Vor nicht einmal zehn Jahren wurde von einer Handvoll Berliner Studenten die erste deutsche Großdatenbank für antiquarische Literatur im Internet entwickelt. Im Herbst 1996 startete das „Zentrale Verzeichnis antiquarischer Bücher“ (zvab) mit einer kleinen Bestandsauswahl von rund 40 Antiquariaten. Was damals noch als echter Insidertip galt, bewährte sich in kürzester Zeit als feste Institution, die einer ganzen Branche ihren Stempel aufgedrückt hat. Mittlerweile ist die Zahl der Anbieter im zvab auf über 1.500 angewachsen, die sich nicht nur auf den gesamten europäischen Raum, sondern auch auf Amerika und Asien verteilen. Über neun Millionen Bücher beträgt heute der Gesamtbestand; mehr als 300.000 Zugriffe werden täglich im Durchschnitt verzeichnet. Längst genießt das zvab in Deutschland keine Monopolstellung mehr. 1999 wurde Just Books ( www.justbooks.de ) gegründet, ein Unternehmen, welches im Oktober 2001 zur Tochter der kanadischen Plattform www.abebooks.com avancierte und inzwischen mit über 50 Millionen Einzeltiteln der weltweit größte Anbieter im Internet ist. Auch andere Anbieter wie www.booklooker.de , www.antbo.de , www.bibliopoly.com oder www.zeusman.de versuchen dem zvab Konkurrenz zu machen. Wurde der Anteil der über das Internet vertriebenen antiquarischen Bücher am Gesamtumsatz eines die Netzangebote nutzenden Durchschnittsantiquars im Jahr 2000 noch auf 8 bis 15 Prozent geschätzt, so wird heute von einer Größenordnung zwischen 20 und 40 Prozent ausgegangen. Da sich diese Angaben an den Umsätzen des Gesamtmarktes orientieren, liegt der tatsächliche Anteil bei vielen Antiquariaten weitaus höher, zumal bislang jeder fünfte Anbieter die Möglichkeiten des zvab und seiner Konkurrenten noch nicht nutzt. Es ist leicht nachvollziehbar, daß der rasche Bedeutungszuwachs des Internetvertriebs gerade für einen Markt, der nicht unbedingt als Vorreiter für Reformen bekannt ist, gravierende Folgen haben mußte. Während jedoch über die kurzfristigen Konsequenzen – verstärkte Schließung der zunehmend unrentabel werdenden Ladengeschäfte, Reduzierung der Gesamtfläche – leicht augenfällig sind, wird über die weitaus größeren Veränderungen, die dieser Prozeß für die Beziehungen zwischen den rund 1.200 deutschen Antiquaren und deren Kunden zur Folge hat, nur selten nachgedacht. Zur Verdeutlichung dieses Problems ist es notwendig, zunächst die Geschichte des Antiquariatsbuchhandels der letzten zwanzig Jahre etwas näher zu beleuchten. Während kleinere und mittlere Buchhandlungen für neue Literatur bereits in den siebziger Jahren unter den massiven Druck der Branchenriesen und Marktketten gerieten, immer größere und teurere Ladengeschäfte in den Innenstädten entstanden und der Trend zur Umwandlung in die heutigen Kulturkaufhäuser einsetzte, galt der Antiquariatshandel lange Zeit als eine Domäne, die sich jeder Form des Zeitgeistes scheinbar erfolgreich widersetzen konnte. Oft wirkten die Ladengeschäfte wie letzte Relikte einer vergangenen Zeit: Die Antiquariate blieben verhältnismäßig klein und übersichtlich; Inneneinrichtung und Stil orientierten sich am Geschmack des späten 19. Jahrhunderts. Restbestände dieser Epoche kamen auch in der großen Bedeutung des Namens des Antiquars zum Ausdruck, der für Qualität und Kontinuität bürgen sollte. Der Einstieg verlief für Neueinsteiger meist anders als geplant: Wer den Markt mit den Errungenschaften der 68er-Revolte, mit sogenannten „Szeneantiquariaten“ beglücken und verändern wollte, scheiterte zumeist schnell und kläglich. Dennoch wäre es keineswegs richtig, aus dem allgemeinen konservativen Erscheinungsbild der damaligen Jahre auf das tatsächliche Wesen des Ladeninhabers selbst zu schließen. Nicht von ungefähr wurden Antiquare von der breiten Öffentlichkeit nicht selten