STRASSBURG. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte ein Grundsatzurteil mit weitreichenden Folgen für die Asylpolitik der Europäischen Union fällen. Derzeit verhandelt die Große Kammer über den Fall einer afghanischen Familie, die sich gegen ihre Abschiebung aus der Schweiz nach Italien wehrt. Nach Informationen der Neuen Züricher Zeitung wird das anstehende Urteil von den Richtern als wegweisend für künftige Entscheidungen betrachtet.
Bisher ist im sogenannten Dublin-II-Abkommen von 2003 geregelt, daß über den Antrag eines Asylbewerbers im Ankunftsland entschieden wird. In diesem Fall war der Afghane mit seiner Frau und fünf Kindern illegal nach Italien eingereist, wo er im Juli 2011 einen Antrag auf Asyl stellte. Ein Asylgesuch in Österreich scheiterte, ebenso ein weiterer Antrag in der Schweiz im Herbst 2011. Schweizer Behörden verfügten daraufhin die Ausweisung nach Italien.
Menschenunwürdige Unterbringung sorgt für Abschiebestopp
Dagegen klagte der Mann vor dem Straßburger Gericht. Er machte geltend, ihn erwarte in Italien eine menschenunwürdige Unterbringung, was der Menschenrechtscharta des Europarates widerspräche. Der Menschengerichtshof verfügte daraufhin einen Abschiebestopp, solange das Verfahren läuft. Das deute laut NZZ ebenso wie die Verhandlung vor der Großen Kammer darauf hin, daß die Richter eine Grundsatzentscheidung zu Dublin anstreben.
Bereits in ähnlichen Fällen haben deutsche Gerichte das Dublin-Abkommen unterlaufen und Abschiebeverbote verhängt. Sollten sich die Straßburger Richter die deutsche Sicht zu eigen machen, könnte die bisherige Asylpolitik der EU insgesamt vor dem Aus stehen. (FA)