Viele Kommentatoren der letzten Landtagswahlen hielten es für wichtig, darauf hinzuweisen, daß die rechten wie die linken Parteien mit faktisch der gleichen Rhetorik zu Erfolgen gekommen seien, nämlich mit einer "nationalrevolutionären Kapitalismuskritik". "Les contraires se touchent", hieß es, "die Gegensätze berühren sich."
Sind es aber wirklich nur die Gegensätze, die sich in der gegenwärtigen Politik berühren? Reicht die besagte Rhetorik nicht vielmehr längst über alle Parteien hinweg? Jedenfalls gibt es auch in den beiden "großen Volksparteien der Mitte" prominente Veteranen bzw. Halbdissidenten (Gauweiler, Geißler, Blüm, Helmut Schmidt, Lafontaine), die in ihren Fernseh- und anderen Auftritten überhaupt nichts dabei finden, kräftig ins "antiglobalistische" Horn zu stoßen und den Schröder & Merkel die Leviten zu lesen. Ihre Wortwahl unterscheidet sich nur noch partiell von der von Voigt und Bisky, nicht mehr grundsätzlich.
"Wir können es nicht länger hinnehmen, daß einige Leute in Denver oder New York, deren Finanzkonzern diesen oder jenen hochproduktiven, erfolgreichen Betrieb im Erzgebirge oder im Schwarzwald übernommen hat, eines Tages einfach beschließen: der Betrieb wird zugemacht, seine zweitausend erstklassigen Mitarbeiter werden in die Arbeitslosigkeit geschickt – und dann wird der Betrieb tatsächlich zugemacht, und die Mitarbeiter stehen auf der Straße. Dagegen muß man etwas unternehmen!"
Ist das nun ein Zitat von Voigt oder von Geißler, von Bisky oder von Helmut Schmidt? Darüber streiten sich nur noch die Philologen. In der Sache sind sich die genannten Politiker einig. Die in dem Zitat erwähnte Fern-Schließung ist in ihren Augen ein Skandal, eine Obszönität, eine Eiterwunde, und jeder von ihnen kann aus dem Effeff weitere ähnliche Beispiele nennen. Wie gesagt, die Kritik kommt längst nicht mehr nur vom linken oder rechten "Rand", sie artikuliert sich flächendeckend und ergreift auch immer mehr Hinterbänkler der etablierten Parteien, die nur aus Angst vor ihren Parteioberen den Mund halten.
Die "neoliberale" Begeisterung oder Schein-Begeisterung, der noch vor gar nicht langer Zeit sogar ein Haider in Kärnten oder ein Dewinter in Antwerpen Reverenz erwiesen, ist völlig den Bach hinuntergegangen. Und man glaubt auch nicht mehr an die Unausweichlichkeit oder Unabänderbarkeit der sogenannten Globalisierung, hält sie nicht mehr für ein neoliberales Gottesgesetz, höchstens für ein Gesetz des Teufels, das man außer Geltung setzen sollte.
"Wenn Neoliberalismus bedeutet, daß wir die Wirtschaft aus erstickenden bürokratischen Regelungen des Staates befreien sollen, dann bin ich ein Neoliberaler. Wenn er aber bedeutet, daß wir es widerspruchslos akzeptieren sollen, wenn Finanzjongleure ihr Kapital um den Globus jagen, um mal hier, mal da abzusahnen und sich danach, Ruinen hinterlassend, dem nächsten Opfer zuzuwenden – dann bin ich kein Neoliberaler."
Auch die Urheberschaft dieses Zitats braucht man nicht extra aufzuklären. Manche vor allem der "mittleren" Kritiker sagen es zwar nicht ausdrücklich, doch alle wissen es: Wirkungsvoller Widerstand gegen den "Raubtierkapitalismus" (Helmut Schmidt) läßt sich nur im nationalen Rahmen organisieren oder im Rahmen staatlicher Verabredungen zwischen Nationen. Es gibt keine spontane "internationale Solidarität der Betroffenen" dergestalt, daß sich etwa Arbeiter im pakistanischen Lahore weigern, in einer Chipfabrik zu arbeiten, die aus dem britischen Nottingham in ihre Stadt verlegt wurde, weil dadurch so viele britische "Kollegen" arbeitslos wurden.
Es gibt auch nicht die einst von Adam Smith durch die rosarote Puritanerbrille erspähte "unsichtbare Hand", die das schrille Konzert der "global herumtobenden Finanzhaie" (George Soros) vom Himmel herunter in ein schönes Solidaritätskonzert verwandelt, so daß man nur ein kleines Weilchen zu warten braucht, bis der allgemeine Wohlstand ganz von selbst ausbricht. Sondern die Völker müssen handeln, jedes für sich um das Überleben der je eigenen Bürger und der je eigenen Standards besorgt, und sie dürfen sich dabei nicht von irgendwelchen angeblich allein seligmachenden Großideologien beirren lassen.
Gibt es schon gute Beispiele? Nun, man kann so manches gegen den russischen Präsidenten Putin sagen, aber die Art, wie er den Ölreichtum seines Landes vor dem Zugriff des global flottie-renden Finanzkapitals schützt, entspricht sehr wohl den nationalen Interessen Rußlands und findet denn auch den faktisch ungeteilten Beifall der Russen. Sie ist weder rechts noch links, noch drückt sich in ihr ein "Extremismus der Mitte" aus. Zudem ist sie so angelegt, daß die Flottierer keine Möglichkeit finden, im Namen der (Han- dels-)Freiheit gewaltsam nationale Türen einzutreten oder auch nur damit zu drohen. Mit einem Wort: Sie ist in ihrer Art vorbildlich.
Von der derzeitigen Berliner Regierung und ihrer "Opposition" kann man Vergleichbares selbstverständlich nicht erwarten. Denkbar jedoch (Achtung, Polit-Fiction!) wäre eine die Parteigrenzen endlich einmal, durchaus im Geiste der Verfassung, ignorierende Koalition erklärter Opponenten mit, sagen wir, Peter Gauweiler als Bundeskanzler, Oskar Lafontaine als Finanzminister und Vizekanzler, Udo Voigt als Innenminister, Lothar Bisky als Außenminister und Helmut Schmidt als väterlichem, vor allem in EU-Fragen kompetentem Großberater.
Die jetzt noch maßgebenden Kräfte wären dann in der Opposition und könnten ein Schattenkabinett aufstellen: Schröder Bundeskanzler, Merkel Außenministerin und Vizekanzlerin, Westerwelle Innenminister, Roland Berger Finanzminister, Helmut Kohl Großberater. Vielen Bürgern fiele dann die nächste Wahl ziemlich leicht. Die Wahlbeteiligung würde eventuell wieder steigen.