Dreißig Jahre nach dem Mauerfall ist die alte soziale Frage als neue soziale Frage wieder aufgetaucht. Die Fehler von einst werden geleugnet, ja sie werden sogar als Innovationen wiederentdeckt. Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister und SPD-Politiker, grub alte Rezepte der DDR-Zeit wieder aus. Hinter seiner Idee steht die einleuchtende Forderung, daß starke soziale Gruppen schwache soziale Gruppen unterstützen sollen.
In der DDR wurden Autos zu Preisen über den Kosten verkauft, damit dafür Kinderkleider unter den Kosten und damit verbilligt abgegeben werden konnten. Die Gewinne der Autoindustrie wurden zur Subventionierung von Kinderkleidern verwendet. Auf den ersten Blick war das eine einleuchtende und vernünftig scheinende Idee.
Doch wieviel Geld sollten die Kinderkleiderproduzenten von den Automobilproduzenten erhalten? Im Kapitalismus dehnen die Kinderkleiderproduzenten ihre Produktion bis zu dem Punkt aus, an dem die letzte Einheit gerade noch ihre Kosten deckt. Im Sozialismus besteht eine solche Grenze nicht. Die Kinderkleiderindustrie dehnt ihre Produktion aus und läßt sich dabei unbeschränkt von der Automobilindustrie subventionieren. Sie absorbiert den Produktivitätsvorsprung der Automobilindustrie, bis beide Industrien keine Gewinne mehr abwerfen.
Wettlauf um Subventionen
Es gibt einen Wettbewerb um Subventionen. Am Ende erzielen sowohl die Kinderkleiderindustrie wie die Automobilindustrie gerade nur noch die Kostendeckung. Der Automobilindustrie fehlen die Gewinne, um sich auszudehnen, denn die Gewinne der Automobilindustrie werden von der Kinderkleiderindustrie vereinnahmt. Am Schluß können sich die Menschen weder Kinderkleider noch Automobile leisten.
Der ungarische Ökonom Janos Kornai hat diesen Wettlauf nach Subventionen schon im Jahr 1986 entdeckt und der ungarischen Führung zur Last gelegt. Die ursprünglich nachvollziehbare Idee, daß die Menschen einander helfen, wird durch die Unersättlichkeit der Kinderkleiderindustrie zunichte gemacht. Am Schluß sind die Menschen in beiden Industrien arm: Die Konsumenten von Kinderkleidern und die Produzenten von Autos: Überall herrscht Mangelwirtschaft.
Es bestätigt sich die Erkenntnis von Ludwig von Mises: Eine rationale Kalkulation ist in einer Planwirtschaft nicht möglich. Deswegen scheitert auch der Sozialismus. Eine sozialistische Wirtschaft besitzt keine Anreize, neue Produkte zu entwickeln Denn deren Gewinne werden auf andere Betriebe umverteilt.
Reiche und Arme
Im Kapitalismus gibt es im idealtypischen Fall keine solchen Quersubventionen. Wer in die richtige Industrie investiert, gewinnt und darf seinen Gewinn behalten. Er haftet aber auch für Verluste. Er kann die Verluste nicht an den Staat abschieben.
Der Kapitalismus gibt Anreize, die Mittel bestmöglich einzusetzen. Wer falsch investiert, erleidet die Verluste, er muß diese tragen, und muß den Markt schließlich verlassen. Daher gibt es im Kapitalismus Reiche und Arme.
Kinderkleider- und Automobilindustrie sind nur zwei Beispiele für die Schädlichkeit der Quersubventionierung. Sie lassen sich nahtlos auf die Altersrenten übertragen. Eine Grundrente, wie sie Hubertus Heil vorschlägt, ermuntert die Armen zur Umverteilung, bis am Ende keiner eine höhere Rente erhält als die Einheitsrente.
Unproduktiv gewordene Arbeitsplätze fallen weg
Ein anderes Beispiel ist die Digitalisierung. Bei ihr handelt es sich im Wesentlichen um Strukturwandel. Im Kapitalismus fallen unproduktiv gewordene Arbeitsplätze weg und werden durch produktivere computergestützte Arbeitsplätze ersetzt. In der westlichen Welt schrumpfte die Landwirtschaft, die einst 50 Prozent der Bevölkerung ernährte, auf etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zusammen. Sie führt heute ein Schattendasein. Aber politisch ist sie nach wie vor mächtig.
Auch die Finanzierung der Rentenversicherung läßt sich anhand dieses Konzeptes beurteilen. Alle Arbeitnehmer bezahlen Beiträge in Höhe eines gewissen Prozentsatz ihres Einkommens in die Rentenversicherung. Am Schluß erhalten aber alle Einkommensbezieher nur die einheitliche Grundrente. Folglich ist der Anreiz groß, vorher in Altersteilzeit zu gehen.
Etwas anders ist die Flüchtlingskrise zu erklären. Sie läßt sich in erster Linie aus dem enormen Rückgang der Transportkosten von Afrika nach Europa verstehen. Eine solche Reise war die für Afrikaner vor zehn Jahren noch unerschwinglich, kam aber durch die enorm gesunkenen Transportkosten in den Bereich des Möglichen und machte die große Einwanderung nach Europa überhaupt erst erwägbar.
Das System der Quersubventionierung endet unausweichlich in der Armut
Es versteht sich, daß sich die Flüchtlinge jene Länder aussuchen, in denen die höchsten Sozialleistungen bezahlt werden. Darunter ist insbesondere Deutschland zu erwähnen. Daher sagt der Ökonom Milton Friedman: Ein Die Bürger Europas müssen sich entscheiden. Sie können entweder Sozialleistungen und geschlossene Grenzen haben oder keine Sozialleistungen gewähren und die Grenzen offen belassen: Die Kombination von offenen Grenzen und Sozialleistungen läßt sich nicht realisieren.
Der Ökonom und Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat das Dilemma der Quersubventionierung schon früh erkannt. In seinem 1944 erschienen Buch „Wege zur Knechtschaft“ sagte er voraus, daß eine Volkswirtschaft, die das System der Quersubventionierung verfolgt, unausweichlich in der Zwangswirtschaft und Armut endet. Die Konsumenten werden mit einer hohen Steuer belastet und erhalten nur geringen Wohlstand.
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Prof. Dr. Charles B. Blankart ist ein Schweizer Volkswirt und lehrte unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin.