Nach drei Stunden war das Feuer unter Kontrolle. Und wieder ein paar Stunden später, am Nachmittag, war ein amtliches, großes Aufgebot zur Stelle: Der Premierminister Jean Castex, sein Innenminister und die Kulturministerin besichtigten die Kathedrale von Nantes, begleitet von einem Tweet des Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der den Feuerwehrleuten dankte, weil sie „große Risiken auf sich genommen haben, um dieses gotische Juwel der Fürstenstadt zu retten“. Offenbar ist nur die Orgel völlig zerstört. Aber es gab drei Brandherde, weshalb die Polizei von Brandstiftung ausgeht, und zwar unter der Orgel im Hauptschiff sowie in jedem der beiden Nebenschiffe. Es war ein Brand nach Plan.Und es war nicht der erste dieser Art gegen Kirchen in Frankreich.
Anfang des Monats brannte die Pauluskirche in Corbeil-Essonnes, im elsässischen Munster wurde die evangelische Kirche Saint Leger beschmiert, in Whir-au-Val eine Marienfigur geköpft, im normannischen Avranges die Basilika Saint Gervais verwüstet, in Tours die Basilika des heiligen Martin beschmiert. Schon seit Jahren werden sozusagen unter dem medialen Radar Woche für Woche Dutzende von Kirchen in Frankreich geschändet, beraubt und eben auch angezündet. Desgleichen auch Friedhöfe.
Fast symbolisch und wie ein erneuter Höhepunkt mutet es an, daß in Nantes die Rue de Calvaire (Straße zum Kalvarienberg) an der Kathedrale Peter und Paul vorbeiführt, die schon einmal, 1972, in Flammen stand. Damals brannte das kunstvolle Dach mitsamt Gebälk nieder, so wie bei Notre Dame de Paris zur Osterzeit vor einem Jahr.
Täter wollen das System in seinen Symbolen treffen
Damals und so wie bei Notre Dame de Paris deutete nichts auf Brandstiftung hin. Diesmal muß man davon ausgehen und um die Empörung und Wut vieler Franzosen sozusagen im Keim zu ersticken, eilte die Regierung mit stattlichem Aufgebot an den Tatort. Immerhin trägt Präsident Macron den Ehrentitel „Chanoine der Lateran-Basilika“ – ein Titel, der die Schutz- und Friedensfunktion der französischen Staatslenker auch gegenüber der Kirche zum Ausdruck bringen soll. Aber vom Schutz für die Kirche und vor allem die Kirchen und Kapellen ist wenig zu sehen. Die offiziell registrierte Zahl der Angriffe auf christliche Kirchen und Gräber stieg von 878 im Jahr 2017 auf über tausend im vergangenen Jahr. Es gibt auch Zahlen, die eher dafür sprechen, daß es sich um drei Kirchen pro Tag handelt, die einem Angriff zum Opfer fallen.
Die Zahlen steigen dramatisch seit etwa zehn Jahren. Die Empörung darüber ist verständlich: Zerschlagene Fenster, umgestürzte Weihwasserbecken, aufgebrochene Tabernakel, geköpfte Statuen. In der Kirche „Unsere Lieben Frau, Beschützerin der Kinder“ in Nîmes wurde mit Kot ein Kreuz an die Wand geschmiert, in das man Hostien hineingedrückt hatte. Bei den Fällen mit Raub handelt es sich nach Auskunft der Polizei „meistens um Gelegenheitsdiebstähle, nur selten kann man von kriminellen Gruppen reden“. In den französischen Kirchen ist in der Regel wenig zu holen. Für Raub und Diebstahl gibt es lohnendere Orte. Wahrscheinlicher ist: Man will die Kirche als solche oder das System in seinen Symbolen treffen.
Saint Denis ist die Grabstätte der Könige
Saint Denis ist in diesem Zusammenhang ein besonderer Ort. Hier verschmelzen Geschichte und Kirche. Hier wird die „älteste Tochter der Kirche“, wie Frankreich oft und gern genannt wird, zum Teil der Kirchen- und sogar Heilsgeschichte. In der Basilika des gleichnamigen Vorortes von Paris sind bis auf drei alle Monarchen des Landes bestattet. Deshalb war diese Kirche schon während der Revolution ein Ziel des kirchenfeindlichen, aufgebrachten Mobs, der die Särge öffnete, plünderte und die Überreste der Verstorbenen zerbrach. Saint Denis ist aber auch eine Problemzone.
Ursprünglich ein Arbeiterviertel, dann – schon seit den 80er Jahren – immer stärker von schwarz- und nordafrikanischen Einwanderern bewohnt, wurde es eine Zone, in der die Polizei selten nach dem Recht(en) schaut und in der Drogenbanden und Imame das Sagen haben. Diese Imame dürften wissen, daß in der Basilika nicht nur die Könige Frankreichs aufgebahrt sind, sondern dass sie auch das Grab des fränkischen Hausmeiers Karl Martell birgt, – jenes Heerführers, der 732 in der Doppelschlacht bei Tours und Poitiers den Vormarsch der arabischen Heere gegen das Zentrum des Abendlandes aufgehalten hat. Das verleiht dem Ort einen hohen Symbolwert. Und macht es unwahrscheinlich, daß die Zerstörung der Fenster mit Glasmalereien und die Beschädigungen der berühmten Orgel vor gut einem Jahr nur Akte jugendlichen Vandalismus gewesen sein sollen.
Eine Tätergruppe wird verschwiegen
Über die Motivation und die Täter schwurbeln sich die offiziellen Stellen in Politik und Kirche etwas zurecht. Vielfach wird von Satanisten und eben Vandalismus geredet. Das mag in etlichen Fällen auch zutreffen. Hinzu kommt auch der beklagenswerte bauliche Zustand vieler Kirchen. Und: von den 87 Kathedralen Frankreichs sind gerade mal die Hälfte standardmäßig vor Brand geschützt. Aber Blitz und Regen sind nicht das Problem und von einer bestimmten Tätergruppe ist kaum die Rede.
Doch die zeigte sich im Fall der Kirche Saint-Pierre du Martroi im Stadtzentrum von Orleans. Dort brach ein Feuer aus, laut Auskunft der zuständigen Feuerwehr lag Brandstiftung vor, und auf die Kirchenmauern hatten der oder die Täter gotteslästerliche Parolen und die unmißverständliche Botschaft „Allahu akbar“ gesprüht. Die Radikalisierung großer Teile der islamischen Jugend beunruhigt die Sicherheitsbehörden. Man kann nicht Millionen Verdächtige überwachen und auch nicht die rund 42.258 katholischen Kirchen und Kapellen in Frankreich rund um die Uhr beschützen.
Viele sind in den letzten Jahren dank lokaler Heimatvereine liebevoll restauriert worden. In den Dörfern und Städten haben die Gemeinden lange dafür gesammelt und echte Opfer gebracht. Deshalb ist die Wut des Bürgermeisters von Lavaur im Departement Tarn, Bernard Carayon, auch zu verstehen, wenn er sagt: „Gott wird ihnen verzeihen, ich tu’s nicht“. So werden auch viele Bretonen denken, die am Samstagnachmittag in Nantes die rue de Calvaire zu ihrer Kathedrale hochgegangen sind, um sich die hilflosen Bekundungen der Minister anzuhören.