BRÜSSEL. Die Staats- und Regierungschefs von 16 der insgesamt 28 EU-Länder tagen seit heute nachmittag in Brüssel, um eine Lösung im Streit um den weiteren Umgang mit Migranten zu finden. Zu dem informellen Flüchtlingsgipfel hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in die belgische Hauptstadt eingeladen. Das Treffen gilt als wichtiger Meilenstein, um vor dem EU-Gipfel am Donnerstag zu einer gemeinsamen Haltung in der Asylpolitik zu finden. Zwölf Staaten nehmen nicht am Gipfel teil, darunter die Visegrad-Länder Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei.
Vor Beginn des Sondergipfels dämpfte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Erwartungen nach einer schnellen Entscheidung. Bis zum Gipfeltreffen in vier Tagen werde noch keine Gesamtlösung für die Asylpolitik der Europäischen Union möglich sein, sagte Merkel am Sonntag. Es gehe zunächst nur um Absprachen von einzelnen Staaten untereinander, wie man das Weiterwandern von Flüchtlingen nach Deutschland begrenzen und dabei einen „Modus vivendi“ mit anderen Ländern finden könne.
Ein großes Thema werde der „Außengrenzenschutz“ sein und „die Frage, wie können wir illegale Migration nach Europa reduzieren“, sagte Merkel am Sonntag unmittelbar vor Beginn der Gespräche gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die Bundeskanzlerin steht innenpolitisch unter hohem Druck, schnell greifbare Ergebnisse zu präsentieren. Andernfalls droht der Streit mit der mitregierenden Schwesterpartei CSU um Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen weiter zu eskalieren.
Zwist zwischen Paris und Rom
Unterdessen waren vor dem Mini-Gipfel die unterschiedlichen Auffassungen der EU-Mitgliedstaaten unübersehbar. Die Rücknahme von Migranten ist unter den Verhandlungspartnern stark umstritten. Während Österreich, die Niederlande und Bulgarien Asylzentren außerhalb Europas fordern, sprachen sich Frankreich und Spanien am Samstag für die Einrichtung geschlossener Aufnahmelager auf dem Territorium der Europäischen Union aus. Asylbewerber sollten nach Ankunft in der EU in „in geschlossenen Zentren“ untergebracht werden, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron nach einer Begegnung mit dem neuen spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez in Paris. So könne eine innereuropäische Binnenwanderung verhindert werden. Die Aufnahmelager sollten nach den Maßgaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR stehen funktionieren. Bei Ablehnung eines Asylgesuchs müßten die Bewerber in ihre Heimat zurückgebracht werden und „keinesfalls in die Transitländer“.
Die italienische Regierung wies Macrons Vorschlag umgehend zurück. „Wenn die französische Arroganz denkt, daß sie Italien in ein Flüchtlingslager für ganz Europa verwandeln kann, vielleicht indem man ein paar Euro Trinkgeld verteilt, dann irrt sie sich gewaltig“, äußerte Innenminister Matteo Salvini von der Lega-Partei. Paris solle statt dessen die „vielen französischen Häfen“ für Flüchtlingsschiffe öffnen und Migranten nicht länger an der Grenze zu Italien zurückweisen. Italien wolle vor dem Hintergrund der vielen hunderttausenden Migranten, die in den vergangenen Jahren in das Land geströmt seien, Asylbewerber abgeben statt zurücknehmen.
Visegrad-Länder nehmen nicht teil
Macron hatte auch mit finanziellen Kürzungen bei Ländern, die keine Asylsuchenden aufnehmen wollten, gedroht. „Ich bin für einen Mechanismus der Sanktionen gegen Länder, die massiv von der Solidarität der EU profitieren, in Fragen der Zuwanderung aber massiv ihrem Egoismus frönen“, warnte der französische Präsident. Bei den Verhandlungen für den nächsten EU-Finanzrahmen werde es daher Bedingungen für EU-Strukturmittel geben. Konkrete Ländernamen nannte er nicht.
Der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow befürwortet unterdessen, die EU-Außengrenzen für Flüchtlinge zu schließen und die EU-Binnengrenzen stärker zu kontrollieren. Bulgarien gibt Ende des Monats den EU-Ratsvorsitz an Österreich ab. Die Regierungschefs von Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik sowie der Slowakei („Visegrad-Gruppe“) nehmen an dem Flüchtlingsgipfel nicht teil. „Wir fahren nicht“, hatte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán im Vorfeld beschieden und mit Blick auf Deutschland gesagt: „Wir verstehen, daß es Länder gibt, die mit innenpolitischen Problemen ringen, aber das darf zu keinen gesamteuropäischen Panikhandlungen führen.“ (ru)