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„Fast ein Kulturkampf“

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Herr Matthies, in den deutschen Feuilletons tobt ein erbitterter Streit um den Film „Die Passion Christi“ – eine Angelegenheit, die nur für Christen von Interesse ist? Matthies: Nein, ganz und gar nicht! Wer den Streit verfolgt, stellt bald fest, daß es sich fast um einen Kulturkampf handelt. Dieser Film stellt offensichtlich in mehrfacher Hinsicht eine enorme Provokation dar. Denn er konfrontiert das kulturelle Establishment in Deutschland mit einer Größe, die ihm unheimlich ist: nämlich Jesus Christus, der Sohn Gottes. Er nimmt – obwohl selbst völlig unschuldig – für andere – Schuldige, die Menschen insgesamt – furchtbares Leid auf sich, damit sie versöhnt mit Gott sein können, wenn sie sich für ihn entscheiden. Man möchte sich im Tiefsten mit der Provokation, die Jesus Christus darstellt, nicht auseinandersetzen. Denn er behauptet, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ zu sein. Das zwingt dazu, für oder gegen ihn zu sein. Was halten Sie für die eigentlichen Beweggründe der Kritiker des Films? Matthies: Ich will nicht behaupten, daß die Gegner des Films sich allesamt im Klaren darüber sind, was sie tatsächlich zu ihrer „Kritik“ bewegt, vermutlich glauben viele wirklich, der Film sei lediglich blutrünstig oder dumm. Häufig wird jedoch gegen diesen Film angeschrieben, weil er schlicht verunsichert, da er an etwas erinnert, mit dem zahlreiche Menschen nicht umgehen können. Und auf Fremdes reagiert der Mensch meist mit Angst und Ressentiments. Sie meinen, als das Fremde empfinden die Kritiker die „archaische“ Unmittelbarkeit des ursprünglichen Glaubens? Matthies: Unsere Gesellschaft hat den Menschen in den Mittelpunkt gestellt und dabei vergessen, daß der Mensch ohne Gott einer Urangst vor dem Nichts ausgesetzt ist. Und unsere Gesellschaft hat die Fähigkeit zu glauben weitgehend durch eine alles relativierende Kritik ersetzt, dabei aber „vergessen“, daß – so wichtig es ist, auch Dinge in Frage zu stellen – der Mensch Hoffnung nur aus Glauben und Vertrauen schöpfen kann. „Die Passion Christi“ zeigt nun die Geschichte eines Glaubens, der nicht nur stärker ist als alle Zweifel, sondern auch stärker als der Wunsch zu überleben: Zwar bittet Jesus im Garten Gethsemane vor der Kreuzigung noch, Gott möge „diesen Kelch“ an ihm vorübergehen lassen, doch er ist grundsätzlich bereit, „sein Kreuz zu tragen“, wenn Gott es von ihm verlangt. Regisseur Mel Gibson erzählt diesen zentralen Teil der christlichen Heilsgeschichte so direkt und ohne Zugeständnisse an moderne Abstraktionen, daß die ursprüngliche Kraft des Christentums spürbar wird. Sie aber zwingt den Menschen, der den Pluralismus gewohnt ist, zur Entscheidung. Sie meinen, unsere westlich-laizistische Gesellschaft kann mit dem Erbe des christlichen Glaubens in Deutschland im Grunde nicht umgehen? Matthies: Religion ist dem „aufgeklärten“ Laizisten verdächtig, sobald sie selbstbewußt daherkommt. Er kann in ihr zunehmend nur noch eine Form des Extremismus erkennen, auf die er mit Aggression reagiert – es folgt in aller Regel auch der sofortige Hinweis auf die vermeintliche innere Übereinstimmung mit islamischen Terroristen. Und wir erleben ja in der Tat, daß die Fundamentalismusvorwürfe gegenüber Christen immer mehr zunehmen. Sogar Martin Hohmann gilt vielen als ein christlicher Fundamentalist, obwohl er, was die religiösen Elemente seiner Rede angeht, im Grunde nichts anderes gesagt hat, als etwa der Papst. Sie verstehen den Film als eine große Chance für die Christen in Deutschland. Der US-amerikanische Rabbi Daniel Lapin spricht davon, daß der Film „eines Tages als Vorbote einer großen Erweckung in den USA gelten wird“. Glauben Sie allen Ernstes, so etwas hätte auch in Deutschland bewirkt werden können? Matthies: Wir haben von vielen – nicht nur Christen – gehört, wie tief sie der Film beeindruckt hat. Eine typische Reaktion lautet: „Meine Güte, das war mir alles so deutlich gar nicht klar!