als kauzige Wesen wahrgenommen, die angeblich mehr von philosophischen Fragen verstehen als vom Umgang mit potentiellen Kunden. Tatsächlich wirkten Antiquariate auf viele Uneingeweihte gelegentlich wie Versammlungsräume einer frustrierten Intellektuellenszene, die dort ein für sie geeignetes Betätigungsfeld suchte. Wer genauer nach den Ursachen forschte, konnte mitunter Erstaunliches entdecken: Gelegentlich eröffnete eine langjährige Bekanntschaft mit dem Antiquar bessere Chancen, ein gesuchtes Sammlerstück zu erwerben, als der Umfang der eigenen Brieftasche. Dieses merkwürdige, wenig marktwirtschaftlich anmutende Gebaren, hatte freilich einen durchaus rationalen Kern: Oft war (und ist) der Antiquar selber Sammler. Jeder Sammler hat aber die Eigenschaft, sich von seltenen und besonders gesuchten Objekten nur schwer zu trennen. Wenn es schon nicht anders geht, möchte er das gute Stück wenigstens in die Hände besonders vertrauensvoller Personen legen: in der Regel der Stammkunden seines Ladengeschäftes. Den Verlust trägt vor allem der unerfahrene Kunde Spätestens mit den wirtschaftlichen Einbrüchen in den neunziger Jahren in den Antiquariatsmarkt und der raschen Ausweitung des Internetangebots ist ein derartiges Gebaren nahezu undenkbar geworden. Einerseits zeichnete sich der Bedeutungsverlust des „Stammantiquars“ auch für den bislang treuen Kunden in dem Augenblick ab, in dem dieser die Möglichkeit besaß, sich von der aktuellen Häufigkeit und dem Durchschnittspreis eines Buches selbst auf einfache Weise zu informieren. Umgekehrt ist aber auch der einstige Stammkunde für den Antiquar immer entbehrlicher geworden, da sich der wirtschaftliche Erfolg für ihn immer weniger – wie zuvor – auf Verkäufe in seine Heimatregion beschränkt. Der Käufer antiquarischer Literatur wird damit ebenso zum anonymen Produktempfänger, wie der Antiquar zu dessen anonymen Vermittler wird – für den es egal ist, wer sein Kunde ist bzw. wo dieser wohnt, sondern einzig und allein das Prinzip zählt, ob dieser die erbrachte Leistung bezahlt. Die Veränderungen beschränken sich allerdings nicht nur auf die Ausweitung der räumlichen Perspektive. Da Antiquare einen reichen Erfahrungsschatz in ihrem Spezialgebiet besitzen und auf diesem Gebiet oftmals wahre Experten sind, bringen sie eine Menge inhaltlichen Wissens mit. Mit der rapiden Bedeutungszunahme des Internets verlieren diese Fähigkeiten erheblich an Gewicht. Man braucht keinem solchen Kulturpessimismus wie ein renommierter Prager Antiquar zu unterliegen, der vor wenigen Jahren sich und seinen Kollegen einen Wandel vom Fachhändler zum Krämer voraussagte, doch eines steht bereits heute fest: Die Beratung des Kunden – bislang eine der zentralen Leistungen, die gute und weniger gute Antiquare unterschied – genießt im Internetzeitalter zwangsläufig einen deutlich untergeordneten Stellenwert. Den daraus resultierenden Verlust trägt in erster Linie der wenig erfahrene Käufer. Während der professionelle Sammler gezielt nach Titeln einiger Autoren Ausschau hält und über die Inhalte der von ihm favorisierten Bücher bereits mehr oder weniger gut informiert ist, fehlt dem Gelegenheitskäufer eine solche Übersicht. Nicht selten sind die Titel von Büchern wenig aussagefähig, die Stichwortsuche ein zusätzliches Glücksspiel. Von der massiven Ausweitung des Internetangebots profitieren vor allem diejenigen Antiquare, deren Verkaufsstrategie auf einer Masse von Titeln im mittleren Preisbereich beruht. Dem von dieser Gruppe ausgehenden Druck wird sich die Mehrzahl der Spezialisten nicht entziehen können. Und dann haben sich die Prinzipien einer globalisierten Welt auch im Antiquariatsbuchhandel endgültig durchgesetzt. Internetseite www.zvab.com : Stammkunde und Antiquar sind einander entbehrlich geworden