Chris Miller ist Professor für Internationale Geschichte an der Tufts University in Massachusetts und hat eine spannende, gut recherchierte, anschauliche, ausgewogene und auch für den technischen Laien verständliche, gut übersetzte Geschichte der weltweiten Entwicklung der Mikro- und Speicherchips und der sie umgebenden Technologien geschrieben, die für die heute Elektronik-, Automobil-, Haushaltsgeräte- und Rüstungsindustrie unentbehrlich sind.
Es begann in den 1960er Jahren, als Tüftler, die die führenden technischen Universitäten Kaliforniens absolviert hatten, versuchten, die störanfälligen Vakuumröhren durch immer stärker miniaturisierte integrierte Schaltkreise auf Silizium als Transistoren zu ersetzen. Der Bedarf entstand nicht nur durch die zivile Nachfrage nach Taschenrechnern und Computern, sondern damals in hohem Maß durch das Pentagon, das im Rüstungswettlauf mit den quantitativ überlegenen Sowjets auf der Suche nach präziseren Waffen und Munition war, die nicht länger wie im Vietnamkrieg verschwendet werden sollten, wo fast alle Bomben und Raketen ihre präzisen Ziele wie Brücken, Geschütze oder Panzer verfehlten.
So sollten bei einem nuklearen Erstschlag alle sowjetischen und später russischen Raketensilos plus die sowjetische Führung ausgeschaltet und ihre atombewaffneten U-Boote mit einem Sensorennetz aufgespürt und versenkt werden. Diese Rüstungsaufträge lieferten wie jene der Nasa die nötige Anschubfinanzierung in Milliardenhöhe für die ersten Chip-Pioniere und ihre teuren und energieintensiven Fertigungsstätten für Massenproduktionen, wie zum Beispiel Texas Instruments und Fairchild.
Ein Kind des Kalten Krieges
Die Sowjets versuchten, mit den USA gleichzuziehen und gründeten nahe Moskau eine Halbleiterstadt namens Selenograd, wo sie mit Hilfe des Direktorats T des KGB (dem mit sehr mäßigem Erfolg auch ein gewisser Putin aus Dresden zuarbeitete), gestohlener westlicher Technologie und über Scheinfirmen in Österreich und der Schweiz bezogener Ausrüstungen ebenfalls eine Chipindustrie aufziehen wollten. Als Rüstungsbetrieb organisiert, würgten Geheimhaltungsbestimmungen und bürokratische Hierarchien jede Kreativität der wenigen qualifizierten Ingenieure ab.
Dazu fehlte in der Produktion die nötige Disziplin für fehlerfreie Erzeugnisse. Auch spätere Versuche der DDR Führung – Honeckers „größter Megachip der Welt“, der sich als Flop erwies, ist in bleibender Erinnerung –, Mitte der achtziger Jahre die Halbleiterindustrie für Speicherchips wiederzubeleben, scheiterte an den zu geringen Kapazitäten und zu hohen Produktionskosten. Immerhin bleibt Carl Zeiss Jena als Weltmarktführer für Linsen und Spiegel für die Fotolithographie-Anlagen zur Übertragung von Transistorschablonen.
Asiens Halbleiter-Boom
Japan war in den 1970er und 1980er Jahren der erste ernsthafte Konkurrent für die US Chipindustrie. Mit Konzernen wie Sony, Sharp, Toshiba, NEC und Fujitsu beherrschte es die Unterhaltungselektronik und konnte dank staatlicher Subventionen, billigem Kapital und einem abgeschotteten Markt die US-Amerikaner mit besseren Qualitäten und niedrigeren Preisen im Jahr 1986 auf den Weltmärkten überholen. Aus Angst vor einem Abstieg wie dem der Autoindustrie in Detroit bildeten die USKonzerne ein Konsortium namens Sematech, das in Washington erfolgreich für Importbeschränkungen für japanische Chips und eine Yen-Aufwertung lobbyierte und schließlich US-Produktionen und Technologien nach Südkorea, Taiwan, Hongkong, Malaysia und Singapur verlagerte, um mit noch niedrigeren Produktionskosten dem japanischen Konkurrenten (und langfristig auch sich selbst) den Garaus zu machen.
Nach dem japanischen Crash von 1990 waren die dortigen Boom- und Innovationszeiten endgültig vorbei. Die Industrie fusionierte ihre Speicherchip-Produktion in ein Konsortium namens Elpida, das 2013 von Micron aufgekauft wurde. Diese Firma verschlief den PC-Boom und seinen nachhaltigen Bedarf an Speicherchips und Mikroprozessoren, und bleibt eigentlich nur noch bei Lithographiegeräten führend.
In Taiwan etablierte sich TSMC als mittlerweile weltweit führender Auftragshersteller von Chips mit Hilfe von Staatshilfen und mit Lizenzen von Philips, das aus dem Chipgeschäft ausstieg. Da es im Gegensatz zu den koreanischen Samsung und SK Hynix keine Endgeräte wie Smartphones oder Unterhaltungselektronik herstellt, ist es für seine Kunden niemals ein Wettwerber, der das gewonnene Knowhow gegen sie verwenden könnte.
China auf Augenhöhe mit den USA
China hatte schon 1987 seine damals sehr rückständige Elektronikindustrie als nationale Priorität definiert, die jedoch bald wieder in der kommunistischen Bürokratie versank. Immerhin entstanden SMIC als Kopie des taiwanischen TSMC in der Elektronikmontage in Shanghai und Shenzhen und Huawei als vormaliger Hersteller von Mobilfunkmasten. Entgegen dem westlichen Glauben, China würde durch internationalen Handel und Wohlstand zu einem fairen Partner im Welthandelssystem bekehrt, der die USA ihre Lizenzen und High-Tech-Ausrüstungen verkaufen und ihre Industriespionage übersehen ließ, verkündete Xi Jinping 2014 die Priorisierung der Informationstechnologien als Voraussetzung für seine Weltmachtsambitionen.
