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Immunologie: Kommt bald eine Spritze gegen Krebs?

Immunologie: Kommt bald eine Spritze gegen Krebs?

Immunologie: Kommt bald eine Spritze gegen Krebs?

Die diesjährige Medizin-Nobelpreisträgerin, Mary Brunkow und eine Brustkrebszelle im Hintergrund. (Themenbild/Collage)
Die diesjährige Medizin-Nobelpreisträgerin, Mary Brunkow und eine Brustkrebszelle im Hintergrund. (Themenbild/Collage)
Die diesjährige Medizin-Nobelpreisträgerin, Mary Brunkow und eine Brustkrebszelle im Hintergrund. Fotos: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Lindsey Wasson /// picture alliance / Zoonar | Christoph Burgstedt
Immunologie
 

Kommt bald eine Spritze gegen Krebs?

Dieses Jahr geht der Medizin-Nobelpreis an die Entdecker der „regulatorischen T-Zellen“. Hinter dem komplizierten Begriff steckt eine Hoffnung für Krebspatienten – und viele mehr.
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Paul Ehrlich, der 1908 zusammen mit dem Russen Ilja Metschnikow den Medizinnobelpreis erhielt, schlug vor mehr als einem Jahrhundert vor, gegen Krebs mit Impfen und „körpereigenen Waffen“ vorzugehen. Diese visionäre Hoffnung des 1915 verstorbenen deutschen Mediziers scheint sich nun erfüllt zu haben. Denn der diesjährige Nobelpreis für „die wichtigste Entdeckung in der Domäne der Physiologie oder Medizin“ wird am 10. Dezember in Stockholm an den Forscher Shimon Sakaguchi sowie die amerikanischen Fachkollegen Mary Brunkow und Fred Ramsdell (beide USA) für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Immuntoleranz vergeben.

Durch ihre Entdeckung sogenannter regulatorischer T-Zellen (Tregs) werden neue Wege eröffnet, Autoimmunerkrankungen, also schädliche Prozesse, die das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet, besser zu behandeln. Neben den Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose, Lupus, atopischer Dermatitis oder Typ-1-Diabetes sind darauf basierend Krebs und Abstoßungsreaktionen nach einer Organtransplantation im Fokus neuer therapeutischer Optionen.

Zytotoxische T-Zellen des körpereigenen Immunsystems suchen permanent im Organismus nach fremden Zellen oder nach durch Viren oder Krebs stark veränderten Zellen und zerstören diese. Die von Sakaguchi Mitte der 1990er Jahre entdeckten regulatorischen T-Zellen (Tregs) steuern diese Aktivität. Einige Jahre nach Sakaguchis Entdeckung beobachteten Brunkow und Ramsdell, daß eine bestimmte Gen-Mutation Mäuse anfällig für Autoimmunerkrankungen macht. Sakaguchi zeigte kurz danach, daß dieses Gen für die regulatorischen T-Zellen zuständig ist.

Krebstumorzellen könnten Tregs anlocken

Diese regulierenden Immunzellen bremsen überaktive T-Zellen, verhindern Autoimmunreaktionen und sorgen dafür, daß das Immunsystem nach einer Abwehrreaktion wieder zur Ruhe kommt. Grundsätzlich sorgt die Thymusdrüse bereits in jungen Jahren dafür, daß T-Zellen eliminiert werden, die körpereigene Strukturen erkennen (zentrale Toleranz) und angreifen. Die regulatorischen T-Zellen verhindern, daß übriggebliebene aggressive T-Zellen das eigene Gewebe angreifen.

Die Entdeckung der Tregs ist entscheidend gewesen für das Verständnis, wie Immunreaktionen fein abgestimmt und unter Kontrolle gehalten werden, um einerseits hochspezifisch und wirksam schädliche Strukturen zu eliminieren und gleichzeitig Überreaktionen zu vermeiden.

Die Erkenntnisse der drei Nobelpreisträger weisen auch den Weg zu wirksameren Krebstherapien. Zytotoxische T-Zellen (natürliche oder gentechnisch zu CAR-T-Zellen umgewandelte) greifen Krebszellen wirksam an, wenn ihre Aktivität beispielsweise durch Tregs nicht ausgebremst wird. Tumorzellen können über bestimmte Signalwege Tregs anlocken, um sich so vor zytotoxischen T-Killerzellen zu schützen. Mehrere Forschungsgruppen arbeiten deshalb an Wirkstoffen, mit denen die dämpfende Wirkung regulatorischer T-Zellen vorübergehend ausgeschaltet werden kann.

