Tina Turner singt, bellt, tanzt, stampft das Lebensgefühl der 60er und 70er Jahre. Sie lebt es. Kraftvoll. Sie nimmt nicht hin, sie revoltiert. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch in ihrem eigenen Leben.
Ihre Karriere beginnt vor 60 Jahren – mit klasse Beinen, die auf dem Boden in High Heels enden und kurz unter sehr knappen Rocksäumen verschwinden. 1973: „Nutbush City Limits“. Ihr wohl bekanntestes Lied schreibt sie selbst. Da steht sie schon seit weit über einem Jahrzehnt auf der Bühne. Ein Text über ihre Heimatstadt in Tennessee. Das Aufbegehren, die Kritik an der Tristesse, an den Beschränkungen dieser Gesellschaft in den Südstaaten der USA. Doch dieses Lied, dieser Text, diese Musik – sie überwinden die Grenzen – weltweit. Der Vietnamkrieg wird in rund zwei Jahren enden. Doch wer soll das zu dem Zeitpunkt ahnen?
Tina Turner bringt Verweigerung an den bestehenden Verhältnissen mit einem unglaublich erotischen Expressionismus auf die Bühne. Ike Turner, ihr Ehemann ist der, so gibt er sich, geniale Musiker, Macher, Stratege. Ein Mann, der so gut scheint, daß er seiner Frau den Vortritt, die Front, die Show überlassen kann. Alles Fake. Ein potemkinsches Dorf – das einzige, das sich Tina Turner für einige Jahre aufbaut. Denn hinter ihrem ganzen Make-up, den wilden Haaren, der rauen Stimme, da tanzt ein geschundener Mensch.
Besser als die Beatles
Tina Turners Ehe ist ein Martyrium. 1976, mit 37 Jahren, flieht sie vor ihrem gewalttätigen Mann. In dem Film „Tina“ wird dies in einer dramatischen Szene dargestellt. Blutverschmiert und mit geschwollenem Gesicht nach einem „ehelichen Streit“ rennt sie fast blind über eine Straße. Weg von ihrem Mann und wieder gehetzt von den sie erkennenden Fans. Die Szene in dem rettenden Hotel, vor dem Concierge, der ihr Obdach bietet, ist erschütternd.
Vermutlich hat sich diese Flucht so dargestellt. Real ist der folgende Scheidungskrieg. Tina Turner verzichtet am Ende auf viele finanzielle Ansprüche. Die Sängerin tritt in den 70ern mit Cher in deren TV-Show auf. Und ob die Beatles so gut singen konnten, wie in einem 1975er-Medley von Turner, Cher und Kate Smith, ist im Grunde nicht fraglich – sie konnten es nicht.
„Ich bin endlich angekommen“
Auch Cher hat in dieser Zeit ihren Mann verlassen. Auch sie wird – im Gegensatz zu ihm – ihre Karriere wieder aufbauen können. 1984, acht Jahre später, mit 45 Jahren, erlebt Tina Turner mit ihrem Album „Private Dancer“ den Beginn ihrer Solo-Weltkarriere. Da ist sie schon vierfache Mutter. Sie füllt Stadien. Mick Jagger, für die Rolling Stones waren Tina Turner und ihr Mann 1966 noch die Vorgruppe, oder David Bowie, treten mit ihr auf. Sie stiehlt ihnen die Show.
„Ich bin endlich angekommen“, sagte Tina Turner in einem Interview mit der Schweizer Zeitung Blick, nach ihrer Einbürgerung 2013. Die sei aufregend gewesen, sprach sie damals lächelnd und sehr zurückhaltend, fast scheu, ins Mikrofon. Sie sei aufgeregt gewesen, mußte ja Deutsch lernen und sie hätte vor dem Beamten erklärt: „Ich heiße Anna Mae Bullock, aber mein richtiger Name ist Tina Turner.“ Am 24. Mai ist die große Sängerin gestorben.