Sensation, Erdbeben, Triumph: Der Erfolg von Marine Le Pen und ihrer Partei bei den französischen Parlamentswahlen kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Er wirbelt das politische System Frankreichs endgültig durcheinander. Macron dürfte nun Probleme bekommen, weiter wie ein Sonnenkönig im Land durchzuregieren.
Le Pens Erfolg ist auch deswegen so bemerkenswert, weil das französische Mehrheitswahlrecht es der Partei jahrzehntelang unmöglich machte mit einer nennenswerten Zahl von Abgeordneten in Parlament vertreten zu sein. Sitze konnten sonst nur im EU-Parlament gewonnen werden. Nun ist der Rassemblement National drittstärkste Kraft im Parlament, gewann im ganzen Land Mandate. Zehnmal stärker ist die Partei jetzt in der Nationalversammlung.
Sie erntet die Früchte ihrer Parteireform
Schon der zweimalige Einzug in die Stichwahlen gegen den soeben düpierten Emmanuel Macron war weit mehr als ein Achtungserfolg. Es zeigt, daß es Le Pen gelang, immer größere Teile der Bevölkerung anzusprechen. Sie hat politisch keine laute Minderheit bedient, sondern die schweigende Mehrheit.
Die Parteichefin erntet die Früchte ihrer gegen Widerstände durchgeführten Parteireform. Sie verpaßte der Partei einen neuen Namen, ein neues Image und gewann, ohne ihre Kernziele aufzugeben, mit charmanten Auftritten die Herzen immer neuer Wählerschichten. Statt Miesepeter-Ghetto-Partei mit Geschichtsballast formte sie eine junge ansprechende Partei, der die Wähler offenbar zutrauen, Probleme nicht nur anzusprechen, sondern sie auch zu lösen.
Le Pens Weg ist noch nicht am Ende
Und nun? Macron wird sich von dieser Niederlage politisch nicht mehr erholen. Bei den nächsten Wahlen wird er nicht mehr antreten. Mit ihm dürfte dann auch seine Partei „En Marche!“ von der Bildfläche verschwinden. Eine Rückkehr der schrumpfenden Konservativen oder der praktisch untergegangenen Sozialdemokraten scheint ausgeschlossen. Ist es wirklich ausgeschlossen, daß Le Pen sich dann gegen den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon durchsetzt?
Ihr vor Jahrzehnten angetretener steiniger Weg in Richtung Élysée-Palast ist noch nicht zu Ende. Im Gegenteil, mit diesem Erfolg ist sie einen Riesenschritt vorangekommen. In der Politik braucht es manchmal einen langen Atem.