BERLIN. Der von der EU-Kommission am Mittwoch beschlossene Asyl- und Migrationspakt hat bei linken Politikern und Organisationen für heftige Kritik gesorgt. Die Pläne für die europäische Asylreform widersprächen den Menschenrechten, kritisierte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Heike Hänsel, am Donnerstag im RBB-Inforadio. Beschleunigte Asylverfahren an den EU-Außengrenzen seien mit internationalem Recht nicht vereinbar.
Hänsel warnte, es werde „viele neue Morias“ geben. Die EU nehme den Brand in dem Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos vor rund zwei Wochen lediglich als „Blaupause“ für viele weiterer solcher Camps. Es hätten sich bei den von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) präsentierten Vorschlägen jene Länder einseitig durchgesetzt, die gegen die Aufnahme von Migranten seien.
Der EU-Abgeordnete Erik Marquart (Grüne) mahnte: „Die Schwachstelle des Kommissionsvorschlags ist, daß weiterhin viele Menschen in Lagern an den Außengrenzen leiden werden. Moria soll offenbar zum EU-Gesetz und nicht verhindert werden.“ Die Staaten an den Außengrenzen bräuchten statt dessen „unsere Solidarität bei der Verteilung“.
EU wolle „Zwei-Klassen-Asylsystem“
Seine Parteikollegin Anna Cavazzini kommentierte, der Migrationspakt korrigiere die Fehler des Dublin-Systems nicht. „Wir brauchen ein EU-Asylsystem, das Asylsuchende unmittelbar nach der Registrierung auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt. Es darf keine Asylverfahren an den EU-Außengrenzen geben, sonst wird es wieder überfüllte Lager geben. Ein neues Moria muß verhindert werden“, teilte die EU-Abgeordnete mit.
Der Flüchtlingshilfsverein Pro Asyl schrieb in einer Mitteilung, 2020 sei schon bis jetzt „einer der Tiefpunkte in der europäischen Geschichte bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten und dem Schutz von Flüchtlingen“ gewesen. Die Reformvorschläge hätten eine „notwendige Wende einläuten können“, doch der Schutz von Menschen stehe nicht im Mittelpunkt. Die EU-Kommission wolle ein „Zwei-Klassen-Asylsystem“ einführen, das zum Ziel habe, „Flüchtlinge schnell abzulehnen und dann schnell abzuschieben“.
CSU-Abgeordneter warnt vor „zynischem Modell“
Kritik an den Plänen kam auch aus der Union. Der CSU-Abgeordnete im EU-Parlament, Markus Ferber, warnte davor, durch die neuen Regelungen könne ein „zynisches Modell“ entstehen, bei dem sich Mitgliedsstaaten einfach freikaufen könnten. Dies sei „nicht akzeptabel“. Er lobte hingegen, „daß Solidarität weitergedacht wird als nur mit der Frage, wer nimmt Flüchtlinge auf“.
Ferber äußerte sich überdies kritisch über die skandinavischen Mitgliedsländer und die Niederlande. Wenn es um die Übernahme von Migranten etwa aus Moria oder aus dem Mittelmeer gegangen sei, hätten sie sich „immer angenehm zurückgehalten“. Auch bei der Asylkrise 2015 hätten nur neun Staaten „wirklich Flüchtlinge aufgenommen“.
Die am Mittwoch präsentierten Asyl-Reformvorschläge sehen unter anderem vor, daß einwanderungskritische Länder sich bei der Abschiebung engagieren können, statt selbst Asylbewerber aufzunehmen. Zudem sollen Migranten bereits an den EU-Außengrenzen überprüft und hinsichtlich ihrer Chancen auf einen positiven Bescheid kategorisiert werden. Die EU werde den Plänen gemäß auch mehr Druck auf Herkunftsländer anwenden, damit diese ihre eigenen Staatsbürger im Falle einer Rückführung aufnehmen.
Die Gesetzesvorschläge sehen jedoch auch Wege für einen erleichterten legalen Zugang in die EU vor. Die AfD hatte den Pakt am Mittwoch unter anderem deshalb scharf kritisiert. (ls)