Zigtausende Bürger gehen inzwischen gegen die Corona-Politik auf die Straße. 14.000 bis 16.000 Demonstranten waren es vergangenen Samstag allein in Hamburg – die Angaben zu den Teilnehmerzahlen schwanken –, kleinere Protestmärsche gibt es in fast allen Städten und Gemeinden und ohnehin in allen Bundesländern. In den Medien werden sie häufig als „rechte Krawallmacher“ oder „Corona-Leugner“ abqualifiziert. Mittlerweile wächst aber die Einsicht, daß es so einfach nicht ist. Scharfmacher und Provokateure gibt es auf vielen Demos, das kann man als Veranstalter kaum verhindern. Aber die Masse der Menschen, die dort friedlich protestieren, sind ganz normale Bürger. Und sie haben Argumente, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann.
Daß die Politik versagt hat, ist jedenfalls kaum noch zu leugnen. Denn Covid-19 war nicht die erste Virusepidemie und wird auch nicht die letzte sein. Schon Anfang 2013 lag dem Bundestag eine umfangreiche Risikoanalyse dazu vor (BT-Drucksache 17/12051), die man aber weitgehend ignorierte. Dort wurde die aktuelle Pandemie in beängstigend detaillierter und realistischer Weise vorhergesagt, ebenso übrigens auch die Gefahr einer großen Hochwasserkatastrophe in den Mittelgebirgen als zweites Katastrophenszenario. Ernstgenommen hat das aber offenbar niemand, geschweige denn entsprechende Vorkehrungen getroffen.
So gibt es heute nicht etwa mehr, sondern weniger Intensivkapazitäten als zu Beginn der Krise. Anfang August waren es noch knapp 40.000 „betreibbare Intensivbetten“ gewesen, einschließlich einer Notfallreserve von rund 12.000 Betten. Heute sind es nur noch gut 30.000 Betten, davon rund 6.000 reguläre Intensivbetten weniger als vor anderthalb Jahren. Nur deshalb ist die Auslastungsquote von 49 Prozent auf 62 Prozent gestiegen. Absolut liegen heute sogar weniger Patienten auf Intensiv als damals, bei einem Anteil der Covid-19-Fälle von 17 Prozent.
Auf Personalmangel verwiesen
Als Erklärung für den Kapazitätsabbau wird auf Personalmangel verwiesen, vielerorts müssen Leiharbeitskräfte in den Kliniken beschäftigt werden. Aber auch dieses Problem ist weder neu noch unlösbar. Wenn eine Arbeit so gefährlich oder anstrengend ist, daß man nicht genügend Leute dafür findet, muß man sie eben besser bezahlen. Auch auf Intensivstationen gibt es zudem viele Tätigkeiten, die keine langjährige Spezialausbildung erfordern, von der Tablettengabe bis hin zum Bettenmachen.
Man könnte also das eigentliche Intensivpflegepersonal entlasten, indem man ihnen entsprechende Hilfskräfte zur Seite stellt. Letztlich ist dies nur eine Frage der Flexibilität und des Geldes, aber daran sollte es nun wahrlich nicht mangeln. Die wirtschaftlichen, gesundheitlichen und gesellschaftspolitischen Kollateralschäden der Repressalien, welche mit einer drohenden Überlastung der Intensivstationen begründet werden, sind unendlich viel höher.
Zumal viele der Maßnahmen, wie sie auch jetzt wieder beim jüngsten Bund-Länder-Gipfel beschlossen wurden, nicht wirklich zielführend und in sich widersprüchlich sind. So dürfen Ungeimpfte nicht mehr in Gaststätten einkehren, sehr wohl aber noch dort arbeiten. Wer geboostert ist, darf sofort am nächsten Tag überall wieder hinein, obwohl der Infektionsschutz noch gar nicht sofort wirkt. Und in Bussen, U-Bahnen und privat sitzen wir dann sowieso wieder alle auf engstem Raum zusammen, ohne daß dies auch nur annähernd kontrolliert werden könnte.
Impfkontrolle vertreibt Leute
Auch die Impfkontrolle in jedem Einzelhandelsgeschäft vertreibt in erster Linie die Kunden, nicht aber das Virus. Da kauft man lieber gleich im Internet ein, statt an jeder Ladentüre Ausweis und Gesundheitsstatus nachweisen zu müssen. Die frühere Regelung, einfach nur die Kundenzahl zu gleicher Zeit zu beschränken, war wesentlich einfacher und kaum weniger effektiv.
Vieles von dem, was Bund und Länder jetzt beschlossen haben, sieht daher nach hilflosem Aktionismus aus. Dazu gehört auch die Forderung nach einer generellen Impfplicht. Denn diese kann nur vom Bundestag beschlossen werden, und auch der Bundesrat müßte erst noch zustimmen. Bis zur Umsetzung vergeht dann weitere Zeit, zumal ein Viertel der Bevölkerung überhaupt noch nicht gegen Covid-19 geimpft ist und viele das auch gar nicht wollen.
Geboostert sind erst 41 Prozent der Bevölkerung, und im Frühjahr wird vermutlich schon die nächste Auffrischungsimpfung gegen die Omikron-Variante fällig sein. Wie soll das alles logistisch und gegen den Widerstand großer Teile der Bevölkerung bewältigt werden? Und bringt es überhaupt etwas, oder ist das ständige Impfen mit immer kürzerer Schutzwirkung vielleicht sogar der falsche Weg?
Virus auf dem Rückzug
In Südafrika ist jedenfalls das Virus trotz einer Impfquote von nur 25 Prozent bereits wieder auf dem Rückzug. Grund ist die schon weitgehende Durchseuchung der Bevölkerung mit anschließender Immunität. Unter Virologen ist zudem weitgehend unbestritten, daß die natürliche Immunität nach einer Infektion besser und länger schützt als jede Impfung. Das ist zwar ein riskanter Weg, aber zumindest für junge und gesunde Menschen keine von vornherein unvernünftige Erwägung.
Denn nur fünf Prozent der bisherigen Covid-19-Todesfälle betrafen die Altersgruppe unter 60, nicht einmal 0,5 Prozent waren unter 40 Jahre alt, und die unter 20jährigen waren mit einem Anteil von 0,05 Prozent so gut wie überhaupt nicht betroffen. Für sie ist Immunitätserwerb durch Infektion daher eine nachvollziehbare Überlegung, zumal ja auch die Corona-Impfung keineswegs sicher vor Infektion und möglicherweise gar schwerem Verlauf bis hin zum Tode schützt. Nur für vulnerable Gruppen ist sie eindeutig der bessere Weg.
Es kommt hinzu, daß Omikron mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin kaum aufzuhalten, dabei aber weniger gefährlich ist als die bisherigen Virus-varianten. Darauf deutet auch die trotz steigender Inzidenz kaum höhere Hospitalisierungsrate hin. Die Zahl der intensivmedizinisch betreuten Covid-Patienten ging zuletzt sogar zurück. Zwar können auch niedrige Hospitalisierungsquoten bei hoher Infektionsrate die Kliniken überfordern, aber das wäre dann ein Problem zu knapper Kapazitäten im Gesundheitswesen.
Ähnlich wie im Straßennetz dürfen diese eben in einem so reichen Land wie unserem nicht nur auf den Normalbetrieb zugeschnitten, sondern müßten auch außergewöhnlichen Belastungen gewachsen sein. Hätte die Politik rechtzeitig gehandelt, so könnte sie jetzt die Impfentscheidung und auch vieles andere der individuellen Risikoabwägung überlassen, statt immer mehr elementare Grundrechte einzuschränken.
JF 3/22