Herr Professor Mallat, international bekannt geworden sind Sie durch Ihre Anzeige gegen Ariel Scharon in Belgien. Nun bieten Sie mit der Initiative „Demokratischer Irak“, die von zahlreichen arabischen Intellektuellen unterstützt wird, und die eine Alternative zum Kriegskurs der Anglo-Amerikaner und zur Nichteinmischungspolitik der europäischen Achse Frankreich-Deutschland-Rußland darstellt, einen arabischen Lösungsvorschlag für die Krise am Golf. Mallat: Ja, allerdings wird „Demokratischer Irak“ auch von diversen Intellektuellen im Westen unterstützt. Wir wollen damit sowohl einen Krieg verhindern, als auch eine Fortsetzung der Herrschaft Saddam Husseins. Deshalb erschien es uns notwendig, mittels einer Initiative das eigentliche Problem in die internationale Diskussion einzubeziehen. Nämlich? Mallat: Einerseits ist da der Weg der USA, die allerdings ihre bewaffnete Macht – trotz aller Demokratie-Rhetorik – nicht zum Schutz der Iraker einsetzen, sondern dazu, Saddam zu besiegen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Andererseits sind da die Europäer, ihnen geht es darum, Frieden zu halten, nicht aber darum, das Land von Saddam zu befreien und ihm eine Zukunft zu geben. Und unter all diesen Interessen sehen Sie die der arabischen Welt nicht vertreten? Mallat: Nein, für uns ist das eigentliche Problem nicht die Frage von Krieg oder Frieden, sondern das Leid der Menschen durch Saddam Hussein – von ihm gehen alle weiteren Probleme aus. Wenn es nun in den nächsten Tagen zur amerikanischen „Lösung“ kommen sollte, so bleiben unsere Interessen unberücksichtigt. Im Gegensatz zu den Amerikanern wollen wir keinen Krieg, und im Gegensatz zu den Europäern wollen wir keine Fortsetzung der Herrschaft Saddam Husseins. Deshalb schlagen Sie vor, dessen Rücktritt durch den Einsatz von UN-Menschrechtsbeobachtern im Irak zu initiieren. Das klingt, mit Verlaub, etwas naiv. Mallat: Angesichts der jüngsten Entwicklung und der Erklärung Colin Powells, daß auch ein Rücktritt Saddams eine US-Invasion nicht verhindern würde, in der Tat. Saddam hat inzwischen das Land trotz Bushs Ultimatum in den Verteidigungszustand versetzen lassen, er war offenbar nie dazu bereit, zurückzutreten. Mallat: Unterschätzen Sie nicht die Wirkung, wenn tatsächlich die ganze Welt geschlossen auf einen Rücktritt Saddams gedrängt hätte. Es ist im Prinzip sogar jetzt noch möglich, einen Weg zu finden, seine Macht zurückzudrängen, wenn die USA dafür noch einen Spielraum ließen. So wäre zum Beispiel die Einrichtung von Menschenrechtszonen im Irak möglich, gleich der Kurdenschutzzone im Norden des Landes. Die Kurdenschutzzone wurde 1991 von den Alliierten innerhalb von 24 Stunden durchgesetzt! Bundeskanzler Schröder hat noch vor etwa sechs Wochen über einen Rücktritt Saddams nachgedacht. Leider ist ihm dieser Gedanke wieder abhanden gekommen, es wäre zu wünschen, daß wir mit unserer Initiative dazu beitragen, diese Überlegung wieder ins Spiel zu bringen. Dafür scheint es inzwischen zu spät zu sein, dennoch wurde Ihre Initiative in Washington durchaus gehört. So haben Sie sich etwa unlängst mit Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz zum Gespräch getroffen. Wie hat er Ihre Initiative bewertet? Mallat: Nun, wir machen uns nichts vor, auch wenn wir empfangen wurden und unsere Initiative unter den Mitgliedern des Sicherheitsrates diskutiert wird, so ist uns doch klar, daß es sich natürlich nur um einen Vorschlag handelt und nicht um einen Plan, hinter dem eine der politisch relevanten Mächte dieser Welt steht. Was werden die Folgen sein, wenn nun der Konflikt ohne Berücksichtigung der von Ihnen formulierten Interessen der arabischen Völker „gelöst“ wird? Mallat: Das wäre fatal, denn diese „Lösung“ berücksichtigt nur scheinbar den wichtigsten aller Faktoren, nämlich daß es eine tiefe Kluft zwischen Saddam Hussein und seinem Volk gibt. Dies zu mißachten, wird sich als schwerwiegender Fehler erweisen. Deutschland, so sagen Sie, wird dank seiner mißratenen Politik seinen Kredit bei den Irakern verlieren. Das erscheint besonders von Bedeutung, sollte die Bundesregierung nach dem Krieg tatsächlich deutsche Truppen zur Friedenssicherung in den Irak entsenden. Mallat: Die Politik, lediglich einen Krieg zu verhindern, hat Deutschland zwangsläufig zu einer unfreiwilligen Unterstützung des Diktators geführt. Das aber werden die Menschen im Irak nicht vergessen, wenn sie ihn erst einmal losgeworden sind. Es sind nicht nur die Menschen im Irak, die der Westen vergißt. Sie haben nun in Belgien gegen Ariel Scharon ein – derzeit allerdings ruhendes – Gerichtsverfahren erwirkt, für dessen Duldung der Massaker an Palästinensern 1982 durch die mit den Israeli verbündeten christlichen Milizen im Libanon. Mallat: Ja, denn im Nahen Osten kann es keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben. Auch Staatschefs, damals war Scharon allerdings verantwortlicher General, müssen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie wie Krimielle handeln. Ich möchte aber betonen, daß es dabei nicht um Rache geht, wir haben Scharon schlicht wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit angezeigt. Allerdings werden die Palästinenser auch in diesem Fall wohl dennoch nie ihr Recht bekommen. Mallat: Es ist im Fall des Irak-Konfliktes nicht nur Saddam Hussein, der sich bewegen muß, sondern es ist auch der Westen, der umlernen muß. Die arabische Welt kann nicht weiterhin so ungerecht behandelt werden, wie das bislang der Fall ist. Durch die Anzeige Scharons wurden seine Untaten in den westlichen Medien erneut thematisiert. Auch wenn er vielleicht nie vor Gericht stehen wird, ist damit dennoch viel erreicht. Denn die Menschen im Westen sind sich zumeist nicht im klaren darüber, wie ungerecht die arabischen Völker behandelt werden. Die Anzeige trägt dazu bei, daran etwas zu ändern. Professor Chibli Mallat bekannt geworden durch seine Bemühungen in Belgien, ein Verfahren gegen Israels Premier Ariel Scharon wegen Kriegsverbrechen bewirkt zu haben. Der 1960 in Beirut geborene Rechtsanwalt lehrte englisches und arabisches Recht an der Universität von London und Beirut. Jüngst machte er als Initiator der arabischen Friedensinitiative „Demokratischer Irak“ Schlagzeilen. weitere Interview-Partner der JF
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