“ Laut offiziellen Umfragen bewerten 65 Prozent der Kinobesucher den Film als „gut“ beziehungsweise „sehr gut“. Spätestens mit dem unglaublichen Erfolg des Filmes in den Vereinigten Staaten – dort sahen ihn bereits 60 Millionen Menschen – stellt er eine enorme Herausforderung dar, auf die die Kirchen in Deutschland kurzfristig und mit allem Einsatz hätten reagieren müssen! Zum Beispiel durch Pastoren und andere Christen vor den Kinos, durch spontane Gottesdienste vor Ort, Flugblätter, Einladungen zu Nachgesprächen und vieles mehr. Nie gab es jedenfalls in den letzten Jahrzehnten eine so geeignete Möglichkeit zu verdeutlichen, was christlicher Glaube ist! Also steht die gemeinsame Erklärung von Kardinal Lehmann, EKD-Bischof Huber und dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden Spiegel, in dem diese den Film kritisieren und vor seinen Folgen warnen, in Widerspruch zum überwiegenden Teil des Kirchenvolks? Matthies: Die Reaktionen unter den Christen auf diesen Film sind ganz überwiegend positiv, denn den Antisemitismusvorwurf kann kaum jemand nachvollziehen. Die Gewalt macht verständlicherweise einigen zu schaffen. Manche sehen auch vom Besuch des Filmes ab, weil sie nicht das Bild eines Schauspielers vor Augen haben wollen, wenn sie zu Jesus beten. Das ist allerdings das Problem von Bibelverfilmungen überhaupt. Bezüglich der gemeinsamen Erklärung steht zumindest folgendes fest: Kardinal Lehmann kann sich nicht auf sein Kirchenoberhaupt berufen, denn vom Papst kamen sehr positive Signale zu diesem Film. Und Bischof Huber hat die EKD in dieser Frage nicht geschlossen hinter sich, schon sein Stellvertreter, der thüringische Landesbischof Kähler, bewertet den Film positiv. Die „Zeit“ zum Beispiel wirft dem Film Fanatismus“ und „Haß gegen alle“ vor, weil er sich statt etwa mit der Bergpredigt detailliert mit dem Kreuzestod Jesu beschäftigt. Ist denn die Passion tatsächlich nur eine Nebenepisode der Heilsgeschichte? Matthies: Nein, ohne die Kreuzigungsgeschichte verlöre das Christentum das Entscheidende! Denn ohne Kreuzigung keine Auferstehung, ohne Auferstehung keine Erlösung. Und darum geht es: um Erlösung. Eine unbequeme Vorstellung, weil sie eine ungeheure Herausforderung bedeutet und weil sie Themen, wie Schuld und Leid, die man heute lieber meidet, mit einschließt. Es ist nicht ganz untypisch, daß zum Beispiel die Hamburger Bischöfin Jepsen zu Weihnachten 1998 äußerte, sie stelle sich manchmal vor, die Christen hätten nicht das Kreuz als Zeichen der Christenheit genommen, sondern die Krippe, die „ein so freundliches Zeichen“ sei. Man hat inzwischen häufig den Eindruck, vielen „modernen“ Kirchenführern geht es in jeder Beziehung eher um Harmonie, als um Glaubensinhalte. Matthies: Für viele scheinen zumindest in öffentlichen Erklärungen häufig soziale Inhalte wie Frieden und Gerechtigkeit im Vordergrund zu stehen. Aber nach dem Neuen Testament ist entscheidend, daß ich Frieden mit Gott habe. Und diesen habe ich prinzipiell durch den Sühnetod Christi am Kreuz. Für mich persönlich aber nur, indem ich mich auch für Christus entscheide, also Christ werde. Das ist die Provokation, die vom Film „Die Passion Christi“ ausgeht! In Frankreich weigert sich die Kinokette MK2, den Film auch wegen seines angeblichen Antisemitismus ins Programm zu nehmen. Der Chef der Kette, gleichzeitig Präsident des Verbandes der französischen Filmverleiher, bezeichnete ihn gar als einen „faschistischen Propagandafilm“. Matthies: Nicht nur führende Rabbiner in den USA, sondern auch zum Beispiel die Jüdische Allgemeine Wochenzeitung in Deutschland widersprechen dem Antisemitismusvorwurf. In ihrer Ausgabe vom 4. März heißt es gleich zu Beginn: „Entwarnung. Dieser Film ist kein übles antisemitisches Machwerk.