Über Mekka lacht die Sonne, über Deutschland lacht die Welt. Am Anfang war der anonyme Hinweis einer im Ausland lebenden (!) Deutschen an die Bundespolizei, daß die geplante Wiederaufnahme von Mozarts „Idomeneo“ an der Deutschen Oper Proteste auslösen könnte. In der Inszenierung von Hans Neuenfels werden am Schluß die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed gezeigt. Das Landeskriminalamt ermittelt, daß es in der Premiere vor drei Jahren bei Jesu Krach gegeben habe, bei Buddha Gemurmel, bei Mohammed Schweigen, und erstellt eine „Gefährdungsanalyse“. Sollte die islamische Welt Wind vom Berliner „Idomeneo“ bekommen, seien die Folgen für die öffentliche Ordnung und Sicherheit schwer abzuschätzen. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) empfiehlt der Intendantin Kirsten Harms telefonisch, die Inszenierung abzusetzen oder zu ändern, verweigert ihr Sicherheitsgarantien und verschweigt ihr ein Beratungsangebot seiner Polizei. Ohnehin hatte Körting die Inszenierung nicht sonderlich gefallen. Harms schreibt der Kulturverwaltung einen Brief, Kultursenator Thomas Flierl (PDS) steckt im Wahlkampf und der Brief in seiner Tasche. Aus Furcht vor islamistischen Anschlägen nimmt Harms die vier für November geplanten „Idomeneo“-Vorstellungen vom Spielplan. Der Vorgang, öffentlich gemacht, schlägt Wellen bis nach New York und Berlin-Neukölln. Nun hätten, in Verteidigung grundgesetzlich garantierter Kunstfreiheit, die Intendantin ihre Fehlentscheidung rückgängig machen, der Innensenator die Vorstellungen mit Polizisten und der Kultursenator mit interkulturellem Dialog begleiten können. Alle drei hätten ihre vorauseilende Verfassungsuntreue korrigieren und ein jeder sich seinem Metier und den realen Bedrohungen des Abendlandes zuwenden können. Verantwortliches Handeln wird durch Diskurs ersetzt Doch weil im Friede-Freude-Fußballweltmeisterschaftsland verantwortliches Handeln gemeinhin durch Diskurse, Gegendiskurse sowie Diskurse über stattfindende und fehlende Diskurse ersetzt wird, gerät der Fall von Selbstzensur endgültig zur Posse. Politiker aller Couleur bis hinauf zu Angela Merkel und hinunter zu Claudia Roth fühlen sich zu Kommentaren bemüßigt. Wolfgang Thierse fragt, was „das nächste“ sein würde, und vergißt zu fragen, was denn das vorige war? Als der damalige Intendant des Maxim-Gorki-Theaters, Bernd Wilms, für das Frühjahr 1999 Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ angekündigt und die Ankündigung eilfertig zurückgezogen hatte, weil die Jüdische Gemeinde Berlin unverhüllt drohte, die Aufführung unter allen Umständen zu verhindern – war die Freiheit der Kunst nicht in Gefahr? Für Kunstfreiheit macht sich auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stark, die noch im Jahr 2000 n. Chr einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Paragraphen 166 StGB in den Bundestag eingebracht hatte. Julian Nida-Rümelin erinnert daran, daß Religions- und Meinungsfreiheit in Europa nicht das Ergebnis der Auseinandersetzung von christlicher Toleranz mit islamischer Intoleranz, sondern von 500 Jahren Kampf gegen christlich-klerikale Autoritäten sind. Christoph Schlingensief sagt der Berliner Zeitung: „Das ist doch schwer bescheuert. Sonst machen sich die Opernhäuser mit pseudoaktuellen Ausschmückungen wichtig – wie Figaro auf dem Moped. Aber wenn eine Oper einmal aus Versehen wegen der äußeren Umstände in der Realität ankommt, dann wird sie abgesetzt.“ In dem Stück würden „ja alle menschengemachten Götter geköpft – Buddha, Christus und Mohammed. Das nenne ich Gleichberechtigung.“ (Ist es aber nicht ganz, wie der Betreiber des Weltnetz-Portals „Muslim-Markt“ und der Journalist Henryk M. Broder einträchtig monieren: Schließlich befinde sich unter den geköpften Religionsstiftern kein Vertreter der jüdischen Weltreligion.) Harms möchte den Diskurs über Kunstfreiheit gerne unabhängig vom konkreten Fall führen, der Journalist Matthias Mattussek auch, und Sabine Christiansen weiß wieder einmal nicht, welche Diskussion überhaupt wie zu führen wäre. Berlins Kultursenator geriert sich als sein eigener Stellvertreter, der sichtbar an den kryptischen Einlassungen und einsamen Entscheidungen seines Chefs leidet, der er selber ist. Flierl mahnt „besseres Kommunikationsmanagement“ an, Körting will sein Kommunikationsmanagement verbessern, die Berliner Opernstiftung kann nicht verbessern, was sie nicht hat, Kirsten Harms verbessert das ihre und veranstaltet am Tag der Deutschen Einheit eine „Idomeneo“-Debatte in ihrem Haus. (Das Haus in der Bismarckstraße steht noch.) Arabischen Mitbürgern ist der Libanon näher als die Oper Verwundert ob des innerdeutschen Kulturkampfes lernen die Araber in den Kulturvereinen von Berlin-Neukölln den Namen „Idomeneo“ zu buchstabieren. Die verschwörungstheoretisch Begabten unter ihnen halten es allerdings für keinen Zufall, daß die Deutschen in der Opernszene eines älteren Berufsprovokateurs den Anlaß für kommende Terroranschläge vermuten dürfen, nicht aber in dem militärischen Engagement Deutschlands im Nahost-Konflikt. Vielen Arabern ist der Libanon näher als ein Opernhaus in Berlin-Charlottenburg. Sie sehen Deutschland als Kriegspartei an der Seite Israels. Die Teilnehmer der ersten deutschen Islam-Konferenz haben sich einmütig dafür ausgesprochen, daß „Idomeneo“ auf dem Spielplan der deutschen Oper verbleibt, Schäubles Einladung zum geschlossenen Besuch aber nicht geschlossen angenommen. In einem freien Land ist der Theaterbesuch freiwillig. Gott sei Dank haben wenigstens unsere Muslime den Kopf nicht verloren! Foto: Szenen aus der „Idomeneo“-Inszenierung von Hans Neuenfels: Vom Spielplan genommen