Stärker als jede andere historische Disziplin hat es die Zeitgeschichte nicht allein mit Fachleuten, sondern mit Quacksalbern zu tun.“ Mit dieser provokanten Erkenntnis schildert der Leiter des Münchener Institutes für Zeitgeschichte, Horst Möller, die gegenwärtige Schwierigkeit der Diktatur- und Demokratieforschung im 20. Jahrhundert, gegenüber gesellschaftlichen Ansprüchen oder Vorurteilen ihre Autonomie zu bewahren. Genau diese „Quacksalber“ sind es nämlich, die mit ihrer moralisierenden, aller wissenschaftlichen Nüchternheit beraubten Darstellung ihres historischen Weltbildes allein durch die permanente Öffentlichkeitswirksamkeit „bedauerlicherweise auch die Fachwissenschaft nicht unbeeindruckt“ ihre Bahn ziehen läßt (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte , Heft 1/03). Ohne Beispiele zu nennen, gesteht diese Analyse Möllers eine Beherrschung des historischen Diskurses von „Fernsehprofessoren“ vom Schlage eines Guido Knopp ein, die insbesondere für die Kontinuität einer Verweigerung „der komparatistischen Interpretation der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Massenverbrechen“ stehen. Mit deren seit Jahrzehnten unverändertem Grundmuster der Belehrung, „vergleichen heiße gleichsetzen, gleichsetzen heiße relativieren, relativieren heiße entschuldigen“, werde vielen Wissenschaftlern ein „schlichtes Denkmodell“ aufoktroyiert, was diese in Sorge um ihre Reputation adaptierten. Dabei hält Möller den Vergleich für ein originäres Wesensmerkmal der Geschichtsforschung. „Schon die Verwendung von Begriffen impliziert den Vergleich.“ Dies gelte insbesondere bei den Begriffen Diktatur und Demokratie, die bekanntlich in zeitlicher wie auch nationaler Ebene unterschiedliche Deutungsmuster hervorrufen. Daher gehe gerade bei diesen Termini der Vergleich davon aus, daß die Phänomene nicht identisch seien – die Beschreibung der Ähnlichkeiten sei ebenso wesentlich wie die Analyse der Unterschiede. Die Scheu vor dem Vergleich habe in der Regel politische Gründe, die durch die „Werteskala der 1968er in Wissenschaft und öffentlicher Meinung“ vorgegeben seien. Besonders ausgeprägt sei diese Abneigung, wenn es um die Thematisierung der epochenspezifischen Bezüglichkeit der totalitären Ideologien von Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus gehe. Möller fordert, daß auch in Deutschland eine stärkere europäische Betrachtung der „Zwischenkriegszeit“ vonnöten sei, wie sie von Historikern anderer Länder seit 1945 ganz selbstverständlich angestellt werde. Diese Geschichtssschreibung schließe Nationalgeschichte nicht aus, fordere aber eine stärkere Einbettung in den europäischen Kontext. So könne die besondere Situation der Weimarer Republik nicht allein als deutsches Phänomen unter Einfluß des verlorenen Weltkrieges definiert werden, da es auch in Frankreich eine „Krise der Klassischen Moderne“ gegeben habe, von Italien, Spanien oder gar der Sowjetunion zu schweigen. Im Kontext dieser gesamteuropäischen Perspektive sei eine komparatistische Historiographie hilfreich, so wie sie in der Politikwissenschaft „in der Addition phänomenologisch deduzierter Kriterien“ bereits vorgenommen werde. In dieser Disziplin würden folgende Kriterien in einer totalitären Diktatur als Wesensmerkmale ihrer Herrschaftsstruktur angenommen: Die totale Erfassung und Gleichschaltung der Bevölkerung durch eine Partei und ihre Massenorganisationen, Nachrichtenmonopol, Einparteienstaat mit Entscheidungsmonopol, Geheimpolizei mit Einsatz terroristischer Machttechniken, einer allgemeingültigen Ideologie und oftmals einem Personenkult. Auch ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken, egal ob in bezug auf „Klasse“ oder „Rasse“ könne man in allen totalitären Systemen beobachten. Alle diese „vergleichenden“ Kriterien ließen die Inhalte offen, die widerum in den Einzelfällen, also nationalstaatlich, unterschiedlich sein könnten. Gleiche Defizite, wie in der Diktaturenforschung sieht Möller in ähnlicher Form auch in den Untersuchungen der Demokratie. Aufgrund eines Bewertungsmaßstabes heutiger Historiker, in welchem die „euro-atlantische Prägung des rechtstaatlich-demokratischen Verfassungstaates“ als Norm und Ziel zugleich gelte, verböte sich eine Demokratieforschung, die durch Vergleiche mit anderen politischen Formen Funktionsweisen und Gefährdungspotentiale untersucht. Diese Art der Auseinandersetzung sei laut Möller zwar politisch legitim, vielleicht sogar notwendig – der Wissenschaftlichkeit entspräche dieses Prinzip jedoch nicht.
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