Im Bereich Autoimmunerkrankungen werden beispielsweise Patienten Tregs entnommen und im Labor so verändert, daß sie nur die fehlgeleitete Immunantwort bremsen, jedoch die restliche Aktivität intakt lassen. Anwendungsgebiete sind unter anderem Multiple Sklerose, Typ-1-Diabetes oder Morbus Crohn.

Einmal erhielt der Lobotomie-Erfinder den Nobelpreis

Nach dem Willen von Alfred Nobel sollte der Preis an diejenigen verliehen werden, die mit ihrer Entdeckung den größten Nutzen für die Menschheit erbracht hatten. Über den Nutzen einiger in Stockholm geadelter Erfindungen wird immer noch erbittert gestritten. Die Entwicklung des DDT durch den Schweizer Chemiker und Nobelpreisträger 1948 Paul Hermann Müller wird wegen der Toxizität für Mensch und Tier häufig kritisiert, und DDT ist mittlerweile verboten. Andererseits konnten durch seine Anwendung nach Schätzungen der WHO zirka 25 Millionen Menschenleben gerettet werden.

Kritischer zu sehen ist die 1949 an António Egas Moniz verliehene Auszeichnung für die Entwicklung der Lobotomie zur Behandlung von Psychosen. Eine Lobotomie ist ein neurochirurgischer Eingriff mit der Durchtrennung von Verbindungen im Frontallappen des Gehirns. Je nach Technik wurde durch die Schläfen, durch die Schädeldecke oder bei der berüchtigten „Ice-Pick“-Methode durch die Augenhöhle ein Instrument ins Gehirn geschoben, um Nervenbahnen zwischen dem Frontallappen zu zerstören. Das Verfahren führte bei vielen Patienten zu dauerhaften Persönlichkeitsveränderungen, Antriebsverlust, kognitiven Einschränkungen, epileptischen Anfällen sowie einer hohen Mortalität.

Die Lobotomien wurden häufig ohne echte Zustimmung, zwangsweise oder an besonders wehrlosen Gruppen wie Patienten in Langzeitpsychiatrien oder verarmten Personen durchgeführt. Trotz unzureichender wissenschaftlicher Evidenz und fehlenden ethischen Maßstäben wurde wegen der therapeutischen Notlage Moniz für „einen neuen Weg in der Therapie schwerer Psychosen“ und die „mutige Anwendung einer neuen neurochirurgischen Methode“ für den Nobelpreis auserkoren.

Von den diesjährigen Preisträgern Shimon Sakaguchi, Mary Brunkow und Fred Ramsdell sind solche Extravaganzen nicht bekannt und der medizinische Nutzen unumstritten. Es ist zu hoffen, daß deren Entdeckungen wichtige therapeutische Beiträge in der Onkologie und Immuntherapie liefern. Der in Preußen geborene Nobelpreisträger und Begründer der Immunologie Paul Ehrlich wäre darüber überglücklich gewesen.


Nobelpreisträger, die inzwischen „umstritten“ sind

Der am 6. November verstorbene Molekularbiologe James Watson, der zusammen mit Francis Crick und Maurice Wilkins für die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur 1962 den Medizinnobelpreis erhielt, schilderte in seinem Buch „The Double Helix“ den Wissenschaftsbetrieb als einen Mix aus Konkurrenz, abstrusen Mutmaßungen und überzogener Eitelkeit. Er sah Intelligenzunterschiede als genetisch bedingt an, hielt Frauen „von Natur aus“ für weniger gut in Mathematik und glaubte, Homosexualität sei heilbar. Wegen „biologistischem Rassismus“ mußte er 2007 als Kanzler des New Yorker Cold Spring Harbor Laboratory abtreten.

Der Erfinder der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), Kary Mullis, erschien gern in Sandalen bei Veranstaltungen, surfte, fuhr Motorrad und mißtraute grundsätzlich Autoritäten. Der Chemienobelpreisträger von 1993 nutzte LSD als Inspirationsquelle und behauptete, die Klimaforschung sei von „Wissenschaftlern und Bürokraten“ bestimmt, die von Fördergeldern abhängig seien.

Die Physiknobelpreisträger Ivar Giæver (1973) und John Clauser (2022, siehe JF-Porträt) wurden von europäischen Fachkollegen als „Klimawandelleugner“ heftig kritisiert. (js)


Aus der JF-Ausgabe 50/25.

Die diesjährige Medizin-Nobelpreisträgerin, Mary Brunkow und eine Brustkrebszelle im Hintergrund. Fotos: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Lindsey Wasson /// picture alliance / Zoonar | Christoph Burgstedt
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