Mit Spannung hat die Öffentlichkeit auf die erste Enzyklika von Papst Benedikt XVI. gewartet, die als programmatisch für das ganze Pontifikat gilt. Am Mittwoch voriger Woche veröffentlicht, setzt sich das erste Lehrschreiben des neuen Papstes nicht mit moralischen Themen auseinander, sondern faßt das Zentrum des christlichen Glaubens ins Auge. Es trägt den Titel „Deus caritas est / Gott ist die Liebe“ und greift damit einen Satz aus dem Neuen Testament (1 Joh 4,16) auf. Der Mann, der in den vergangenen Jahren oft genug als „Panzerkardinal“ oder „Großinquisitor“ diffamiert wurde und dem man mangelnde Liebe vorwarf, hat sich die Mühe gemacht, die Liebe zu definieren und damit das Wesen Gottes zu beschreiben. Denn Joseph Ratzingers Stärke lag schon immer in seiner klaren Begrifflichkeit. Schon oft mußte das Wort „Liebe“ herhalten, um die heutige Freizügigkeit, homosexuelle Praktiken oder linkspolitische Interessen zu rechtfertigen. Der Papst schreibt: „Das Wort Liebe ist heute zu einem der meist gebrauchten und auch mißbrauchten Wörter geworden.“ Er geht aus von der Spannung zwischen „Eros“ und „Agape“. Mit letzterem Wort bezeichneten die Griechen die schenkende Liebe, die das Wohl des anderen sucht. Doch auch die „Eros“ genannte fordernde Liebe, die den leiblichen Aspekt einschließt, darf keineswegs als selbstsüchtig gesehen werden. Beide Formen gehören vielmehr zusammen. So begegnet der Papst dem Vorwurf der Leibfeindlichkeit, weist aber zugleich darauf hin, daß der zum „Sex“ degradierte „Eros“ trügerisch ist: „Der Mensch selbst wird dabei zur Ware.“ Der Glaube als reinigende Kraft der Vernunft Der Papst entfaltet in seiner Enzyklika große Gedanken, die schon C. S. Lewis 1960 in seinem Buch „Four Loves“ („Was man Liebe nennt“) vorgetragen hat. Hier beschreibt Lewis Zuneigung, Freundschaft, Eros und Agape. Auch für Papst Johannes Paul II. war dieses Buch eine wichtige Grundlage während seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor für philosophische Anthropologie und Ethik in Lublin. Lewis weist in seinem Buch darauf hin, daß die Liebe ein Geschenk Gottes ist. Er hat uns zuerst geliebt, und er hat auch uns die Fähigkeit geschenkt, lieben zu können. Papst Benedikt XVI. greift in seiner ersten Enzyklika diesen Gedanken auf, verleiht ihm ein solides theologisches Fundament und legt ihn in klarer Systematik dar. Die Enzyklika ist zweigeteilt. Nach der theologischen Grundlegung zieht der Papst im zweiten Teil praktische Schlußfolgerungen. Er beleuchtet den Liebesdienst der Kirche, indem er die historische Entwicklung darlegt und dann die heutige Spannung zwischen Kirche und Politik aufzeigt. Vom Marxismus wurde der Vorwurf erhoben, die Armen bräuchten nicht Liebeswerke, sondern Gerechtigkeit; die Liebeswerke unterstützten nur ein ungerechtes System. Auch der Papst sieht in der Gerechtigkeit das Ziel aller Politik. Keinesfalls jedoch dürfe diese Gerechtigkeit durch Revolution herbeigeführt werden. Zentral ist für den Papst die Frage: Was ist Gerechtigkeit? Hier sieht er den Berührungspunkt zwischen Politik und Glauben. Der Glaube sei eine reinigende Kraft für die Vernunft. „Er befreit sie von der Perspektive Gottes her von ihren Verblendungen und hilft ihr deshalb, besser sie selbst zu sein.“ Der Papst plädiert daher für eine Trennung von Kirche und Staat, aber auch für ein gegenseitiges Ergänzen. Die Kirche „kann und darf nicht sich an die Stelle des Staates setzen. Aber sie kann und darf im Ringen um Gerechtigkeit auch nicht abseits bleiben.“ Der Auftrag der Kirche ist es, der „Gewissensbildung in der Politik“ zu dienen. Ebenso klar kritisiert der Papst den „alles regelnden und beherrschenden Staat“, der zur „bürokratischen Instanz“ verkommt. Der Staat soll vielmehr von außen kommende Initiativen anerkennen und unterstützen. Das Wesentliche kann er sowieso niemals geben: die liebevolle persönliche Zuwendung. Mit der Enzyklika „Deus caritas est“ hat der Papst unserer Gesellschaft wichtige Impulse gegeben. Der Politik hat er ihre Grenzen aufgezeigt und an die Hilfe erinnert, die die Kirche ihr geben kann. Der Theologie hat er geholfen, das Zentrum des Glaubens nicht aus den Augen zu verlieren, von dem aus alles andere beurteilt werden muß: Gott, der die Liebe ist.