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Zum Tod von Klaus Wagenbach: Von der Anarchie zum Hedonismus

Zum Tod von Klaus Wagenbach: Von der Anarchie zum Hedonismus

Zum Tod von Klaus Wagenbach: Von der Anarchie zum Hedonismus

Klaus Wagenbach
Klaus Wagenbach
Klaus Wagenbach 1930 – 2021 Foto: picture alliance / Eventpress | Eventpress Rekdal
Zum Tod von Klaus Wagenbach
 

Von der Anarchie zum Hedonismus

Daß die „Tagesschau“ zu seinem Tod eine Nachricht bringt und das bürgerliche Feuilleton ihm Kränze windet, hätte Klaus Wagenbach früher als spießig empfunden. Doch wie bei vielen einstigen Revoluzzern, die den Weg ins Etablishment gefunden haben, waren bei Wagenbach am Ende allenfalls noch der Wein und die Strümpfe rot.
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Daß die „Tagesschau“ zu seinem Tod eine Nachricht bringt, ihm die Kulturstaatsministerin einen ehrenden Nachruf widmet und das bürgerliche Feuilleton Kränze windet, hätte Klaus Wagenbach früher nicht gewollt. Zu spießig, zu etabliert. Aber später, als sein Verlag den fünfzigsten Geburtstag feiern konnte und der alte Hauptfeind – die „Springer-Presse“ – höflich um Audienz ersuchte, als er längst das Verdienstkreuz und das Große Verdienstkreuz sein Eigen nannte und (Hemd mit Oxfordstreifen und Chinos, das Büro samt kornblumenblau bezogenem Ohrensessel und gerahmter Graphik an der Wand) milder geworden war, hätte es ihm gefallen.

Klaus Wagenbach ist am 20. Dezember im Alter von 91 Jahren verstorben. Er war ein Veteran der Bonner Republik, aber mehr noch der linken Kulturrevolution. Daß das heute praktisch vergessen ist, hat nicht nur mit zeitlichem Abstand zu tun, sondern auch mit Machtverhältnissen und einer historischen Entwicklung, zu deren Profiteuren Wagenbach gehörte. Das war in seinen Anfängen kaum absehbar.

Am 11. Juli 1930 geboren und in der NS-Zeit aufgewachsen, aber nach dem Pimpfendienst davongekommen, studierte Wagenbach in den Nachkriegsjahren, promovierte (über Kafka – sein lebenslanges Thema), trat als Lektor bei S. Fischer ein und wurde nach der Übernahme durch den Holtzbrinck-Konzern entlassen. 1964 gründete er seinen eigenen Verlag.

Fehlende Massenbasis

Das war riskant, aber nicht tollkühn. Denn Wagenbach hatte längst Kontakte zum etablierten Kulturbetrieb, soweit die „Gruppe 47“ und mithin die „Heimatlose Linke“, den Ton angab. Der fehlte die Massenbasis, aber sie hatte intellektuelle Potenz und irrlichterte weltanschaulich zwischen Ost und West: Marx ja, aber nicht wie die Betonköpfe der illegalen KPD, Sozialismus vielleicht, aber nicht so wie in der DDR, Demokratie gewiß, aber nicht so wie in der „BRD“, Amerikanisierung auf jeden Fall, aber nicht nur Jeans und Coke und Rock ’n’ Roll, sondern auch alles, was die Vietnam- und die Bürgerrechtsbewegung und die „New Left“ als Anstoß lieferten.

Wagenbach war eher „Siebenundsechziger“ als „Achtundsechziger“, vielleicht sogar schon „Sechsundsechziger“. Denn er hat an der berühmten Eier-Attacke auf das Westberliner Amerikahaus am 5. Februar 1966 teilgenommen. Den Ausschlag gab aber die Demonstration gegen den Schah am 2. Juni 1967, bei der Benno Ohnesorg von einem Polizisten (und Stasi-Mann) erschossen wurde.

Das war der eigentliche Auslöser der „Studentenbewegung“. Zu der gehörte Wagenbach schon auf Grund seines Alters und Berufsstandes nicht, aber er bewegte sich in ihrem Milieu  – Kommune 1, Club Voltaire, SDS, der Kreis um die Zeitschrift Konkret und die Anhängerschaft Rudi Dutschkes – wie der Fisch im Wasser.