„Made in China 2025“ sollte sein Reich autark machen. So verbot er Facebook und Google und ersetzte sie durch Baidu und Tencent. Apple und Microsoft wurden zur Zusammenarbeit mit den chinesischen Zensurbehörden gezwungen. Firmen wie IBM wurden genötigt, ihre ohnehin nur noch zweitklassige Technologie in ein Gemeinschaftsunternehmen einzubringen, falls es noch Zugang zum chinesischen Markt haben wollte.
Amerikaner in der Bredouille
US-Unternehmen, die quartalsmäßig Gewinne ausweisen müssen, sind so auf ihrem wichtigsten Exportmarkt leicht erpreßbar, vor allem dann, wenn ihre Marktanteile gerade schwinden und sie Technologien und Werke in China im Notverkauf abstoßen müssen. Wer sich über Patentklau beschwert, dem blockiert die chinesische „Justiz“ sofort den Marktzugang. Umgekehrt stehen in China auf politisches Geheiß Milliardenbeträge von Staatsbanken, staatlich kontrollierten Fonds wie der Tsinghua Unigroup und von Staatsbetrieben wie China Tobacco unbeschränkt ohne Rücksicht auf Verluste zur Verfügung.
Dafür mischen sich Apparatschiks der Ministerien, Provizialverwaltungen und selbst städtischer Behörden mit militärischen Methoden in alle Unternehmensentscheidungen sachfremd ein, mit dem Ergebnis, daß jede Provinz ihre unterdimensionierte Chipfabrik hat, die ineffizient wie zu Maos Zeiten über das ganze Land verstreut sind und China nirgendwo eine wettbewerbsfähige Technologieführerschaft besitzt. Der Staatsfonds Tsinghua Unigroup kaufte mit öffentlichen und privaten Milliardengeldern wahllos Chipunternehmen aller Art im In- und Ausland auf. Synergieeffekte jener Geldvernichtung blieben freilich unsichtbar.
Ins Visier der Trump-Präsidentschaft gerieten freilich nur drei Unternehmen: der Netzwerkausrüster Huawei, der dem chinesischen Militär entsprungen ist und mittlerweile auch Smartphones und ihre Chips, Glasfaserkabel und Cloud Computing betreibt, sodann die staatliche ZTE und die sehr dubiose Jinhua, denen neben offenkundigen Geheimdienstkontakten auch Lieferungen an Nordkorea und den Iran vorgeworfen werden. Durch das US-amerikanische Exportembargo wurden jene drei Firmen, die wie die gesamte chinesische Elektronikindustrie von der Software über die Werkzeugmaschinen bis zu den Graphikprozessoren von US-Lieferungen und Patenten abhängig bleiben und bei denen ohne geschultes Personal auch keine Industriespionage hilft, schwer geschädigt.
Chip-Macht Taiwan als entscheidender Faktor
Jedoch bleiben andere chinesische Unternehmen wie Tencent, Alibaba und SMIC weiter unbehelligt. Deshalb erfolge auch von chinesischer Seite keine Eskalation. Der angekündigte Chip-Krieg blieb deshalb aus. Nicht zuletzt, weil die USA mit ihrem Technologienetzwerk und ihrer Kontrolle der weltweiten technologischen Lieferketten noch absolut überlegen sind. Nur sehr langsam wird China laut Miller durch immer mehr Verlagerungen ausländischer Fertigungen ins eigene Land die Hebel in die Hand bekommen, um vermehrt Technologietransfers durchzusetzen. Schließlich sind ihr staatliche Ziele und ihre Unterstützung wichtiger als Börsengänge und Gewinne.
Das Risiko einer militärischen Aggression gegen Taiwan, die zunächst einmal mit einer See- und Luftblockade, gefolgt vom elektronischen Krieg gegen den Inselstaat beginnen würde, könnte die Weltwirtschaft, einschließlich der chinesischen, angesichts der Weltführerschaft Taiwans in der Chipherstellung schwer und nachhaltig schädigen und sollte deshalb unwahrscheinlich sein. Doch folgt keiner der aktuellen Kriege, von der Ukraine über Armenien bis Israel irgendeiner nachvollziehbaren ökonomischen Logik. Nur noch unberechenbarer sind Erdbeben, die sowohl Taiwan wie das Silicon-Valley jederzeit massiv bedrohen könnten.
Europa spielt in jenem Spiel jedoch nur eine Randrolle. Irgendwann in den 1980er und 1990er Jahren hatte man in den Vorstandsetagen von Siemens, Philips und andernorts geglaubt, Chips seien ein industrieller Grundstoff wie Rohöl, Stahl und Erdgas, den man jederzeit irgendwo weltweit billig einkaufen könne. Jetzt versucht die Europäische Kommission mit einem pathetischen „Europäischen Chip-Gesetz“ das sowjetische Selenograd wieder zu erwecken, und die Berliner Ampel verschenkt jeweils Fünf-Milliarden-Subventionen an Infineon, TSMC und Intel in Magdeburg und Dresden, so als sei man die Tsinghua Unigroup, unabhängig vom teuren Flatterstrom, der für die Chipherstellung ohnehin tödlich ist. So sei dies profunde und aufklärerische Werk auch allen Entscheidungsträgern in Brüssel und Berlin dringend empfohlen.