Die etablierten Parteien haben dem Ansehen des Bundestags schweren Schaden zugefügt. SPD, Grüne, Linke sowie große Teile der Union und der FDP haben die AfD-Kandidatin für das Amt der Bundestagsvizepräsidentin, Mariana Harder-Kühnel, erneut scheitern lassen. Zum dritten Mal. Endgültig. Zweimal hatten Union, SPD, FDP, Grüne und Linke der AfD-Politikerin den Weg ins Präsidium bereits verwehrt.
Verblendet von der Arroganz der Macht, unterwegs auf dem Hohlweg der Politischen Korrektheit, ignorant gegenüber dem Wählerwillen hat die Parlamentsmehrheit die 44jährige kalt durchfallen lassen. Das Ergebnis fiel noch schlechter aus als beim letzten Wahlgang. 423 Nein- und nur 199 Ja-Stimmen bei 43 Enthaltungen, sind eindeutig, erlauben keine Spekulationen, der Kandidatin hätte es an ausreichender Zustimmung im eigenen Lager gefehlt.
Das Wahlergebnis zeigt vielmehr das deformierte Demokratieverständnis insbesondere vieler SPD-, Linken- und Grünen-Politiker. Die Parlamentsmehrheit will die AfD nicht, mag sie auch mit 12,6 Prozent zur größten Oppositionspartei gewählt worden sein. Wählerwille? Nein danke. Minderheitenschutz? Nein danke. Im Klartext: Die Parlamentsmehrheit hat der AfD den politischen Krieg erklärt. Ein fatales Signal.
Parteimitgliedschaft reicht als Ablehnungsgrund
Waren es beim ersten AfD-Kandidaten, dem Juristen Albrecht Glaser, noch inhaltliche Gründe, nämlich dessen islamkritische Haltung, die vorgebracht wurden, mußten die AfD-Hasser bei der Kandidatin Harder-Kühnel passen. Trotz aller Schnüffelei in ihrem Leben blieb die politische Rasterfahndung ohne Ergebnis. So wird sie als „moderate“ AfD-Politikerin beschrieben. Die Familienpolitikerin aus dem Main-Kinzig-Kreis ist vielmehr konservativ, wäre zu Zeiten des nationalkonservativen Alfred Dregger wohl in dessen hessischem CDU-Landesverband aktiv geworden.
Da gegen die Person Harder-Kühnel nichts vorgebracht werden konnte, mußte ihre Parteimitgliedschaft als Ablehnungsgrund herhalten. Wie jämmerlich, wie kleinkariert, wie ignorant. Denn der grundsätzliche Anspruch aller Fraktionen auf einen Vizepräsidentenposten gilt uneingeschränkt, unabhängig von der politischen Ausrichtung einer Fraktion.
Diese Regelung besteht seit 1994, wurde eingeführt, um den Grünen einen Anspruch auf das Amt zu sichern. Mit Erfolg. Wenn heute die Parlamentsmehrheit im Falle der AfD geltendes Recht aus parteipolitischen Gründen mißachtet, sollte sie so konsequent sein und diese Bestimmung der Geschäftsordnung wieder abschaffen.
Klageerfolg der AfD ist fraglich
Die AfD-Fraktion will jetzt dem Plenum jede Sitzungswoche einen neuen Durchfaller-Kandidaten präsentieren. Theoretisch können noch 89 AfD-Politiker für jeweils drei Wahlgänge aufgeboten werden. Die ohnehin angespannte Atmosphäre im Bundestag und dessen Ansehen in der Öffentlichkeit würden sich dramatisch verschlechtern. Ob eine Klage der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich wäre, ist zumindest fraglich.
Die grundgesetzlich geschützte Gewissensfreiheit der Abgeordneten verbietet ein imperatives Mandat, das ein bestimmtes Abstimmungsverhalten erzwingt. Das Gericht könnte den Bundestag wohl allenfalls mahnen, die Vorschriften seiner Geschäftsordnung zu beachten. Der Anspruch der AfD auf das Amt des Vizepräsidenten bliebe jedoch unerfüllt.
Die angesehene Rechtsanwältin Harder-Kühnel ist eine Frau aus der Mitte der Gesellschaft. Im Parlamentspräsidium bleibt ihr nun die Auseinandersetzung mit der Studienabbrecherin Claudia Roth (Grüne) und der einstigen DDR-Freundschafts-Pionierleiterin Petra Pau (Linkspartei) erspart. Zweifellos ein Gewinn an Lebensqualität, doch nur ein schwacher Trost.