Eine „Fehlwahrnehmung des eigenen Körpers“ nennt es Professor Andreas Heinz, wenn gesunde Menschen sich in ärztliche Behandlung begeben, um schöner oder jünger auszusehen. Neuerdings ist die Operation nicht mehr das einzige Mittel. „Liften? Ich doch nicht! Ich habe Neutrogena Lift“, sagt die Werbedame mit ekelhafter Selbstzufriedenheit. Immer mehr Patienten verlangen nach chemischen Mitteln gegen Haarausfall, Falten, Übergewicht oder Depressionen. Das stellten Mediziner der Hautklinik Erfurt in einer Untersuchung fest. Liegt aber der Grund wirklich in einer „körperdysmorphen Störung“ beim einzelnen Patienten? Bei Magersüchtigen, die sich mit 30 Kilogramm immer noch zu fett finden, mag das zutreffen. Sie sind sicher schwer gestört. Doch die meisten Menschen, die sich zu dick finden, sind tatsächlich zu dick. Daß Falten und graue Haare abstoßend häßlich wirken, ist keinesfalls eine „Fehlwahrnehmung“, sondern eine richtige Beobachtung. Dahinter grinst nämlich der Tod. Daß solche Beobachtungen bisher eher im Hintergrund standen und die Leute erst neuerdings stark beschäftigen, hat einen ganz unpsychologischen Grund: Die Technik ist weit genug fortgeschritten, um die Machbarkeit von Jugend und Schönheit zumindest in Aussicht zu stellen. Der gesunde Mensch ist darauf programmiert, sich über Unabänderliches nicht zu ärgern. Doch Häßlichkeit ist nicht mehr unabänderlich. Und was er ändern kann, das nimmt der Mensch in Angriff, eine durchaus gesunde Verhaltensweise. Noch bewirken die Lifestyle-Pillen allesamt nichts Durchschlagendes. Die Hautärzte erklären, daß „Faltencremes“ immer nur stundenweise den schwachen Eindruck einer Auffrischung erreichen können, weil der Alterungsprozeß in den sich ständig teilenden Zellen durch die Wirkstoffe gar nicht berührt wird. Noch ist der Glaube an diese Mittel überwiegend magisch. Doch je genauer man weiß, was im Körper passiert, desto effektiver läßt sich eingreifen. Bei den Psychopharmaka sind die Wirkungen bereits frappant. Auch hier glaubt der Psychologe, zwischen „medizinischer Indikation“ und „Lifestyle“ genau unterscheiden zu können. Doch was unter Gesundheit zu verstehen ist, kann keiner bindend erklären. Die WHO hat eine Definition vorgebracht, die sich am subjektiven Wohlbefinden ausrichtet. Die Notwendigkeit von pharmazeutischen Stimmungsaufhellern oder Fettabsaugeprozeduren zum subjektiven Wohlbefinden kann aber niemand prinzipiell bestreiten. Der Mediziner wächst mit fortschreitender technischer Entwicklung ganz von selbst in die Rolle des Manipulators hinein. Schon gibt es Praxen, an deren Tür „Anti-Aging“ steht. Altern wird zur anerkannten Krankheit. Denn Krankheit ist alles, wogegen es Mittel gibt. Darum ist das „Dorian-Gray-Syndrom“, wie der Schönheits- und Jugendwahn auch genannt wird, keine Krankheit. Keiner wird uns vorläufig davon kurieren.