“ Daß das Blatt trotzdem vor dem Film warnt, wird damit begründet, daß der Film „ein Martyrium, eine seelische und körperliche Qual, selbst für hartgesottene Kinogänger“ wegen seiner „Folterszenen“ bedeute. Sollte der Film im übrigen wirklich antisemitisch sein, dann wäre es das Neue Testament auch, wie der Sprecher des Vatikans treffend festgestellt hat. Im übrigen erklärte zum Beispiel auch die Schauspielerin Maia Morgenstern, die die Mutter Maria spielt und selbst Jüdin ist – ihr Großvater ist in Auschwitz ermordet worden -, sie könnte nicht den „geringsten Anhaltspunkt dafür, daß der Film tendenziös und antisemitisch ist“, erkennen. Gibson hat auf Druck jüdischer Lobbyorganisationen immerhin den aramäischen Satz, „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ – mit ihm forderten Juden Pontius Pilatus auf, Jesus zu kreuzigen – bei der Untertitelung unübersetzt gelassen. Matthies: Dieses Verhalten halte ich nicht für akzeptabel, denn die Religionen sollten sich gegenseitig zubilligen, sich selbst so darstellen zu können, wie es ihren Gründungsurkunden entspricht. Der jetzt unübersetzte Satz steht immerhin im Matthäus-Evangelium. Die Angst, der Film könne Antisemitismus provozieren, ist in Deutschland im übrigen auch von daher unbegründet, als Antisemitismus in unserem Land Studien zufolge eher gering, zumindest geringer als in vielen anderen Teilen der Welt ist. Sonst würden auch nicht mehr Juden nach Deutschland einwandern als selbst in den Staat Israel! Bekanntlich hat sich seit 1990 die Zahl der Juden in Deutschland von 33.000 auf jetzt 270.000 geradezu verachtfacht. Das alles zeigt, daß die Situation in unserem Land – Gott sei Dank – nicht so negativ ist, wie es der Zentralrat der Juden leider immer wieder darstellt. Welche Überzeugungskraft haben denn Kirchenvertreter, die sich entgegen dieser Fakten, lieber voll Mißtrauen gegenüber dem angeblich Gefährlichen ihrer Glaubenstradition zeigen, als Vertrauen in ihren Glauben zu haben? Matthies: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung konstatierte im Zusammenhang mit der Bewertung des Films folgendes: „Vielleicht reagierte Mel Gibson, als er das furchtbarste Leid darstellte, nur auf eine Tendenz der Gegenwart, die Herausforderung des Kreuzes zu mildern. Denn mancher, auch in der Kirche, will den Anblick des toten Christus den Menschen nicht mehr zumuten. Die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen äußerte 1996, daß man am Zeichen des Kreuzes selbst durchaus festhalten könne – wenn man es ’sanfter‘ mache: Statt des Gefolterten könne man auf dem Querbalken spielende Kinder zeigen. Es ist diese Theologie, der die Menschen davonlaufen, und man wird vermuten können, daß sich manche unter ihnen von Gibsons Film eher angesprochen fühlen. Für manche wird die eigentliche Überraschung darin liegen, daß ein kompromißlos christlicher Film beim heutigen Publikum ankommt. Das ist es, was die zumeist säkular-liberalen Kritiker irritiert, irritieren muß.“ Was die Zukunft der Kirchen anbetrifft, halte ich es für fraglich, ob man in 20 oder gar 30 Jahren noch von Volkskirchen wird sprechen können, ich bin mir aber absolut sicher, daß es die Gemeinschaft der an Jesus Glaubenden immer geben wird. Ecce Homo! Helmut Matthies ist Leiter der konservativen Evangelischen Nachrichtenagentur idea in Wetzlar. Geboren 1950 in Peine, studierte er Diakoniewissenschaft und evangelische Theologie und war Pfarrer der hessen-nassauischen Kirche. Journalistisch war er als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen, etwa Die Welt oder Rheinischer Merkur, sowie für die dpa tätig. Foto: Jesus im Film „Die Passion Christi“: „Gibson erzählt so, daß die ursprüngliche Kraft des Christentums spürbar wird. Die Kirchen hätten mit allen Mitteln reagieren müssen: Pastoren vor den Kinos, Gottesdienste vor Ort, Flugblätter und vieles mehr.“ weitere Interview-Partner der JF

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