Alle Bitten und Drohungen von Uno- und EU-Vertretern sowie sogar US-Vertretern haben nichts geholfen: Letzten Samstag stimmten 75,8 Prozent Griechen gegen den UN-Plan, aus der Mittelmeerinsel einen Bundesstaat mit zwei Kantonen zu machen. 64,9 Prozent der Türken auf Zypern stimmten hingegen für den von Uno-Chef Kofi Annan ausgehandelten Lösungsvorschlag einer „Vereinten Republik Zypern“. Dieses Konzept ist damit zumindest vorerst gescheitert. Zwar sind einige Verbesserungen für die Griechen denkbar und ein zweites Plebiszit möglich. Davon will aber die EU vorerst nichts wissen, obwohl in schwierigen Entscheidungen bei verschiedenen EU-Mitgliedern wiederholt zweite Volksbefragungen stattfanden. Die Folgen des Scheiterns des Annan-Planes sind vielseitig. Am 1. Mai wird damit nur der international anerkannte griechische Teil Zyperns der EU beitreten – das hatte Athen bei den EU-Erweiterungsverhandlungen geschickt durchgesetzt. Eine dauerhafte Lösung des Zypern-Problems wird erneut aufgeschoben. „Wir sind jetzt erst einmal am Ende“, erklärte Annan dem Fernsehsender CNN. „Wir sind natürlich alle sehr enttäuscht, daß die Bemühungen zur Wiedervereinigung nicht zum Erfolg geführt haben.“ Die Erklärung des griechisch-zyprischen Präsidenten Tassos Papadopoulos, es sei der Annan-Plan, jedoch nicht die Lösung des Problems abgelehnt worden, bedeutet nicht viel. Unverblümt ist der Zorn Washingtons auf die Zypern-Griechen. Das US-Außenministerium hat ihnen letzten Montag sogar Wahlmanipulation vorgeworfen. Es gebe Berichte über Einschüchterungsversuche vor dem Referendum über den UN-Plan, erklärte Außenamtssprecher Richard Bouche. Der Rundfunk habe den Gegnern fast doppelt soviel Sendezeit eingeräumt wie den Befürwortern. Lehrer seien ermuntert worden, bei ihren Schülern für ein Nein zu werben. Aber auch in der EU wächst die Abneigung gegen die Griechen und das Zypern-Problem selbst. Nun seien auch die EU-Beziehungen zur Türkei „unnötigerweise kompliziert“, meinte Erweiterungskommissar Günter Verheugen. Der SPD-Politiker unterstellte den griechischen Nein-Sagern sogar „sehr handfeste ökonomische Interessen“. Die „reichen Hoteliers im Süden“ hätten Angst, „daß der touristisch bisher wenig entwickelte, aber in Wahrheit viel attraktivere Norden sich zu einer Konkurrenz für sie entwickeln könnte“. Außenminister Joseph Fischer (Grüne) befürchtet nun „eine Zementierung der Teilung der Insel“. Dies sei von griechischer Seite zwar niemals gewollt gewesen, könne aber eine Folge sein, warnte Fischer beim Treffen der EU-Außenminister. Die Ablehnung sei „zutiefst“ zu bedauern. Die EU wolle den türkischen Norden Zyperns daher mit 259 Millionen Euro unterstützen – aus dem Finanzpaket was zur Vereinigung der Insel vorgesehen war. Zudem solle der Personen- und Warenverkehr zwischen beiden Inselteilen vereinfacht werden. Man wolle für die Zypern-Türken „alles tun, was rechtlich möglich ist“, so Fischer letzten Montag. Im Sinne von Washington, London und Ankara Dem griechisch-zypriotischen Außenminister zeigten seine EU-Kollegen die kalte Schulter: „Es ist beunruhigend. Alle schweigen hier. Selbst die, die als unsere Freunde galten, halten jetzt ihre Karten bedeckt“, beklagte sich Giorgos Iakovou im zypriotischen Rundfunk (RIK). Bischof Neofytos von Morfou, dessen Bistum im türkischen Inselteil liegt und der – im Gegensatz zu den fünf anderen griechisch-orthodoxen Amtkollegen – für die Vereinigung war, nimmt die weltweite Kritik gelassen: „Wir haben die Unterdrückung der Araber, der Kreuzritter, der Osmanen, der Briten und die Invasion der Türkei überlebt. Wir werden wohl auch den Druck der internationalen Gemeinschaft aushalten“. Das klare Nein der Griechen und das eindeutige Ja der Türken werden auch Probleme für die unterlegenen Parteien bringen. Auf der griechischen Seite gilt dies insbesondere für den Chef der Demokratischen Sammlung (Disy) auf Zypern, Nicos Anastasiadis, aber auch für den sozialistischen Oppositionsführer Georgios Papandreou (Pasok) in Griechenland. Beide haben eindringlich für ein Ja geworben. 