Wille zur Revolution

Wenn Wagenbach gefragt wurde, was ihn zu seiner politischen Parteinahme bewogen habe, fiel die Antwort untheoretisch aus. In erster Linie habe er eine „Stinkwut“ auf ein „entsetzliches Land“ – gemeint war die Bundesrepublik – gehabt: 80 Prozent Nazis, Staats- und Unternehmerterror, außerehelicher Sex nur auf dem Autorücksitz, Kondome nur in der Apotheke. Trotzdem: Es ging ihm nicht nur um den antiautoritären Gestus.

Wagenbach war Ende der 1960er Jahre durchaus entschlossen, ernst zu machen mit der Revolution, von der plötzlich alle redeten. Er wandelte sein Unternehmen in das Kollektiveigentum der Belegschaft um, half Leuten im „Untergrund“, die den „bewaffneten Kampf“ aufnehmen wollten, hatte – folgt man der Darstellung Bettina Röhls – Anteil an der Vorbereitung der Befreiung Andreas Baaders aus der Haft und wollte der gesuchten Ulrike Meinhof zur Flucht verhelfen.

Bezeichnend auch, daß Wagenbach nach dem Selbstmord von Baader, Meinhof und Ensslin eine Trauerrede hielt, und eine weitere bei der Beerdigung ihres italienischen Gesinnungsfreunds Giangiacomo Feltrinelli, Millionär und Terrorist, der sich bei der Vorbereitung eines Anschlags aus Versehen selbst in die Luft gesprengt hatte.

Der böse Staat

All das zeigt, wie viel Glauben man der von Wagenbach in Umlauf gesetzten Legende schenken darf, er sei als kritischer Kopf einem repressiven Polizeistaat ausgeliefert gewesen, der grundlos seine Büros durchsuchte und ihn mit Prozeßkosten in den Ruin zu treiben suchte (was sein Anwalt Otto Schily verhinderte). Zumal der „wilde Verlag“ auch in seinem Programm keinen Hehl aus dem politischen Hauptziel machte: dem gewaltsamen Umsturz der bestehenden Ordnung.

Ausgabe des Roten Kalenders 1972 Foto: Weißmann

Für das, was man in diesen Kreisen höhnisch die „FDGO“ nannte, hatte man bestenfalls Verachtung übrig, die Sympathie galt Che und dem Vietcong und dem Massenmörder Mao. Wagenbach druckte als „Rotbuch 29“ den Text „Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa“, auf daß diese „[w]ichtige Einschätzung der Genossen von der RAF“ schon Heranwachsenden zur Kenntnis gebracht werde, und propagierte im „Roten Kalender für Lehrlinge und Schüler“ nicht nur „überlegten Drogengebrauch“ und „lustvollen“ Geschlechtsverkehr, sondern auch Klassenkampf und Unterstützung der Initiative „Freiheit für alle Gefangenen“, die sich aus der Sympathisantenszene der Baader-Meinhof-Bande rekrutierte.

Das alles gehört zum Verleger Wagenbach wie die Bücher von Biermann und Grass und die eine oder andere literarische Entdeckung, die handwerklich schön gemachten Quarthefte oder die mehr als zweihundert Titel zur Kultur und Geschichte Italiens. Was in der Kampfzeit erschien, ist nicht zu trennen vom Schöngeistigen der späten Jahre. Mit beidem hatte er Anteil an der „Umgründung“ (Manfred Görtemaker) der Republik.

Toskana statt Terror

Frühe Titel des Wagenbach-Verlags Foto: Weißmann

Die kam zwar nicht, wie Wagenbach anfangs hoffte, nach Barrikaden und Guerilla. Aber die stille Revolution der 1970er Jahre zeitigte unerwarteten Erfolg. Wagenbach verkörperte den auch habituell: weg von schmuddeliger Anarchie und schweifenden Haschrebellen und Liebäugeln mit dem Terror, hin zum gepflegten Hedonismus samt Landhaus in der Toskana, Radical Chic und Zutritt zum neuen Establishment.

Wenn davon in den offiziellen Würdigungen, die nun erscheinen, keine Rede ist, darf das kaum verwundern. In Abwandlung eines Diktums von Carl Schmitt könnte man sagen, daß nicht nur die Soziologie der herrschenden Kreise ungeschrieben bleibt, sondern auch deren Biographien bloß lückenhaft und gesäubert präsentiert werden.

Im Falle Wagenbachs kommt noch die Unterschätzung dessen hinzu, was mit geistigem Einfluß zu tun hat. Ein Denkfehler, den er mit der Bemerkung zu korrigieren pflegte, daß man „doch mit Büchern auf manches aufmerksam machen“ könne.

Klaus Wagenbach 1930 – 2021 Foto: picture alliance / Eventpress | Eventpress Rekdal
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