschaftswachstums erzielten Erfolge des „social engineering“ scheinen diese Hoffnung auch zu rechtfertigen, denn nur vereinzelt regte sich „populistischer“ Protest. Der oft beschworene „Aufstand von unten“ blieb bislang aus. Der „managerial state“, als dessen Pionier die Regierung der USA gelten darf, hat viel erreicht. Nach dem Sieg 1945 über den Nationalsozialismus und 1989 über den Kommunismus darf die „liberale Demokratie“ nun weltweit ihren Triumphzug antreten. Der Anspruch, eine „liberale“ Regierungsform zu sein, obwohl doch das Netz der staatlichen Kontrolle der Bürger noch nie so engmaschig war und die Eingriffe selbst in persönlichste Dinge und die Freiheit der Gedanken tiefgreifend sind, dieser Anspruch auf „Liberalität“ beruht zum großen Teil auf der eingangs beschriebenen semantischen Verwirrung: Das massendemokratische Regime und seine intellektuellen Fürsprecher bedienen sich eines vermeintlich vertrauten liberalen Vokabulars von „Bürger-“ und sogar „Menschenrechten“. Der fundamentale Unterschied zum alten Liberalismus liegt darin, daß diese Rechte nicht mehr als Abwehrrechte gegen den Zugriff des Staates, sondern als soziale und auch psychische Anspruchsrechte verstanden werden, die nach der regulierenden Hand des Staates verlangen. Prof. Dr. Paul Gottfried lehrt Politologie am Elizabethtown College in Pennsylvania, USA. Von seinen zahlreichen Büchern wurde „Multikulturalismus und die Politik der Schuld“ ins Deutsche übersetzt (Ares-Verlag, 2004). Zuletzt erschien von ihm „The Strange Death of Marxism. The European Left in the New Millennium“ (University of Missouri Press, 2005). Foto: Steward Bale, „Marks & Spencer Ltd. Church Street, Liverpool 1954“: Unkonvertionelles wird zur Uniform – im Gegensatz zur alten bürgerlichen Forderung nach rechtlicher Gleichheit verlangt die entgrenzte, postmoderne Massendemokratie eine vollkommene Gleichheit

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