In acht Tagen, am 24. November soll einer der großen Konflikte dieser Welt gelöst sein: der Streit um das iranische Atomprogramm. Niemand wagt eine Prognose, ob es gelingt. Es wäre im zum „Krisenjahr“ hochgeschaukelten Jahr 2014 einer der ganz wenigen politischen Lichtblicke – und sogar eine Erwähnung in den Annalen der Geschichte wert.
Nach den veritablen Weltmächten USA, Rußland und China, nach den längst deklassierten Ex-Großmächten England und Frankreich, die – etwa als Vetomächte des UN-Sicherheitsrats – als Statisten „Weltpolitik“ spielen dürfen, haben sich auch Indien und Pakistan, Konkurrenten um Macht und Einfluß in Südasien, beachtliche Nuklear-Potentiale zugelegt. Auch das durch ungelöste innere Probleme und andauernde Kontroversen mit arabischen Nachbarn charakterisierte Israel hat sich klammheimlich und ohne sich je von der IAEO kontrollieren zu lassen, zu einer schlagkräftigen Atommacht entwickelt.
Will nun etwa auch der Iran eine Atombombe bauen? Seit rund zwölf Jahren treibt diese Frage die sogenannte internationale Gemeinschaft um. Damals deuteten geheimdienstliche Erkenntnisse auf ein verborgenes militärisches Programm der Islamischen Republik. Auch mit gegenteiligen Beteuerungen ist es Teheran nicht gelungen, diesen Verdacht zu zerstreuen. Mit dem bevorstehenden Wiener Treffen vom 18. November bis zur selbstgesetzten Schlußfrist am 24. November stehen die bisher intensivsten Verhandlungen zwischen den UN-Vetomächten plus Deutschland und dem Iran vor dem möglichen Abschluß.
Fragen der Anreicherung und dumme Fehler von früher
Die zwei wichtigsten Streitpunkte sind die Anzahl der iranischen Zentrifugen und der Zeitplan für die Suspendierung der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Teheran. Ein Erfolg ist ungewiß. Vielleicht wird es gar keine Einigung geben: In den USA geben seit kurzem wieder mehr die „Hardliner“ den Ton an, und der Iran ist immer weniger motiviert, seine Interessen aufzugeben. Teherans Außenminister Zarif schlug im Vorfeld zwar optimistische Töne an: „Wir sind bereit für einen Deal.“ Sein Stellvertreter äußerte sich indessen deutlich negativer – möglicherweise Teil der Taktik Teherans.
Bei gerade zu Ende gegangenen Vorgesprächen in Oman standen offene Fragen der Urananreicherung im Mittelpunkt. Es ging darum, wieviel und wie hoch angereichert wird. Nach iranischen Angaben gab es zu Beginn der Oman-Runde noch erhebliche Differenzen, auch in der Frage der stufenweisen Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Iran. Rußland könnte bei der Lagerung der iranischen Uranvorräte eine wichtige Rolle spielen. Rußland, China und Indien sind ohnehin bemüht, Iran in ihr Einflußgebiet zu integrieren. Ein generelles Scheitern scheint indes ein unwahrscheinliches Szenario.
Die USA und Großbritannien, „der Westen“, sollten sich auch bewußt sein, daß sie den – traditionell prowestlichen – Iran „verloren“, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg den als korrupt geltenden Schah-in-Schah, „Arya Mehr“, das „Licht der Arier“, unterstützten, und 1953 den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mossadegh wegputschten. Nur um „ihr“ Öl und die Profite „ihrer“ Finanz-Dynastien zu sichern.
Einen geostrategischen Rivalen ausschalten
Auch in dem nun seit gut einem Jahrzehnt kokelnden Atomstreit mit Teheran wird mit gezinkten Karten gespielt. Dabei geht es nur vordergründig um Irans angeblichen oder denkbaren „Griff nach der Bombe“. Tatsächlich aber sind vor allem die USA und Israel, in ihrem Windschatten auch die EU-Europäer bemüht, die Regionalmacht Iran, den einzigen Staat neben Syrien im weiten Raum zwischen Marokko und Indonesien, dessen Politik nicht pro-westlich ausgerichtet ist, in die Schranken zu weisen.
Läßt man religiöse Hirngespinste beiseite, wie sie in der Frühphase von Irans „islamischer Revolution“ (Stichwort Ahmadinedschad) herumgeisterten und von denen heute niemand mehr spricht, steht fest: Der Iran hat keinen Grund, Israel oder gar „den Westen“ anzugreifen, es gibt keine territorialen Konflikte mit Israel, die beiden Länder liegen 1.000 Kilometer auseinander. Es ist hier viel Ideologie im Spiel, und es geht um Machtansprüche.
Ohnehin dürfte der wahre Grund dieses Konflikts nur vordergründig das Atomprogramm sein, sondern es geht dem Westen vor allem darum, einen geostrategischen Rivalen auszuschalten: Der Iran ist so ziemlich das letzte Land im weiten Feld zwischen Marokko und Indonesien, das keine an den Westen angelehnte Politik verfolgt. Die USA und Israel hätten – wäre die Islamische Republik Iran als selbständig handlungsfähiger Konkurrent kastriert – keinerlei Widersacher mehr in der Region.
Zugeständnisse im Atomstreit für Hilfe gegen IS-Terrormiliz?
Ist es nur Störfeuer, daß das stets gut unterrichtete Wall Street Journal vor zwei Wochen enthüllte, US-Präsident Obama habe im Oktober in einem Brief an Irans geistliches Oberhaupt Ajatollah Ali Khamenei eine Kooperation gegen die sunnitisch-islamische Terrormiliz IS vorgeschlagen – oder steckt doch etwas dahinter? Bedingung sei aber eine Einigung auf ein dauerhaftes Atomabkommen.
Der davon offenbar überraschte US-Außenminister John Kerry hat bestritten, daß sein Land dem Iran im Gegenzug für eine Kooperation gegen den IS „Zugeständnisse im Atomstreit“ angeboten habe. Es gebe „keinerlei Verbindung zwischen den Atomgesprächen und einer anderen Frage“, betonte Kerry am Rande des jüngsten Ministertreffens des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums in Peking. „Ich bin zuversichtlich, daß ich informiert bin, was der Präsident zu dieser Frage tut oder sagt“, kommentierte er dazu.
Man kann gespannt sein, was der „Stichtag“, der 24. November, nun tatsächlich an Ergebnissen bringt. Dann endet die Frist, die sich der Iran und die Gruppe der fünf UN-Vetomächte und Deutschland (5+1) gesetzt haben, um den jahrelangen Streit um Irans Atomprogramm „endgültig“ beizulegen. Das dauerhafte Abkommen soll dem Iran die friedliche Nutzung der Atomtechnologie ermöglichen, zugleich aber verhindern, daß Teheran in kurzer Zeit Atomwaffen entwickelt. Im Gegenzug will der Westen die in dem Streit verhängten Sanktionen aufheben. Irans Chefunterhändler Abbas Araktschi warnte indes vor einem Scheitern der Gespräche. „Niemand will zur Situation vor dem Abkommen von Genf zurückkehren, weil dies ein für alle gefährliches Szenario wäre.“