60 Prozent der Disy-Anhänger stimmten trotzdem mit Nein. Im Nordteil der Insel wurde bereits der Rücktritt von Rauf Denktas, Präsident der „Türkischen Republik Nordzypern“, verlangt, nachdem nur 35,1 Prozent seinem Nein folgten. Die erdrückende Mehrheit seiner Anhänger sind eingewanderte Festlandstürken. Die wenigsten, die nun die Griechen auf Zypern kritisieren, haben die 9.960 Seiten des Annan-Planes gelesen, um zu wissen, was die Griechen eigentlich abgelehnt haben. Der angebliche Inhalt des Planes ist von Annan selbst, von US-Außenminister Colin Powell und von EU-Außenbeauftragte Javier Solana in den Medien propagiert worden. Aber es stimmt nicht, daß der Uno-Plan auf der Grundlage des schweizerischen Staatsmodells konzipiert worden ist. Die vorgesehene Vereinte Republik Zypern wäre ein Novum in der Staatenwelt. Letztendlich wäre sie weder souverän noch entscheidungsfähig – es sei denn, es geschehe der Wille der Türken. Der Uno-Plan geht in seinem Ursprung und in seiner Gestaltung auf Washington und London (die immer noch zwei riesige Militärstützpunkte unterhalten) zurück – sie brauchen die Türkei als Verbündeten ihrer Politik im Nahen und Mittleren Osten. Sie verfolgten zwei Hauptziele: Die Lösung des Zypern-Problems – jedoch unter der Voraussetzung, daß die Lösung auch Ankara befriedigt, selbst wenn die Türkei kein EU-Mitglied wird. Das war eine unverrückbare Bedingung der türkischen Militärs. Die zweite Voraussetzung war das durchschaubare Junktim mit Blick auf das EU-Recht zwischen der jetzigen Lösung des Zypern-Problems und eventuellen späteren Verhandlungen für die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Die späteren Ausnahmen vom EU-Recht für die Türkei würden mit der jetzigen Akzeptanz solcher Abstriche beim UN-Plan begründet werden (siehe auch „Die türkische Eintrittskarte“ in JF 49/02). Was die Griechen nicht hinnehmen konnten, war, daß den Türken – neben dem EU-Beitritt – fast alle Wünsche erfüllt wurden. So erhielten etwa 45.000 von 110.000 Türken (meist aus Anatolien), die nach 1974 im Norden der Insel angesiedelt worden waren, ein Bleiberecht. Die Türkei wäre zwar zu einem drastischen Truppenabbau ihrer derzeit weit über 30.000 Soldaten gezwungen worden. Doch als Garantiemacht hätte die Türkei (wie Griechenland) das dauerhafte Recht bekommen, Soldaten auf Zypern (und damit auf EU-Gebiet) zu stationieren. Bis 2011 waren 6.000 Soldaten vorgesehen, bis zum Jahr 2018 soll diese Zahl auf 3.000 sinken. Danach hätten immerhin noch 950 griechische und 650 türkische Soldaten auf Zypern bleiben dürfen. Bis zu 200.000 Griechen hatten bei der türkischen Militärintervention 1974 Haus und Hof verloren. Nach dem UN-Plan durften nur wenige zehntausend heimkehren. Ihre Gesamtzahl sollte einen Anteil von 18 Prozent der türkisch-zypriotischen Bevölkerung nicht überschreiten. Außerdem sollte die Rückkehr erst in fünf Jahren beginnen. Auf die Rückgabe von Eigentum oder Grenzveränderungen hätten die Griechen bis zu 19 Jahre warten müssen. In dieser Zeit wäre letzten Endes das Geschehen auf Zypern durch Ankara, Washington und London bestimmt worden. Die Griechen machten aber bislang die Erfahrung, daß Washington stets die Gunst der Türkei als dessen Partner im Nahen Osten durch Zugeständnisse auf Zypern zu Lasten der Griechen erkauft. Auch heute sind die Griechen davon überzeugt, daß Washington und London sich weniger um die Lösung des Zypern-Problems bemühen als vielmehr um die Förderung der EU-Mitgliedschaft der Türkei und um ihre Nahost-Interessen. Das Drängen Washingtons zur Annahme des Annan-Planes bestätigte dieses Mißtrauen der Griechen, zumal es absurde Formen annahm: Colin Powell rief sogar den Vorsitzenden und einzigen Abgeordneten der Grünen-Partei Zyperns, George Perdikis, an, und „empfahl“ ihm, mit Ja beim Plebiszit zu stimmen! Perdikis seinerseits „empfahl“ dem US-Außenminister, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Zyperns einzumischen. Vielleicht werden die Europäer den Zypern-Griechen einmal dankbar sein, daß diese am 24. April das Trojanische Pferd von Amerikanern, Briten und Türken auf Zypern ausbrannte, bevor es die Tore der EU passierte. Aber auch die Chancen für die – zumindest faktische – internationale Akzeptanz der bislang nur von Ankara anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ steigen nun. Denn die bisherige UN-kontrollierte Demarkationslinie ist ab 1. Mai zugleich eine Außengrenze der EU. Foto: Griechische Schülerinnen sagen „Nein“ (Oxi) zum UN-Plan: 75,8 Prozent folgten ihrer Aufforderung / EU-Land Zypern: Seit 1974 ist der Norden immer mehr verarmt