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Marc Jongen, ESN Fraktion

Was Jünglinge erhellt und dynamisch macht

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Was Jünglinge erhellt und dynamisch macht

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Wenn in alten, hochviktorianischen Zeiten ein festliches Dinner beendet war, kam für die beteiligten Herren die schönste Phase des angebrochenen Abends. Sie durften sich nun für eine Weile ins „Raucherzimmer“ zurückziehen und dort bei einer guten Zigarre und unbehelligt von weiblicher Dreinrede ganz und gar eigene, also „Männer“-Fragen besprechen. Leider währte die Rauchpause nur kurz, nur allzu bald mußte man in den Salon zu den Damen zurück, und der sich daraus ergebende Seufzer ist sprichwörtlich geworden: „We must join the ladies!“ Heute gibt es die typisch männliche Rauchpause überhaupt nicht mehr, schon weil es in den Villen keine Raucherzimmer mehr gibt. Auch die früher den Männern vorbehaltenen „Clubs“ sind verschwunden, „Lions“ oder „Rotary“ stehen längst auch Frauen offen und haben dadurch ihren Sinn und ihre Attraktivität verloren. Die „moderne Gesellschaft“ duldet nicht die geringste Männerbündelei mehr, auch die harmloseste nicht. Unter solchen Bedingungen ein Buch mit dem lapidaren Titel „Männerbund“ herauszubringen und darin auch noch die These aufzustellen, daß die vielen Männerbünde in der Geschichte der Menschheit eine überwiegend positive Rolle gespielt hätten und daß die aktuelle Verdammung der Männerbünde schlimme Folgen für uns alle haben dürfte, das ist verwegen und wirkt geradezu selbstmörderisch. Aber genau das tut Karlheinz Weißmann. Seine soeben in der Edition Antaios erschienene Arbeit heißt klipp und klar „Männerbund“, und ihr Einband wird provokant geziert von Ferdinand Hodlers begeistertem Gemälde „Einmütigkeit“ von 1913, wo Männer dicht bei dicht (und ohne die geringste weibliche Begleitung) beisammenstehen und die Arme emphatisch zum edlen Schwur der Gemeinsamkeit erhoben haben. Weißmanns Buch, ein Büchlein eher von 125 Seiten mit vielen Abbildungen und Literaturangaben, hat es in jeder Hinsicht in sich. Fast mit jedem Satz verstößt es frontal und aggressiv gegen den heiligen Zeitgeist und die Political Correctness – und bleibt dabei doch so gelassen und zierlich und pädagogisch genau, daß es die reine Freude ist. Komplizierteste Probleme werden in luzideste Wissenschaftsprosa aufgelöst, Fachleute kommen ebenso auf ihre Kosten wie interessierte Laien und eifrige Erstsemester, und nach der Lektüre weiß man sich in jeder Richtung optimal belehrt. Das Problemfeld wird in seiner ganzen Breite entfaltet. Die Rolle der Männerbünde in den afrikanischen Stammesgesellschaften findet ebenso Platz wie die Diskussion über die Rolle von Männerbünden in Faschismus und Nationalsozialismus, es gibt Exkurse über „Mittgart-Ehen“ und die japanische Mishima-Tragödie, über antike Mysterienkulte, ekstatische Geheimbünde bei den alten Germanen, Waffentänze, moderne Jugendbanden und nicht zuletzt über „Frauenbünde“, die parallel zu den Männerbünden entstanden. Weißmann vertritt den neuesten Forschungsstand und bringt so manche in der Vergangenheit entstandene Schieflage ins Lot. So entkleidet er den belgischen Völkerkundler Arnold van Gennep des Ruhms, der erste und ausschlaggebende Erforscher der Männerbünde gewesen zu sein. Die Ethnologie der Männerbünde war, so wird unwiderlegbar nachgewiesen, eine „deutsche Erfindung“; „Altersklassen und Männerbünde“ von Heinrich Schurtz war das Schlüsselwerk und nicht Genneps „Rites de passage“. Voraufgegangen waren, schon in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, frühe Feldforschungen Oskar Schades, dann Hermann Useners bahnbrechende Untersuchung über „Jünglingsgesellschaften“ von 1883 und das sensationelle, epochemachende Werk von Leo Frobenius „Die Masken und Geheimbünde Afrikas“ aus dem Jahre 1898. Sehr klar stellt Weißmann heraus, daß das Phänomen der Männerbünde nicht etwa ein Ausfluß des in den meisten frühen Stammesgesellschaften herrschenden Paternalismus war, dergestalt daß die Bünde lediglich die soziale Aufgabe hatten, junge Männer aus der Obhut der Mütter herauszulösen und