ANTWERPEN. Eine belgische Richterin hat in einem Brief mit Blick auf die Organisierte Kriminalität Alarm geschlagen und gewarnt, ihr Land befinde sich auf dem Weg in Richtung eines Narco-Staates. „Trotz aller Bemühungen von Polizei und Justiz sind wir nicht mehr in der Lage, unsere Bürger und uns selbst zu schützen“, schrieb die Richterin am Montag auf einer Webseite der belgischen Justiz. Sie selbst habe wegen der Bedrohungslage von Seiten internationaler Drogenbanden vier Monate lang in einem Schutzhaus gelebt, heißt es.
In Belgien hätten „umfassende Mafiastrukturen“ Fuß gefaßt, die inzwischen Polizei und Justiz offen herausforderten. „Ein Narco-Staat ist gekennzeichnet durch eine illegale Wirtschaft, Korruption und Gewalt, heißt es in dem Brandbrief – gefolgt von Beispielen aus Antwerpen: „Die Sky-Untersuchung hat eine Parallelwirtschaft in unserem Hafen aufgedeckt, eine Milliardenwirtschaft, die außerhalb der offiziellen Kanäle operiert.“ Mit Schwarzgeld erworbener Wohnraum treibe inzwischen sogar die Immobilienpreise in die Höhe.
Korruption sei allgegenwärtig und bei den Summen, mit denen die Organisierte Kriminalität arbeite, kaum zu verhindern. Hafenarbeiter bekämen „für das Umstellen eines Containers, eine Arbeit von zehn Minuten“ etwa 100.000 Euro. Für eine mitgeschmuggelte Sporttasche 50.000 Euro.
Korruption erreicht den Staat
Die Kriminellen schreckten dabei auch nicht vor schwerer Gewalt zurück. „Von Mord, Folter und Entführungen bis hin zu Drohungen und Anschlägen.“. Einmal sei dabei ein elfjähriges Kind getötet worden. „Ein Anschlag auf ein Wohnhaus mit einer Bombe oder Kriegswaffen, ein Homejacking oder eine Entführung lassen sich ganz einfach online bestellen. Dazu muß man nicht einmal ins Darkweb gehen, ein Snapchat-Account reicht aus. Außerdem ist es nicht einmal teuer, oft reichen schon ein paar hundert Euro“, schreibt die Richterin.
Die Korruption habe inzwischen nicht nur einfache Hafenarbeiter, sondern auch hohe Beamte im Griff. „Die Ermittlungen, die ich in den letzten Jahren geleitet habe – und ich bin nur einer von 17 Untersuchungsrichtern in Antwerpen –, führten zur Verhaftung von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen im Hafen, Mitarbeitern des Zolls, Polizeibeamten, Beamten an den Schaltern verschiedener Städte und Gemeinden und leider auch von Mitarbeitern der Justiz innerhalb des Gefängnisses und sogar hier in diesem Gebäude.“
Inzwischen sei die gesamte belgische Demokratie durch die geschwächte und unterlaufene Justiz, gefährdet. Es werde bereits jetzt, immer schwieriger Richter zu finden, die harte Urteile gegen die Banden sprechen – aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage.
Verbrechen aus den Gefängnissen heraus geplant
Zudem beklagt die Richterin die weitverbreitete, illegale Nutzung von Mobiltelefonen in Gefängnissen. „Nahezu alle Häftlinge scheinen sie nutzen zu können, und in fast allen beschlagnahmten und ausgelesenen Geräten stoßen wir auf neue oder fortgesetzte Straftaten. Wir können keine Drohungen neutralisieren, wir können keine Anschläge verhindern, unsere Ermittlungen werden untergraben, weil Kopien unserer Akten bis nach Dubai und in die Türkei verschickt werden.“ Der großangelegte Import von Kokain werde in weiten Teilen aus dem Gefängnis heraus organisiert. Die Justiz sei nicht mehr in der Lage, die Bürger und sich selbst zu schützen.
Von der Politik forderte die Verfasserin des Schreibens neue Gesetze, die es Polizei und Justiz ermöglichen, anonym zu arbeiten, feste Ansprechpartner für bedrohte Beamte, eine Lebensversicherung für alle Beamten, die mit den Banden zu tun haben, sowie „die konsequente Bekämpfung der Kommunikation aus Gefängnissen heraus, ein lückenloses System zur Signalblockierung in allen Justizvollzugsanstalten“. (st)