durch Absonderung, Initiation und Prüfung in die Männerwelt der ausschlaggebenden Väter und Patriarchen einzuführen. Der Perspektive der Patriarchen mochte das wohl entsprechen, doch die Phase der Absonderung und der Initiation schuf eine ganz eigene Lebensatmosphäre, in der die Jünglinge oft einen ganz eigenen, strikt auf ihre eigene Befindlichkeit zugespitzten Wertekanon ausbildeten. Dieser Kanon paßte keineswegs immer und in jedem Belang in die überkommene Patriarchenwelt hinein. Besonders in Krisenzeiten artikulierte sich darin nicht nur eine Aufsässigkeit gegen die überwundene Mutterwelt, sondern oft genug auch eine Aufsässigkeit gegen die nun drohende Vaterwelt, für die man doch – scheinbar – so gut zugerüstet worden war. Die Ideologie der Männerbünde, recte: Jünglingsbünde, vereinigte sich in vielen Fällen zwanglos mit der Ideologie von Revolutionen und grundstürzenden sozialen Veränderungen, aus dem Geschlechterkonflikt wurde unversehens ein Generationenkonflikt. Speziell die kulturellen Auseinandersetzungen in der sogenannten „Moderne“, zeigt Weißmann, beziehen ihre Spannungen und ihr Konfliktpotential aus der brisanten Verbindung von Männerbündlichkeit und Generationenkonflikt. In Deutschland gewann diese Legierung nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg buchstäblich weltbewegende Sprengkraft. Die Speerspitze der Männerbünde richtete sich hier nicht mehr gegen die Mutterwelt als solche, sondern gegen die „bürgerliche Gesellschaft“ im ganzen inklusive ihrer, angeblich verweichlichten, überfressenen, zur Führung unfähigen, patriarchalischen Oberschichten. Nicht eine aus der Ökonomie abgeleitete Gegenökonomie, wie sie der Marxismus lieferte, stieg in Deutschland und Mitteleuropa zum entscheidenden revolutionären Antrieb auf, sondern die Idee des Männerbundes, die Idee des durch Initiation und Schmerzprüfung scharf und dynamisch gemachten Jünglings, der den Lauf der Dinge ständig mit neuer Kraft erfüllt, ohne je selbst in eine „Hurra, es ist erreicht!“-Stimmung, in Selbstgefälligkeit und Verfettung zu verfallen, weil ihn dagegen eben die Zugehörigkeit zum „Bund“ schützt, der von jedem Mitglied ständiges Opfer und ständige Schmerzprüfung fordert. Die Darstellung dieser politisch zur Entscheidung drängenden Männerbünde im Deutschland der späten Kaiserzeit, der Weimarer Zeit und des frühen Nationalsozialismus bildet den Mittelpunkt des Weißmannschen Buches, seine „pièce de résistance“. Alle damals bekannt und mächtig gewordenen Gestalten tauchen auf und werden knapp und wuchtig skizziert, die „bündische Jugend“, der George-Kreis, Friedrich Nietzsche, Hans Blüher und Herman Schmalenbach, Ernst Bäumler und Otto Höfler. Dazu gibt es Seitenblicke auf Italien, Frankreich, Rumänien. Konturgenau wird das Verhältnis des etablierten NS-Regimes zu den Männerbünden beleuchtet. Es war ambivalent und uneinheitlich, wechselte im Ablauf der einzelnen politischen Phasen und führte manchmal auch zu erklärten Feindseligkeiten. Sympathisch an den Männerbünden war den Hitlerleuten deren betontes Kämpfertum, die Opfer- und militärische Einsatzbereitschaft. Andererseits bestanden stets Zweifel an der „völkischen“ Überzeugung der Männerbünde, man verdächtigte sie der latenten Frauen- und Mütterfeindschaft, des Hangs zur Homoerotik. Es gibt bei Weißmann ein eigenes Kapitel über „Männerbund und Homoerotik“, in dem manches klargestellt und in die rechte Perspektive gerückt wird. Unterm Strich ergibt sich: Die spezifische Idee des Männerbundes als politischer Kraft spielte im Nationalsozialismus eine eher untergeordnete Rolle. Man war hier (und nicht nur hier) sehr altbürgerlich und ließ das die Blühers und Höflers deutlich spüren. Trotzdem dient die (sowohl wirkliche wie nur vorgebliche) NS- und Faschismusnähe der neuzeitlichen Männerbünde heute als standardisiertes Totschlagargument, mit dem man sich jeder Diskussion bequem entziehen kann. Ein weiteres Standardargument gegen die Männerbünde liefert ihre vermeintliche Nähe zum „Machismo“ und zur Binnenwelt moderner Jugendbanden. Im Fernsehen und in den großen Printmedien taucht der Männerbund mittlerweile nur noch als Karikatur und als Schreckbild auf, mit dem man den Kindern in der Schule Angst macht und mit dessen Hilfe Feministinnen in Talkshows ihre „Diskurshoheit“ behaupten. Sogenannte „gender studies“ sind eifrig damit beschäftigt, die Geschichte der Menschheit total umzuschreiben, Patriarchat wie Männerbündelei als angeblich naturwidriges „Ur-Verbrechen“ hinzustellen und eine total feminisierte und exklusiv nach fraulichen und mütterlichen Werten organisierte Gesellschaft zu fordern. Dabei fällt aber auf, daß es mit den fraulich-mütterlichen Werten gar nicht weit her ist. Das „Ende des männlichen Zeitalters“, das Weißmann (nur teilweise ironisch) verkündet, besteht bei Lichte besehen vor allem darin, daß sich Frauen, mehr oder weniger gekonnt, in Praktiken üben, die bisher als „eher männlich“ galten (Polizeidienst, Militär, Naturwissenschaften), und daß sie darüber ihre Fraulichkeit, speziell ihre Mütterlichkeit, eklatant vernachlässigen. Im Grunde kommt es (hier schließt sich Weißmann Überlegungen des französischen Philosophen Jean Baudrillard an) durch die derzeitige Diskriminierung von Männerbündlichkeit und männlichen Werten nicht zu einer Feminisierung der Gesellschaft, sondern zum „Sextremismus“ (Baudrillard), unter dessen Herrschaft jede Sphäre des Lebens diffus mit Sexualität aufgeladen wird, während sich die Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen immer mehr verwischen und ein gewissermaßen „toter Eros“ entsteht, ein Eros, der sich von seinen natürlichen Funktionen völlig losgelöst hat. Die im Zeichen des Geldes und des Konsums grassierende Gleichmacherei wirkt sich auf dem Gebiet des Geschlechtlichen nicht zugunsten des einen oder des anderen Geschlechtes aus, sondern Verlierer sind à la longue beide Geschlechter. Insofern versteht Weißmann den Niedergang der Männerbünde und der bewußten Hegung männlicher Eigenheiten und Ideale als eine gesamtgesellschaftliche Tragödie. Zueinander finden kann man nur, wenn man sich seiner selbst hinreichend bewußt ist, das heißt sich in seiner Identität hinreichend übt und stärkt. Winkt von irgendwo her Rettung, Hoffnung auf Rettung? Weißmann zeigt sich skeptisch, zumindest sehr vorsichtig. Er notiert in einigen Schulen Versuche zu einer entschieden „antisexistischen“ Erziehung und ein wachsendes Aufbegehren der Lehrer dagegen, daß man im Unterricht auf Anweisung von oben ungeniert auf die Einebnung jeglicher Geschlechtsunterschiede abhebt. Er sieht (ausgerechnet!) auf der Linken, nämlich in einigen Antifa-Bewegungen, etwa den sogenannten Autonomen und Vermummten bei Demonstrationen, Ansätze zu neuer Männerbündlichkeit und empfiehlt, darüber nachzudenken. Das sind aber alles nicht einmal Tropfen auf den heißen Stein. Nicht thematisiert wird in dem Buch das Problem der Männerbünde in den großen patriarchalischen Gesellschaften jenseits des indogermanischen Völkerraums, also vor allem im Islam und in China. Sind die islamischen Derwischorden oder die chinesischen Geheimbünde Männerbünde, und wenn ja, warum haben sie offenbar nie politische Kraft gewonnen und die Gesellschaft geprägt, zumindest mitgeprägt wie bei den Indogermanen? Sind Islam und China vielleicht Erfolgsmodelle, die der letztlich tödlichen Gleichmacherei durch Geld und „Aufklärung“ schon früh zu begegnen wußten, ohne daß sie dazu dynamisch-kämpferische Männerbünde brauchten? Solche Fragen zeigen, daß natürlich noch Desiderate bleiben nach der Lektüre von Weißmanns Buch. Das Thema ist äußerst umfänglich und auch bei größter Inspiration nicht in einem naturgemäß beschränkten Format voll unterzubringen. Doch das ändert nichts daran, daß wir es hier mit einer wahrhaft erhellenden und notwendigen Neuerscheinung zu tun haben. Weißmanns Buch ist ein Türöffner, eine Eröffnungstrompete. Die frontenübergreifende Diskussion könnte beginnen. Fotos: „Carolinger“ tragen die Leiche ihres gefallenen Königs Karl XII. durch Schweden, Gemälde von Gustaf Cederström (1845-1933): Opferbereitschaft, Tapferkeit und Todesmut als Ferment des sozialen Zusammenhaltes / Autonomer Block: Ansätze zu neuer Männerbündlichkeit? Karlheinz Weißmann: Männerbund. Edition Antaios, Schnellroda 2004, 134 Seiten, broschiert, Abbildungen, 19 Euro

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